Noch bestimmen die Corona-Pandemie und deren Folgen weite Teile der Politik und den Alltag der Menschen – und damit auch den der Zahnärztinnen und Zahnärzte. Zunehmend rücken aber auch wieder andere Themen in den Fokus: Das Wahljahr 2021 kündigt sich bereits an. Zeit für eine Bilanz und einen Blick nach vorne aus zahnärztlicher Sicht.
Die Folgen der Corona-Pandemie, das Verhältnis zur Politik und weitere aktuelle Themen vertragszahnärztlicher Berufspolitik diskutierten Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, und Martin Hendges, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, im Gespräch mit Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News, in einem per Videokonferenz geführten Gespräch.
„Noch schauen wir alle in eine Glaskugel, was die weitere Entwicklung für Zahnarztpraxen angeht“, sagte Eßer. Er rechne aber eher mit einer Normalisierung der Versorgunglage. Das hänge jedoch insbesondere auch davon ab, ob es eine zweite Pandemie-Welle geben werde und wie diese dann ablaufe. Dies betreffe auch die Auswirkungen der Liquiditätshilfe der Covid-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung, zu der sich die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen Anfang Juni positioniert haben.
„Wir haben diese Verordnung und ihre Auswirkungen mit den KZVen in vielen Videokonferenzen intensiv und bis in die Details diskutiert. Für jede KZV gab es damit eine fundierte Entscheidungsgrundlage für oder gegen die Inanspruchnahme der Liquiditätshilfe. Unser gemeinsames Ziel ist es, alle Mittel zu nutzen, um die Zahnärzteschaft möglichst ohne nennenswerten Kollateralschaden durch die Krise zu bringen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KZBV.
KZBV-VV als virtuelle Veranstaltung
Die 8. Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung fand am 1. Juli 2200 ab 13 Uhr und 2. Juli 2020 ab 10 Uhr als virtuelle Veranstaltung statt. Einen Bericht lesen Sie hier „Lassen Sie uns nach vorne blicken“.
Kassen wurden im zahnärztlichen Bereich entlastet
Was den zahnärztlichen Bereich angehe, gebe es für den GKV-Spitzenverband keinen sachlichen Grund, jetzt – wie bereits geschehen – von der Politik finanzielle Unterstützung für Kostenträger einzufordern. Eßer: „Die Kassen sind in der zahnärztlichen Versorgung durch die Verordnung ja sogar noch entlastet worden! Sie tragen nichts vom Risiko der vertragszahnärztlichen Sicherstellung mit, und so es denn zu Überzahlungen in diesem Jahr seitens der Krankenkassen kommen würde, müssten diese in den Jahren 2021 und 2022 den Kassen wieder gutgebracht werden.“
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte sehe das hingegen ganz anders aus: „Wir müssen – und das gilt für alle KZVen – das tatsächliche Leistungsgeschehen und Honorarvolumen im Jahr 2020 genau im Blick behalten“, betonte Martin Hendges. Auch das Inanspruchnahmeverhalten der Patienten in verschiedenen Alterskohorten sei eine wichtige Kennzahl. Schließlich seien diese Daten später Grundlage für die Verhandlungen des Volumens für das Jahr 2021. Würden deutlich weniger Leistungen erbracht und abgerechnet als im Jahr 2019 - weil zum Beispiel Patientinnen und Patienten vereinbarte Termine absagen oder erforderliche Behandlungen weiter aufschieben – dann müsse frühzeitig und sehr konkret über mögliche Konsequenzen für die Honorarverhandlungen 2021 gesprochen werden. „Es kann nicht sein, dass eine verminderte Leistungsmenge im Jahr 2020 sich auch dann noch im Folgejahr negativ auf das seitens der Krankenkassen zur Verfügung gestellte Gesamtvergütungsvolumen auswirkt. Ganz im Gegenteil muss hier die GKV in die Verantwortung genommen werden, gerade weil im nächsten Jahr mit Nachholeffekten zu rechnen sein wird.“
Evaluierung im Herbst vorbereiten
„Im kommenden Oktober sieht die Verordnung dann zudem eine Evaluierung vor, ob und wie die kürzlich verabschiedete Regelung gegriffen hat und welche Punkte – auch mit Blick auf die Honorarverhandlungen für das Jahr 2021 – nachjustiert werden müssen“, unterstrich Eßer. Die KZVen haben bereits im Mai Stichtagsabrechnungen für die Bereiche 1 bis 4 des BEMA (ohne Zahnersatz) von den Praxen erbeten, um zielgenauer abschätzen zu können, wie sich die Versorgung entwickle.
„Wir sammeln derzeit so viele Daten wie möglich, um die tatsächliche Situation der Praxen abbilden zu können. Mit dieser Datengrundlage und einer soliden Argumentationsbasis können wir dann gut vorbereitet in die anstehenden Gespräche mit Politik und Kassen gehen. Wichtige Themen sind dabei insbesondere das Leistungsgeschehen, Nachwirkungen im Patientenverhalten und Hygienekosten. Zudem verschaffen wir uns Informationen darüber ob Zahnärzte in direkter Folge der Corona-Krise gezwungen waren, ihre Praxis zu schließen oder früher als geplant abzugeben. Wichtig in diesem Zusammenhang sind zudem mögliche Kündigungen von Ausbildungs- und Arbeitsverträgen von Angestellten in Praxen. Auch solche Daten gehen in unsere Analysen natürlich mit ein.“
Wahljahr 2021bestimmt zunehmend die Politik
Aber auch jenseits von Corona geht das politische Geschäft mit hoher Taktfrequenz weiter. Dr. Wolfgang Eßer: „Das Wahljahr 2021 steht bevor. Abhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie schalten die Parteien im Bundestag voraussichtlich im Spätherbst 2020 in den Wahlkampfmodus. Gesundheitsminister Spahn ist bestrebt, laufende Gesetzesvorhaben voranzubringen. Im kommenden Jahr stehen die Sacharbeit und das parlamentarische Tagesgeschäft dann sicher nicht mehr derart im Fokus, wie das insbesondere in den zurückliegenden Monaten der Fall war.“
Diese Entwicklung zeichne sich auch bei Gesetzesvorhaben wie dem Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) ab, stellte Hendges fest. Der Gesetzentwurf sei zwar in einigen Bereichen durchaus zu Gunsten der Zahnärzte verbessert worden, in anderen Bereichen seien aber auch gravierende Verschlechterungen zu konstatieren, etwa bei den noch einmal erweiterten Protokollierungs- und Dokumentationspflichten für Praxen.
TI bleibt „Dauerbaustelle“
Das Ziel „weniger Bürokratie durch Digitalisierung“ sei mit dem PDSG allein nicht zu erreichen. An den strafbewehrten Fristen für die Umsetzung auch aus früheren Gesetzen werde festgehalten, obwohl schon jetzt klar sei, dass diese nicht zu halten seien und die Verantwortung dafür völlig eindeutig nicht bei der Zahnärzteschaft zu verorten sei. „Hier wird Verantwortung falsch zugeordnet und neue Bürokratie geschaffen. Der Nutzen gerade für uns Zahnärzte ist immer noch relativ gering. Wenn es der Politik aber nicht gelingt, Kosten, Bürokratie, Sicherheit und Aufwand in ein vernünftiges Verhältnis zum Nutzen zu bringen, kommt die Digitalisierung in diesem Bereich auf absehbare Zeit sicher nicht ‚zum Fliegen‘, so wie das politisch ja eigentlich gewünscht ist“, sagte Eßer. Die TI bleibe also wohl erstmal noch eine „Dauerbaustelle“.
Bereits gestartete TI-Projekte auf gutem Weg
Für bereits gestartete Projekte wie den zahnärztlichen Teil der elektronischen Patientenakte und die sogenannten MIO, – die Medizinischen Informationsobjekte – suche die KZBV die enge Abstimmung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Diese Zusammenarbeit funktioniere gut. Die ersten zahnärztlichen Anwendungen der ePA, wie das eBonusheft und später dann der Implantatpass seien in Vorbereitung, so Hendges. Auch der elektronische Heil- und Kostenplan komme voran. Für den eHKP seien die Testphase für Ende des Jahres 2021 und der sogenannte Wirkbetrieb dann für alle genannten Anwendungen zum 1. Januar 2022 geplant.
Evaluierung zu den Z-MVZ in Vorbereitung
Parallel bereitet sich die KZBV auf die Evaluierung der Maßnahmen des TSVG zu investorengeführten MVZ vor. Das Bundesgesundheitsministerium werde voraussichtlich nach der Sommerpause seine Bewertung vorlegen Dazu stehe der Vorstand im engen Austausch mit der Politik. Parallel dazu werde die Entwicklung bei den MVZ mit den Mitteln der KZBV engmaschig beobachtet und analysiert. „Die Corona-Pandemie spielt den Investoren derzeit natürlich in die Hände“, betonte Eßer.
„Corona-Pandemie spielt den Investoren in die Hände“
Das Thema eines verpflichtenden MVZ-Registers auf Bundes- und Landesebene, erst vor einigen Monaten im Gesundheitsausschuss des Bundestages im Rahmen einer Anhörung diskutiert, sei für die Zahnärzteschaft keinesfalls vom Tisch. „Wir halten an dieser Forderung schon aus Gründen der Transparenz fest. Kein Patient kann derzeit auf dem Praxisschild oder über die Internetpräsenz eines MVZ erkennen, ob er sich in die Behandlung eines Unternehmens begibt, das von einer Private Equity-Gesellschaft geführt wird oder in Behandlung eines freiberuflich tätigen Zahnarztes. Es darf uns als Heilberuf aber nicht egal sein, von wem die Menschen behandelt werden.“
Aktualisierung der PAR-Richtlinie im G-BA wird weiterverfolgt
Auch ein weiteres langjähriges Projekt der Zahnärzteschaft, die Aktualisierung der PAR-Richtlinie – also die Neuausrichtung der Parodontaltherapie inklusive Unterstützender Parodontitistherapie (UPT) in der strukturierten Nachsorge, laufen im Gemeinsamen Bundesausschuss weiter. Die Nutzenbewertung der systematischen Behandlung von Parodontopathien im engeren Sinne sei erfolgreich abgeschlossen, nun gehe es im G-BA in den mühsamen Prozess der Richtlinienerstellung. Danach folgt dann die Umsetzung einer neuen Richtlinie in der Form, dass der Bewertungsausschuss entsprechende Leistungen beschreiben und bewerten muss.
„Die Kassen haben ja erfahrungsgemäß nie Geld“, sagte Eßer, und erinnerte an „endlose Diskussionen“ mit den Kostenträgern um die Vergütung zahnärztlicher Früherkennungsuntersuchungen für Kinder vom 6. bis zum 33. Lebensmonat sowie die Anwendung von Fluoridlack zur Zahnschmelzhärtung als präventive Leistungen. „Diese mitunter äußerst zähen Verhandlungen stehen oft im diametralen Gegensatz zu öffentlichen Bekundungen und Forderungen der Kassen an die Zahnärzteschaft, für die Mundgesundheit doch bitte noch stärker aktiv zu werden.“
Die Erfolgsaussichten bei der Überarbeitung der PAR-Behandlungsstrecke seien diesmal aber nicht schlecht, da die besonders wichtige Methodenbewertung diesmal von den Patientenvertretern im G-BA angestoßen worden sei und diese sich jetzt auch weiterhin für Verbesserungen bei der Behandlung von Patienten einsetzen. Der G-BA werde demnach im Dezember 2020 über die Aktualisierung der PAR-Behandlungsstrecke beschließen. Ziel der KZBV bleibe es, die Strecke praxistauglich an den aktuellen Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse anzupassen. „Das beinhaltet die Berücksichtigung der aktuell geltenden Klassifikation sowie die erforderliche Ausgestaltung der strukturierten Nachsorge.“
Schatten auf dem Verhältnis zur Politik
Auf das bis zur Corona-Pandemie aus Sicht des Berufsstands gute und konstruktive Verhältnis zu vielen Politikern in allen Parteien sei durch die Ereignisse der vergangenen Wochen allerdings an einigen Stellen ein Schatten gefallen. Die Enttäuschung darüber, dass die Politik die Leistungen der Zahnärzteschaft in der Krise praktisch nicht wahrgenommen habe, sei vielfach spürbar.
„Zahnärztinnen, Zahnärzte und ihre Praxisteams haben vom ersten Tag der Epidemie an die Versorgung der Menschen unter oft schwierigen Bedingungen aufrechterhalten. Praktisch ‚aus dem Stand‘ hat der Berufsstand ein bundesweit flächendeckendes Netz von Behandlungszentren in 30 Kliniken und 170 Schwerpunktpraxen für die Akut- und Notfallversorgung von Patientinnen und Patienten aufgebaut, die mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert sind oder als Verdachtsfall unter Quarantäne gestellt wurden. Die Zahnärzteschaft und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Herausforderungen der Krise bis zum heutigen Tag hoch professionell, verantwortungsbewusst und erfolgreich gemeistert. Dass dies bislang in keiner Form auf Anerkennung der Politik gestoßen ist, befremdet uns alle sehr“, sagte Eßer.
„erhebliches Gefühl von Bitterkeit und Enttäuschung“
Dies sei der Zahnärzteschaft nun schon zum zweiten Mal passiert: Auch die großen Anstrengungen für die Betreuung der vielen Flüchtlinge im Jahr 2015 seien von der Politik zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, dann aber nicht wirklich gewürdigt worden. Es gebe ganz offensichtlich eine Differenz zwischen dem Stellenwert, den Zahnärzte in ihrer eigenen Wahrnehmung und der der Patienten haben, und demjenigen Stellenwert, der ihnen von der Politik in Krisenzeiten zugeordnet werde. „Nach mehr als 30 Jahren in der Berufspolitik habe ich so etwas noch nicht erlebt. Es bleibt nach den vergangenen Monaten und den erheblichen Kraftanstrengungen, die der gesamte Berufsstand und die Praxisteams zur Bewältigung der Krise aufgebracht haben, auch bei mir ein erhebliches Gefühl von Bitterkeit und Enttäuschung.”
Differenzierte Sicht, Diskriminierung deutlich ansprechen
Dennoch gelte es auch zu differenzieren. Jens Spahn und die Gesundheitspolitiker der Union hätten sich für die ursprünglich geplante Schutzschirm-Regelung im Sinne der Zahnärzte stark gemacht. „Das waren nicht nur Lippenbekenntnisse“, betonte Eßer. Am Ende habe aber dann das SPD-geführte Finanzressort die geplante Regelunge blockiert, ein mögliches Veto des Gesundheitsministers dagegen sei ausgeblieben. Es gebe in der gesamten Gesundheitspolitik auch durchaus eine aufrichtige Betroffenheit darüber, wie mit der Zahnärzteschaft in der Corona-Krise umgegangen worden sei.
Eßer betonte, dass die erfahrene „Diskriminierung des Berufsstands“ in den kommenden politischen Gesprächen dann auch deutlich zur Sprache kommen werde. Bei allem Frust und aller berechtigten Enttäuschung werde die KZBV mit dem Minister bei diesem Thema dennoch in einem konstruktiven Dialog bleiben, insbesondere mit Blick auf die Evaluierung der Situation in den Praxen im Herbst. „Es gilt jetzt, den Blick nach vorne auf professionelle Sacharbeit in den kommenden Wochen und Monaten zu richten“, sagte Eßer.
Freiberuflichkeit hat sich gerade in der Krise bewährt
Die Pandemie habe ansonsten deutlich gemacht, an welchen Stellen es im Gesundheitswesen hakt und wie wichtig doch freiberuflich orientierte Heilberufe sind. Deutschland sei gerade auch wegen der vielen Freiberufler und ihrer Gemeinwohlverpflichtung im Gesundheitswesen in der Krise gut aufgestellt gewesen. In Ländern, in denen die Versorgung der Menschen bereits deutlich stärker von Ökonomisierung und Industrialisierung geprägt sei, habe es dagegen mitunter erhebliche Probleme gegeben, etwa in den USA. Die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der freiberuflichen Tätigkeit von Zahnärzten und Ärzten müsse in der Gesundheitspolitik daher wieder stärker ins Zentrum gerückt werden und einen angemessenen Stellenwert bekommen.