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„Das System ist am Ende“, meint Dr. Uwe Axel Richter – Leistungen aus der GKV in die Hand der Patienten geben

(c) Andrii Yalanskyi/Shutterstock.com

Spätestens seit vergangener Woche Freitag kann einem hierzulande Angst und Bange werden. Lassen wir den diesbezüglichen Beitrag der Generalität der Luftwaffe der Bundeswehr einmal außen vor und fokussieren den Blick lediglich auf unser Gesundheitswesen, sticht der zeitlich koinzidente Beitrag von Prof. Dr. Karl Lauterbach heraus. Der wollte just an jenem Freitag vergangener Woche (1. März 2024) mit einem weiteren Gesetzesvorschlag das Gesundheitswesen auch für militärische Konflikte rüsten. Man darf wohl zu seinen Gunsten annehmen, dass dies nur das mehr oder minder glückliche Timing eines Berufspolitikers war.

Viel interessanter ist aus meiner Perspektive, dass er (mal wieder) auf eine Tram gesprungen ist, die in die falsche Richtung fährt, weil sie ihn von den eigentlichen Aufgaben entfernt. Mir kommen daher diese ministeriellen Aktionen zunehmend wie Übersprungshandlungen vor, die den Professor für Gesundheitsökonomie aus den Niederungen der harten Realitäten des Gesundheitswesens und der mühseligen gestaltenden Arbeit katapultieren sollen. 13 – in Worten dreizehn – Gesetze stehen für dieses Jahr auf seiner To-do-Liste, darunter so wichtige Gesetzesvorhaben wie die Krankenhausreform oder die Versorgunggesetze. Und nichts geht wirklich voran.

„Karlieren“ als Synonym für prokrastinieren?

Insbesondere für die Krankenhausreform, dem zentralen Vorhaben zur Re-Strukturierung des Gesundheitswesens, der Verbesserung der Versorgungsqualität und dem zentralen Ansatzpunkt für eine bessere Mittelallokation (alles Ziele des Ministers!) bleibt Lauterbach nur noch bis zum 24. April Zeit, seinen Entwurf einzureichen und mit der Ministerriege abzustimmen, um noch rechtzeitig den parlamentarischen Prozess starten zu können. Wenn es nur das einzige Projekt wäre, aber es ist eines aus dreizehn! Plus die eingangs erwähnte neue Gesetzesinitiative. Wenn Lauterbach nicht bald die Kurve bekommt und sich auf die wirklich wichtigen Arbeiten seines Hauses konzentriert, läuft er Gefahr, dass „karlieren“ zum Synonym für „prokrastinieren“ wird.

Ein Gesetz durch den Bundestag gebracht – aber nicht das wichtigste

Immerhin das Cannabisgesetz hat Lauterbach als Gesetz erst einmal erfolgreich abgeschlossen und durch die namentliche Abstimmung im Bundestag gebracht. Am 22. März berät der Bundesrat abschließend. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. April 2024, sofern CDU/CSU mit ihrer Resolution, dass die geplante Legalisierung gegen das Völker- und Europarecht verstoße, nicht doch noch ein Stöckchen zwischen die Speichen des sich drehenden Rades stecken kann.

Am 22. März soll dann endlich das Krankenhaustransparenzgesetz als Teilschritt zur „Revolution“ des stationären Sektors folgen – sofern der Bundesrag zustimmt. Beide Gesetze sollten gemäß Planung des BMG eigentlich schon 2023 abgeschlossen gewesen sein. Die verdaddelte Zeit (Krankenhaustransparenzgesetz!) fehlt nun in diesem Jahr für für die vielen geplanten Gesetze und eben auch für das Tagesgeschäft.

Karl Lauterbach und die Aufträge aus dem Koalitionsvertrag

Mit dem Cannabisgesetz hat der Gesundheitsminister zwar eine weitere Pendenz des Koalitionsvertrags abgearbeitet, dafür fehlen aber noch andere. Es lohnt sich, hierzu mal wieder einen Blick in den Koalitionsvertrag zu werfen. Auch die vieldiskutierten Gesundheitskioske – ob sinnvoll oder nicht, lassen wir an dieser Stelle einmal außen vor – sind ja noch nicht beschlossene Sache, sondern Teil des Regelungskonvoluts der Versorgungsgesetze. Darin steckt im Übrigen auch die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung, ebenfalls eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag der Ampel.

Es geht um hausärztliche Leistungen …

Wortwörtlich heißt es dort auf Seite 66: „Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf.“ Diese Vorgabe ist nun nicht gleichbedeutend mit der Aussage, die Hausärzte zu entbudgetieren, sondern ungleich komplexer. Dies vor allem, nachdem die Kinder- und Jugendärzte bereits im vergangenen Jahr nach massiven Protesten entbudgetiert worden waren. Die Aufgabe wird nicht leichter, wenn man statt „Hausärzte“ das Wort „Grundversorger“ nimmt. Aber die Lösung wäre wesentlich sinnvoller, da an basalen Versorgungsnotwendigkeiten orientiert. Dann wäre zum Beispiel auch die Gynäkologie mit Teilen ihres Arbeitsspektrums mit im Boot, die insbesondere für junge Frauen eine solche Rolle einnimmt.

… und nicht um die Hausärzteschaft

Genau hier befindet sich meines Erachtens auch die Abgrenzung beziehungsweise der Gestaltungsspielraum zur fachärztlichen Versorgung, die von Lauterbach gerne als „zweite Facharztschiene“ apostrophiert wird. Womit wir bei der Schnittstelle zu der Krankenhausreform und dem Versorgungsgrad der Krankenhäuser anhand ihre Leveleinstufung wären.

Verbandsegoismen versus echte Entbudgetierung

Eine Diskussion auf dem Level der bisherigen Gruppeneinteilungen wie Hausärzte und Fachärzte führt an dem Thema der Versorgungsverbesserung durch Entbudgetierung vorbei. Jedoch ist der Vorhang zur Aufführung dieses Theaterstückes bereits geöffnet: Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gegen Hausärzteverband (HÄV). Der Hausärzteverband will nämlich das große Paket inklusive hausarztzentrierter Versorgung durchbekommen. Was nichts anderes ist Verbandsegoismus, um die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft Aktiengesellschaft HÄVG AG im Rennen zu halten. Denn für jeden dem HZV-Vertrag beigetretenen Patienten gibt es für die Praxis unter anderem einen Bonus, es werden aber auch 4 Prozent Verwaltungskosten fällig. Das Thema ist selbstverständlich nicht nur auf diesen Aspekt zu reduzieren. Aber es soll nur exemplarisch aufzeigen, wo die Fallstricke in den Entbudgetierungsverhandlungen mit dem BMG liegen. In einer uneinigen Ärzteschaft.

Dabei ist die Sache ganz einfach: Es gibt wesentlich mehr hausärztlich tätige Medizinerinnen und Mediziner als Hausarztverbandsmitglieder. Und angesichts von16 KVen auch 16 unterschiedliche Auszahlungsquoten. Wem sollte nochmal geholfen werden?

Milliarden werden zusätzlich aus der GKV gezogen

Für die Zahlerseite, die gesetzlichen Krankenkassen, wird das „Spiel“ nicht nur kostspielig, sondern existenzgefährdend. Angesichts der von Lauterbach bereits verkündeten finanziellen Aufwendungen für die Kliniken – allein für den Krankenhaustransformationsfonds haben Bund und Länder 50 Milliarden Euro beschlossen, hinzuzählen muss man noch die von Lauterbach vorgesehene Soforthilfe für die angeschlagenen Kliniken in Höhe von fünf Milliarden Euro – wird der Spielraum für Entbudgetierungen im Sinne steigender Einnahmen für die Leistungserbringer sehr eng. Denn der Minister will nach eigenem Bekunden den 50-Prozent-Anteil des Bundes aus der GKV-Kasse nehmen. Wie das GKV-System all diese enormen Zusatzbelastungen stemmen soll, sagt der Minister natürlich nicht.

Häuptling „Gespaltene Zunge“

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Minister mit „gespaltener Zunge“ redet und auch so agiert. Denn der Gesundheitsökonom, der einerseits seit Anfang vergangenen Jahres angesichts zunehmender Insolvenzen von der Entökonomisierung der Kliniken schwadroniert, hat andererseits bis heute noch nicht einmal einen Gesetzentwurf zustande gebracht, um die fünf Milliarden Euro „Soforthilfe“ für die Kliniken auch zur Auszahlung bringen zu können. Das wirkt so, also ob der Minister insgeheim auf eine kalte Strukturbereinigung hoffen würde. Auch eine Form, den bei der Klinikreform bockenden Ländern zu zeigen, dass er am längeren Hebel sitzt und man auf seine Forderungen tunlichst eingehen sollte.

Soweit die holzschnittartige Beschreibung der finanziellen Situation der GKV, bei der die zunehmende Eintrübung der wirtschaftlichen Lage samt Arbeitsplatzverlusten bis dato noch nicht auf die Einnahmen durchgeschlagen ist. Aber dieses wird unvermeidbar kommen. Auf einen höheren Anteil des Bundes zu hoffen, wird Hoffnung bleiben. Dieser zieht über die versicherungsfremden Leistungen bereits seit Jahren Geld mehr aus dem System, als er einzahlt: derzeit rund sieben Milliarden Euro.

Das nicht vorhandene Geld wird nur anders verteilt

Der wohlfeile Ruf an die Politik nach mehr Geld für das Gesundheitssystem wird angesichts der Geldnöte allerorten ungehört verhallen. Die Konsequenz wird mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sein, dass zwar entbudgetiert werden wird, aber die erbrachten Leistungen in der Entbudgetierung gleichzeitig weniger wert werden. Das sind keine rosigen Aussichten für die Zahnärzteschaft für die Verhandlungen zum Budget für 2025.

Denkt man die Lauterbach‘schen Reformbemühungen von Gesundheitskiosken bis Krankenhausreform zu Ende, wird im Ergebnis die Verstaatlichung immer wahrscheinlicher. Doch selbst wenn es so weit nicht kommen sollte, bleibt das bereits heute bestehende Problem, dass die Leistungsentnahme aus dem GKV-System größer ist als die Einnahmen – im ambulanten System nur noch verborgen durch selbstausbeuterisch tätige Leistungserbringer.

GKV-Leistungen in die Hand der Patienten geben

Um aus dieser Abwärtsspirale herauszukommen kann die Lösung nur heißen, das GKV-Leistungsvolumen zu begrenzen und Leistungen aus der GKV in die Hand der Patienten zu geben. Dass dieses Konzept funktioniert, beweisen die zahnärztlichen Praxen jeden Tag. Es bietet sich an, diesen Weg im Sinne einer präventiven Zahnmedizin oder besser „oralen Medizin“ sinnhaft weiter auszubauen. Das alles ist keine Theorie, denn insbesondere die Zahnmedizin hat einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen – vom hauptsächlichen Reparatur- hin zu einem Erhaltungs- und Präventionsbetrieb. Oder etwas plakativer als Beispiel formuliert: Reine Reparaturleistungen bei Installation einer Härtefallklausel im GKV-Leistungskatalog maximal beschränken.

Der Stein beginnt zu rollen

Selbst die Krankenkassen beginnen in diese Richtung zu denken. Der Vorstand der „IKK – die Innovationskasse“, Ralf Hermes, hatte bereits im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, die Zahnmedizin weitestgehend aus der GKV zu nehmen. Dafür bezog er heftig Prügel, auch von Kassenseite. Sein neuester Vorschlag lautet „IKK Wahltarif“: 1.000 Euro Selbstbehalt der Versicherten bei ZE-Leistungen für 300 Euro jährliche Prämie.
Der Stein beginnt zu rollen. Bevor dieser metaphorisch zu viel Fahrt aufnimmt und der Überbietungswettbewerb seitens der Kostenträger startet, sollte die Zahnärzteschaft Ideen und Vorschläge erarbeiten und das Ganze als einen strukturierten Prozess unter zahnärztlicher Führung und im Sinne einer präventionsorientierten Zahnmedizin gestalten. Nur dann kann es was werden.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Reference: Politik Praxis

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