Wer einen Activity Tracker benutzt, kennt vielleicht folgende Situation: Auf dem üblichen Weg zur Arbeit möchten Sie die Treppe nehmen und ein paar zusätzliche Schritte sammeln und merken, dass Sie Ihren Tracker zu Hause vergessen haben. Was jetzt – trotzdem die Treppe nehmen, obwohl die zusätzlichen Schritte nicht erfasst werden? Oder doch den Aufzug, weil die zusätzlichen Schritte ja nicht elektronisch verbucht werden?
Christiane Attig Bild: Lili HofmannDiese und ähnliche Fälle haben Christiane Attig, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Allgemeine und Arbeitspsychologie des Instituts für Psychologie der Technischen Universität Chemnitz, und Prof. Dr. Thomas Franke, Inhaber der Professur für Ingenieurpsychologie und Kognitive Ergonomie am Institut für Multimediale und Interaktive Systeme der Universität zu Lübeck, untersucht, so eine Meldung auf IDW online [ Attig C, Franke T, I Track, Therefore I Walk, International Journal of Human-Computer, April 2018]. Konkret gingen sie der Frage nach, ob Activity Tracker eine Art Abhängigkeit erzeugen können, die sich zum Beispiel dann zeigt, wenn man den Zähler vergessen hat. Außerdem untersuchten sie, ob diese Abhängigkeit für bestimmte Nutzer oder Nutzerinnen stärker ausgeprägt ist als für andere.
Einfluss des Activity Trackers auf die Motivation
„Inspiriert wurde die Studie durch eigene Erfahrungen – ich selbst habe lange Zeit einen Activity Tracker getragen und zunehmend gemerkt, wie ich den Spaß an der Bewegung verlor und stattdessen gewisse Aktivitäten nur durchgeführt habe, damit ich ein schönes Ergebnis sah“, berichtet Attig. Dieses Verhalten habe sie an einen bekannten Effekt aus der Sozialpsychologie erinnert: „Der Korrumpierungseffekt besagt, dass eine primär intrinsische Motivation für eine Tätigkeit durch externe Belohnungen abgemindert werden kann.“ Im Falle der Trackernutzung bedeute das: „Wenn ich für eine sportliche Aktivität, die mir Spaß macht, durch das positive Tracker-Feedback zusätzlich belohnt werde, dann kann das dazu führen, dass ich die Aktivität eher als Arbeit empfinde und folglich weniger Spaß habe. Fällt dann die Belohnung des Schrittzählers weg, kann eine Aktivitätsreduktion die Folge sein.“
Abhängigkeit im Verhalten, im emotionalen oder kognitiven Bereich
Um zu untersuchen, ob Motivationsverluste durch Activity Tracker tatsächlich in der alltäglichen Nutzung vorkommen, konzipierten Attig und Franke eine Online-Studie, in der die Befragten gebeten wurden, sich in Situationen wie die eingangs geschilderte hineinzuversetzen und einzuschätzen, ob sie sich für ein weiterhin aktives Verhalten oder eine Aktivitätsreduktion entscheiden würden. Zusätzlich neben der Abhängigkeit auf Verhaltensebene auch Folgen im emotionalen oder kognitiven Bereich erfasst. „Denkbar war, dass die Gedanken immer wieder darum kreisen, ob der Tracker die Aktivität gerade korrekt aufzeichnet oder dass man am Ende des Tages enttäuscht ist, wenn das gegebene Feedback nicht den Erwartungen entspricht“, erklärt Franke.
Abhängigkeitseffekt bestätigt
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Tracker-Nutzer und -Nutzerinnen den Abhängigkeitseffekt durchaus aus ihrem Alltag kennen – allerdings nicht der Großteil der Nutzenden. Etwa 18 Prozent der Befragten gaben an, eher zu weniger Aktivität zu tendieren, wenn sie ihren Schrittzähler nicht tragen. Enttäuschung bei negativem Feedback und eine starke gedankliche Beschäftigung mit dem Tracker gaben rund 48 Prozent der Befragten als bekannt an. „Die Nutzung muss sich nicht negativ auf die Motivation auswirken, sich aktiv zu bewegen. Motivationsverluste werden aber wahrscheinlicher, wenn man ohnehin weniger Spaß am Sport empfindet, Sport aus extrinsischer Motivation heraus macht – etwa um Gewicht zu verlieren oder fitter zu werden – und wenn man den Tracker nicht aus reinem Interesse an den Daten nutzt“, so Franke. Die Forschenden folgern daraus, dass Motivationsverluste nicht zwingend auf den Korrumpierungseffekt zurückgehen müssen, dass es aber ein denkbarer Mechanismus für die nachlassende Lust zum Sport sein könne.
Aktivität um ihrer selbst willen
Und was bedeutet das für Nutzende und Hersteller von Activity Trackern? „Wenn man merkt, dass man vielleicht ein bisschen zu häufig daran denkt, ob auch alle Schritte erfasst werden oder denkt, dass sportliche Aktivitäten umsonst waren, wenn sie nicht korrekt erfasst wurden, dann könnte es helfen, sich klar zu machen, dass man die Aktivtäten letztlich immer für sich selbst ausführt“, erklärt Attig. Die Fitness-Gadgets sollten demnach so gestaltet sein, dass das Feedback die Autonomie der Nutzer und Nutzerinnen stärkt. Sie sollten außerdem den Spaß an der Bewegung vermitteln, unabhängig von der Schrittzahl auf dem Display.
Im Rahmen einer Folgestudie möchten die Psychologen untersuchen, ob der Abhängigkeitseffekt auch dazu führen könnte, dass Nutzende ihren Activity Tracker überhaupt nicht mehr verwenden. „Die Schrittzähler haben ein großes Potenzial, Menschen zu mehr Alltagsbewegung zu motivieren, um beispielsweise Übergewicht und kardiovaskulären Erkrankungen vorzubeugen. Um dieses Potenzial optimal auszunutzen, ist es wichtig zu verstehen, welche psychologischen Auswirkungen diese Geräte haben können – positiv wie negativ“, so Attig. Die Frage, ob Treppe oder nicht, wird dann nicht mehr so schwer zu beantworten sein.