Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind schwer behandelbar und bergen Komplikationsrisiken, darunter das Entstehen von Darmkrebs. Betroffen sind insbesondere junge Menschen: Kommen Veranlagung und bestimmte Faktoren zusammen, treten Erkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn meist zwischen dem 15. und 29. Lebensjahr zutage – eine Zeit, in der Ausbildung und Berufsstart im Zentrum stehen.
Entscheidend für die Therapie sind eine zügige Diagnose und Behandlung. Forschende der Charité Berlin haben jetzt einen therapeutischen Angriffspunkt entdeckt, der maßgeblich dazu beiträgt, die fortwährenden Entzündungsprozesse zu stoppen. Sie beschreiben ihn im aktuellen Journal Nature Immunology*.
Immer mehr junge Menschen betroffen
Mal schleichend, mal in Schüben, verbunden mit starken Bauchkrämpfen und Durchfällen, begleitet von Gewichtsverlust, Müdigkeit und einem hohen Leidensdruck – so zeigen sich die beiden häufigsten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Während bei Colitis ulcerosa nur die Schleimhaut des Dickdarms betroffen ist, sind es bei einer Crohn-Erkrankung die gesamte Darmwand, vor allem im Dünndarm, mitunter aber auch Magen und Speiseröhre. Die anhaltenden Entzündungen schädigen das Gewebe dauerhaft und erhöhen das Krebsrisiko. „Wir treffen in der Klinik vor allem auf junge Patient:innen, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Bisher können wir die Krankheitsverläufe nur verlangsamen und Symptome lindern. Nicht alle Betroffenen sprechen gleichermaßen auf aktuelle Behandlungen an. Neue therapeutische Ansatzpunkte sind daher dringend nötig“, so Hegazy. Klassische Behandlungsstrategien unterdrücken meist das Immunsystem. Neuere Therapien greifen gezielt in die Entzündungsreaktion ein und blockieren bestimmte körpereigene, entzündungsfördernde Botenstoffe.
Unkontrollierte Kettenreaktion
Die Auslöser für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Neben genetischen Komponenten tragen mit hoher Wahrscheinlichkeit Umwelteinflüsse zum ihrem Entstehen bei. Prof. Ahmed Hegazy erforscht an der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité die Entzündungsmechanismen und die Immunabwehr des Darms. Als treibende Kraft chronischer Darmentzündungen konnte er mit seinem Team das Zusammenspiel zweier Botenstoffe des Immunsystems ausmachen: Interleukin-22, ein Protein, das Zellen des Darmwandepithels unterstützt und deren Barrierefunktion erhält sowie Onkostatin M, ein Signalmolekül, das wesentlich an der Geweberegeneration und Zelldifferenzierung beteiligt ist.
Bestimmte Immunzellen produzieren Onkostatin M, das weitere Entzündungsfaktoren aktiviert – eine Kettenreaktion setzt sich in Gang, die zu einer ungehemmten Immunreaktion führt. „Besonders interessant war für uns, dass Patientinnen und Patienten mit hoher Onkostatin-M-Produktion auf einige bekannte Therapien nicht ansprechen“, erklärt Hegazy. „Die Onkostatin-M-Expression kann als Biomarker für einen schweren Krankheitsverlauf dienen.“
Fünf Jahre lang untersuchte das Forschungsteam die Mechanismen, die hinter den durch Onkostatin M ausgelösten Entzündungsreaktionen stehen. Modernste Einzelzell-Sequenzierungen zeigten, dass im entzündeten Darm deutlich mehr unerwartete Zelltypen Bindungsstellen für Onkostatin M aufweisen und zusätzliche Immunzellen das Entzündungsprotein produzieren. Interessanterweise macht das ursprünglich gewebeschützende Interleukin-22 die Darmepithelzellen gleichzeitig empfindlicher für Onkostatin M, indem es die Bildung zusätzlicher Andockstellen fördert. „Die beiden Immunbotenstoffe arbeiten zusammen und heizen die Entzündung weiter an, wodurch noch mehr Immunzellen in den Darm gelockt werden – ein Feuer, das immer mehr Nahrung erhält und sich ausbreitet“, beschreibt Hegazy. „In unseren Modellen haben wir gezielt die Bindungsstellen für den Entzündungsbotenstoff Onkostatin M blockiert und konnten beobachten, dass sich dadurch chronische Darmentzündungen sowie die damit verbundene Krebsentwicklung deutlich abschwächen.“
Gezielte Therapie in Sicht
In Gewebeproben von Patientinnen und Patienten mit Darmkrebs infolge einer chronischen Darmentzündung fanden die Forschenden eine besonders hohe Anzahl von Bindungsstellen für Onkostatin M im Umfeld der Tumoren – nicht jedoch im angrenzenden gesunden Gewebe. Eine Beobachtung, die nahelegt, dass der entdeckte Signalweg die Krebsentwicklung fördert. Doch nicht bei allen Betroffenen führt die chronische Entzündung unmittelbar zu Darmkrebs. „Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind sehr komplex und verlaufen individuell unterschiedlich. Genau das macht ihre Behandlung und Verlaufsprognose so schwierig“, erklärt Prof. Britta Siegmund, Direktorin der Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie. „Anhand der jetzt aufgedeckten Rolle von Onkostatin M und seiner verstärkenden Wechselwirkung mit Interleukin-22 verstehen wir die Mechanismen, die chronische Entzündungen bei bestimmten Betroffenen antreiben, besser. Das ermöglicht, neue Therapieansätze zu testen und weiterzuentwickeln.“
Aus den experimentellen Erfolgen des Forschungsteams soll eine konkrete Behandlungsmöglichkeit werden: durch die gezielte Hemmung der Verbindung zwischen den Botenstoffen Interleukin-22 und Onkostatin M. Eine klinische Studie mit einem Antikörper, der gezielt Andockstellen für Onkostatin M blockiert, ist bereits angelaufen.