Am vergangenen Wochenende traf sich der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ zur dritten und letzten Präsenzsitzung in Berlin, um die Arbeit an seinen Empfehlungen für den Deutschen Bundestag zu den gewählten Themenkreisen „Label und Kennzeichnung“, „Tierwohl und Tierhaltung“ sowie „Bezahlbarkeit von Lebensmitteln“ fortzusetzen und zum Abschluss zu bringen.
Am 14. Januar 2024 wurden die Empfehlungen final abgestimmt und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vorgestellt. Folgende neun Empfehlungen wurden durch den Bürgerrat ausgesprochen (die Empfehlung mit der höchsten Priorisierung wird zuerst genannt):
- Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder als Schlüssel für Bildungschancen und Gesundheit
- Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label
- Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel
- Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen
- Fördern statt Fordern – neuer Steuerkurs für Lebensmittel
- Gesunde, ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung in Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und sonstigen Pflegeeinrichtungen
- Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls
- Altersgrenze für Energydrinks
- Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz der Ergebnisse für die Öffentlichkeit
Aufklärung und Bildung sind das Fundament
Zudem hat der Bürgerrat in einer übergreifenden Empfehlung festgestellt, dass Aufklärung und Bildung das Fundament für alle anderen Empfehlungen des Bürgerrats sind. Die ausführlichen Empfehlungstexte und weitere Abstimmungselemente gibt es als pdf-Dokument.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dankte den Mitgliedern des Bürgerrats: „Demokratie geht uns alle an. Im Bürgerrat ‚Ernährung im Wandel‘ wurde Demokratie gelebt, in einem Klima von Offenheit, Neugier und Mut zum sachlichen Austausch. Ich danke allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dafür, dass sie sich die Zeit genommen haben, sich tief in das Thema Ernährung einzuarbeiten. Durch ihre Empfehlungen haben sie wichtige Impulse für unsere parlamentarische Arbeit gegeben. Sehr konkrete Empfehlungen wie ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder oder eine Altersgrenze für Energydrinks sind nun auf dem Tisch, mit denen wir uns jetzt als Abgeordnete auseinandersetzen werden. Mit diesen Empfehlungen sollten sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag intensiv beschäftigen. Der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestages ist ein gelungenes und innovatives Beispiel für lebendige Demokratie.“
Zu den vorgestellten Empfehlungen erklärt DANK-Sprecherin und DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer: „Die Empfehlungen des Bürgerrates sind eindeutig und zeigen, was die Menschen in unserem Land wirklich wollen. Eine gesunde, klimafreundliche und bezahlbare Ernährung für alle Menschen ist nur möglich, wenn es auch bei der Lebensmittelbesteuerung keine Denkverbote mehr gibt. Die steuerliche Entlastung von gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Hülsenfürchten und eine höhere Besteuerung von Zucker machen die gesunde Wahl zur einfacheren Wahl und führen auch zu Einsparungen im Gesundheitssystem im Bereich ernährungsbedingter Erkrankungen. Die wichtigen und richtigen Empfehlungen des Bürgerrates dürfen jetzt aber nicht zu einem weiteren geduldigen Papiertiger werden. Eine gesunde und nachhaltige Ernährung kann nur funktionieren, wenn wir das Mehrwertsteuersystem für Lebensmittel grundlegend überdenken. Das ist nun die Hausaufgabe für die Bundesregierung.“
Die 160 Mitglieder des Bürgerrats wurden ausgelost und tagten seit September 2023 an drei Präsenzwochenenden und sechs Online-Sitzungen. Ein wissenschaftlicher Beirat, für den alle Fraktionen des Deutschen Bundestags Experten benannt haben, unterstützte den Bürgerrat bei seiner Arbeit. Eine wissenschaftliche Evaluation begleitet den Bürgerrat. Die Auswertung wird voraussichtlich Ende Februar 2024 vorliegen.
Empfehlungen zu Zuckerabgabe oder -steuer erhielten keine Mehrheit
Zu den Empfehlungen, die keine mehrheitliche Zustimmung des Bürgerrats erhielten, gehörten auch Vorschläge rund um eine Zuckersteuer, wie die gestaffelte Herstellerabgabe von allen zuckerhaltigen Getränken sowie Getränken mit Süßungsmitteln und eine Lenkungssteuer oder Herstellerabgabe auf zuckerhaltige Getränke. Stattdessen braucht es Alternativmaßnahmen, so der Bürgerrat. Und hier lohnt sich das Weiterlesen
Fördern statt Fordern
Diese Alternativmaßnahmen werden in der Empfehlung „Fördern statt Fordern – neuer Steuerkurs für Lebensmittel“ erläutert. Hier heißt es wörtlich:
„Aufgrund der Weiterentwicklung der Gesellschaft hat sich die aktuelle Definition der Grundnahrungsmittel überholt. Dies verlangt in Teilen einer neuen und vereinfachten Definition. Diese neue Definition sollte Lebensmittel berücksichtigen, die vegan, vegetarisch, klimafreundlich, nach Bio-Standard erzeugt und gesund sind. Es sollen somit die unterschiedlichen Ernährungsformen gleichgestellt werden. Als konkrete Beispiele für neue Grundnahrungsmittel sind zu nennen:
- pflanzliche Milchersatzprodukte
- Fleischersatzprodukte
- alle nach Bio-Standard erzeugten Produkte.
Als Teil der Maßnahme zur Verbesserung der gesunden Ernährung empfehlen wir, die Steuer folgender Produkte auf 0 Prozent MwSt. anzupassen:
- unverarbeitetes Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität
- tiefgefrorenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität
- Obst und Gemüse, das der Klasse 2 angehört (nicht der optischen Norm entspricht)
- Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide
- Mineral- und Tafelwasser.
Wir empfehlen auch eine Neuklassifizierung des Grundnahrungsmittels Zucker. Der Rohstoff Zucker, egal aus welcher Ursprungs- oder Herstellungsform, soll nicht mehr als Grundnahrungsmittel klassifiziert sein und somit die MwSt. auf 19 Prozent angepasst werden.“
Tierwohlabgabe oder Umgestaltung der Besteuerung von Fleisch
Zu Fleisch empfiehlt der Bürgerrat eine Umgestaltung, wenn eine Tierwohlabgabe nicht beschlossen wird. Insgesamt erhofft sich der Bürgerrat durch die Veränderung der Mehrwertsteuer Anreize für die Konsumentinnen und Konsumenten zu schaffen, um vermehrt gesunde Lebensmittel zu kaufen. Die Mindereinnahmen durch Senkung der Mehrwertsteuer für gesunde Lebensmittel würden durch die Mehreinnahmen der Mehrwertsteuersätze für ungesunde Lebensmittel und die enormen Einsparungen im Gesundheitswesen kompensiert.
Weitere Vorteile seien die Verbesserung und Förderung eines nachhaltigen Anbaus von pflanzlichen Produkten und die verbesserte Tierhaltung – Maßnahmen, die wiederum dem Klima zugute kämen.
Wie geht es weiter?
Am 20. Februar um 18:30 Uhr wird das ausformulierte Bürgergutachten mit allen Empfehlungen und Informationen zum Prozess Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben werden. Das Gutachten wird als Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Bei der Veranstaltung ist eine erste fraktionsübergreifende Diskussion der Empfehlungen mit Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern geplant. Zu einem späteren Zeitpunkt wird das Bürgergutachten im Plenum und in Fachausschüssen diskutiert, heißt es in der Pressemitteilung des deutschen Bundestags.