Ein Beitrag von Daniel Kirndörfer, Nürnberg
Einleitung
Im zahntechnischen Laboralltag ist festzustellen, dass Patienten nicht nur im Konsumbereich, sondern auch bei Zahnersatz oft ihre Priorität auf das Merkmal „günstig“ legen. Sie lassen sich vom Zahnarzt Versorgungsalternativen erklären und gehen dann einen Mittelweg, bei dem sie die Verbindung ihrer wichtigsten Kriterien sehen: Der Zahnersatz möge als solcher nicht erkennbar sein, er soll „schön“ sein; die Kaufunktion und Phonetik sollten dem Gewohnten entsprechen, eine lange Haltbarkeit beziehungsweise Reparaturfreundlichkeit müsse gegeben sein, der Zahnersatz soll „gut“ sein; die Kosten – von denen sie meist vor dem Zahnarztbesuch keine Vorstellung haben – dürften einen gefühlten Rahmen nicht verlassen, der Zahnersatz soll „günstig“ sein. „Gut“ und „schön“ sehen die Patienten bei vielen besprochenen Möglichkeiten erfüllt, der Kostenfaktor gibt dann oft den Ausschlag für die Entscheidung.
Ist diese für ein Material gefallen, liegt die größte zahntechnische Herausforderung häufig, so wie auch hier vorgestellt, darin, das „Schöne“ entsprechend vorgelegten Beispielen und Patientenerwartungen herauszuarbeiten und individuell zur Geltung zu bringen. Im Fallbeispiel waren insbesondere verfärbte Stümpfe zu maskieren und eine Frontzahnlücke per Zwischenglied zu schließen. Diese Anforderungen umzusetzen, muss dann aber auch wirtschaftlich realisierbar sein.
Kasuistik
Anamnese und Diagnostik
In der Praxis stellt sich eine 64-jährige Patientin vor, die mit ihrer VMK-Versorgung im Oberkiefer ästhetisch unzufrieden ist. Die Gerüste zeigen sich 10 bis 15 Jahre alt, das Zahnfleisch ist zurückgewichen und gibt Metallränder beziehungsweise Zahnhälse frei. Nach der Abnahme der Versorgung zeigt sich, dass mehrere Zähne endodontisch behandelt wurden, die Zähne regio 12 sowie distal ab 26 fehlen (Abb. 1). Alle vorhandenen Oberkieferzähne außer 16 und 17 sind invasiv präpariert, mehrere weisen Verfärbungen auf; Sekundärkaries zeigt sich nicht. Da die Zähne 16 und 17 klinisch unauffällig sind, sollen sie unversorgt bleiben. Implantate wünscht sich die Patientin nicht, ebenso wenig die Neuversorgung des Unterkiefers (vgl. Abb. 23). Allerdings weist der Unterkiefer deutliche Abrasionen auf. Die klinische Befundung einschließlich der gegebenen Gingivarezession und Abrasionen legt die Vermutung nahe, dass eine Dysfunktion vorliegt. Deshalb wird eine Funktionsabformung durchgeführt. Außerdem werden der Gesichtsbogen für die gelenkbezügliche Einartikulation herangezogen, der Biss genommen und eine elektronische Axiographie mit dem zebris JMA-System vorgenommen (zebris Medical, Isny, Vertrieb: Schütz Dental, Rosbach).
Planung
Anhand von Situationsmodellen werden im zahnärztlich-zahntechnischen Team Versorgungsmöglichkeiten diskutiert und eine erste optische Planung durchgeführt. Die Ergebnisse werden in der nächsten Sitzung mit der Patientin besprochen, sie wird aufgeklärt und beraten. Metallbasierte Restaurationen wünscht sich die Patientin mit den gemachten Erfahrungen nicht mehr, sie gibt der „bionischen Versorgung“ den Vorzug, die sich kostengünstiger als eine reine Zirkoniumdioxidversorgung darstellt und weitere Vorzüge beinhaltet. Als Materialien kommen dabei zirkoniumdioxidverstärktes Komposit als Gerüst (Tizian Blank Zirkonverstärktes Komposit, Schütz Dental) und eine dünne Schicht Verblendkomposit zum Einsatz (dialog Occlusal, Schütz Dental). Aufgrund der Kombination aus elastischerem Kernmaterial und druckfesterer Verblendung ahmt die Gesamtversorgung die Physik des natürlichen Zahns nach, die Antagonisten und das Kiefergelenk werden durch Pufferwirkung geschont. Vor allem wegen dieser Eigenschaften favorisiert der Zahnarzt dieses „Gespann“ für die hier vorgestellte Patientin. Die Neuversorgung soll die Funktion voll rehabilitieren und zur Erholung der Gingiva beitragen. Nach Vorlage und Genehmigung des Heil- und Kostenplans werden die Zähne vom Zahnarzt vorsichtig nachpräpariert und, wo nötig, mit Aufbaumaterial versehen (Abb. 2). Die bionische kompositbasierte Versorgung hat den zusätzlichen Vorteil der Minimalinvasivität, um nicht noch weitere Zahnsubstanz opfern zu müssen. Im Labor wird der Patientenfall in der Tizian Creativ RT Software angelegt (Abb. 3). Das zahnärztliche-zahntechnische Team kommt in Abstimmung mit der Patientin zu folgendem Beschluss: eine kleine Brücke mit Zwischenglied 11-13, verblockte Kronen 14-15, 21-23 sowie 24-25.
Konstruktion mit Tizian Creativ RT Software
Für die Rekonstruktion wird die alte Versorgung mit einbezogen (Abb. 4). Anhand dieser und der abgeformten und gescannten Präparation (Abb. 5 und 6) wird der Platz für die neuen Restaurationen berechnet. Die Einblendung der Zahnfleischmaske verdeutlicht, wie weit die Ausformung zervikal erfolgen kann (Abb. 7). Zahn 23 soll zervikal nicht kaschiert werden, denn die Patientin entblößt den Bereich beim Lachen nicht. Dieser ist auch nicht hypersensibel.
Die gewonnenen Werte sowie die zebris-Messungen erlauben das patientenindividuelle Einstellen im virtuellen Artikulator (Abb. 8). Mit links- und rechtsseitig exakt definiertem Bennett-Winkel, den Gelenkbahnneigungen und dem Immediate Sideshift lässt sich die prothetische Ausgangssituation in Protrusion, Retrusion und Laterotrusion beidseitig anschauen. Es wird deutlich, dass der Mittelwertartikulator nicht ausgereicht hätte, um der Patientin gerecht zu werden und den passgenauen Zahnersatz ohne Einschleifmaßnahmen zu realisieren.
Als nächster Schritt folgt die Festlegung des Zementspaltes (Abb. 9), anschließend liefert die Software den Vorschlag für die Außenkontur der Restaurationen (Abb. 10). Insbesondere werden die Basalflächen und zervikalen Ränder des Zwischenglieds 12 angepasst. Mit dem Glättungs-Tool werden alle Oberflächen geglättet. Für die Kontrolle (Schichtstärke, Verbinderstärke, Kontaktpunkte usw.) bietet die Software mehrere Möglichkeiten – hilfreich für das Auge ist unter anderem die Darstellung im TruSmile-Design (Abb. 11). Im hier vorgestellten Fall bietet es sich des Weiteren an, die Verbinder palatinal zu verschieben, damit später vestibulär nicht viel Nacharbeit bleibt.
Die zu fräsenden Objekte werden als Gerüste benötigt, da sie noch eine dünne Kompositschicht erhalten sollen. Wenn man sie aber reduziert konstruiert und nicht vollanatomisch, würde dies bedeuten, dass die Verblendung im Nachhinein freihand aufgebracht werden muss, ohne ein Maß für die Außenkontur zu haben. Daher bevorzugt der Autor die vollanatomische Form, um hiervon einen Silikonschlüssel zum Orientieren zu nehmen.
Fräsen und Finieren
Die fertige Konstruktion (Abb. 12 und 13) wird als offener STL-Datensatz an die CAM-Einheit übergeben (Fünf-Achs-Tischgerät Tizian Cut 5 smart, Schütz Dental). Da die Daten archiviert werden, kann der Rohling später weiterverwendet werden (Abb. 14 und 15). Die herausgefrästen Objekte, Trockenbearbeitung ohne anschließende Sinterung, passen sehr gut auf das Sägeschnittmodell (Abb. 16).
Mittels Cut-back-Technik werden erstens in der Front die inzisalen Anteile individualisiert, sodass trotz der unterschiedlichen Untergründe farbliche Harmonie erreicht wird, sowie zweitens okklusal die dämpfende Kompositschicht im Sinne der bionischen Versorgung aufgebracht (Abb. 17). Dies geschieht mit dem Hartmetallfräser. Turbine und Wasserkühlung werden, anders als bei Zirkoniumdioxid, nicht herangezogen. In der Front lassen sich die gewünschten Strukturen schnell einkerben, in gleicher Weise ist das okklusale Zurücknehmen (max. 0,5 Millimeter) rasch zu bewerkstelligen. Dieses Vorgehen des manuellen Cut-backs mit anschließendem Schichten unter Zuhilfenahme des Silikonvorwalls ist kontrolliert und stellt sich präziser und schneller dar, als wenn auf digital reduzierten Gerüsten ohne Vorwall gearbeitet werden muss.
Die Vollverblendungen werden insbesondere mit den Schneidemassen des Komposits dialog Occlusal geschaffen. Diese besitzen für exaktes Modellieren eine höher viskose Konsistenz. Eine Ausarbeitung mit dem Pinsel oder besser noch mit dem Spatel ist möglich. Auf den Wänden wird das Material auslaufend nach zervikal verstrichen. Die devitalen Stümpfe werden mit Malfarben angepasst, im inzisalen Bereich kommt vor allem die Transpa-Masse zum Einsatz. Die Farben sind untereinander und mit dem Komposit mischbar. Das Farbergebnis ist bereits während der Gestaltung sichtbar, nicht erst nach der Härtung im Lichtgerät. Das erleichtert auch im vorliegenden Fall die Anpassung der unterschiedlichen Stümpfe und des Zwischengliedes 12 (Abb. 18 bis 22). Auf die dunklen Frontzähne im Unterkiefer, deren Sanierung ein Zukunftsprojekt ist, wird bei der Farbgebung des Oberkiefers keine Rücksicht genommen (Abb. 23).
Schlussbemerkungen: Der Vierklang
Patientenwunsch – Realisierbarkeit – Zahnarzt – Laborbelange
Die Patientenwünsche hinsichtlich Ästhetik, Funktion und Ökonomie sind nicht immer leicht zu erfüllen. Zumal der Aspekt der Wirtschaftlichkeit für das Labor oder den Zahnarzt auch in dieses Szenario hineinspielt. Im vorliegenden Fall ließen sich aber alle Ansprüche zufriedenstellend miteinander vereinen.
Die Patientin kam mit einem Wunsch nach Ästhetik in die Praxis. Dass oft mehr dahinter steht, im vorliegenden Fall funktionelle Defizite, ist so manchem Patienten nicht klar. Neben dem nachvollziehbaren Ästhetik-Wunsch, ist die eigentlich sogar höher einzuschätzende Forderung nach Wiederherstellung und Erhalt der Funktion getreten. Hier greift die „bionische Versorgung“ auf allen Ebenen. Das Gerüstmaterial, ein Hochleistungskunststoff mit Zirkoniumdioxid-Füllstoffen, besitzt einen Elastizitätsmodul von 3050 MPa, eine moderate Vickers-Härte von 196 MPa und eine Biegefestigkeit von 72 MPa. In der Versorgung übernimmt dieses Material die Funktion des Dentins. Hierauf abgestimmt ist das ebenfalls elastische, aber härtere Kunststoff-Verblendmaterial dialog Occlusal. Insgesamt wird der physikalische Aufbau des natürlichen Zahns nachgeahmt. Durch diese mechanischen Eigenschaften eignet sich die Versorgung gerade auch für CMD- und Bruxismus-Patienten, zusätzlich genauso bei Implantaten. Denn die Elastizität des Systems dient als Puffer, was die Belastung von Antagonisten, Knochen und Kiefergelenken reduziert. Hinzu kommt das ästhetische Erscheinungsbild, das sich keramikähnlich nennen lässt. Da das Materialsystem ökonomischer sowie die Verarbeitung einfacher ist als im Fall von Zirkoniumdioxid, erfahren so versorgte Patienten die Realisierung ihrer Wünsche nach „günstig, gut und schön“, selbst bei ästhetisch diffiziler Ausgangslage wie im hier beschriebenen Fall.
Erfüllen sich aber auch die Wünsche von Labor und Zahnärzten? Dem Zahnarzt gefallen die Funktions- und Ästhetikeigenschaften der bionischen Versorgung meist sehr gut. Hinzu kommt die leichte Reparatur- oder Anpassungsmöglichkeit, die im Patientenmund erfolgen kann und sich ohne lange Stuhlzeiten vollzieht. Es ist kein Sintern oder sonst zirkoniumdioxidspezifisches Ver- und Bearbeiten nötig.
Der Autor schätzt die kunststoffähnliche Verarbeitung ohne gerätetechnische Anschaffungen. Kein Sinterofen, kein Brennofen, keine eigenen Bearbeitungsgeräte sind erforderlich. Solche Positionen müssen nicht in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen aufgenommen werden. Wer noch eine Fräsmaschine ohne Nassbearbeitung besitzt, braucht sich ebenfalls keine Gedanken zu machen, die Blanks sind trocken fräsbar – und die Ergebnisse stellen sich 1:1 ohne Schrumpf ein. Da sich darüber hinaus beim Verblendmaterial die Farbe schon während der Modellation zeigt, kann das ästhetische Potenzial effektiv genutzt werden. Die Wertschöpfung ist bei der bionischen Versorgung in jeder Hinsicht kalkulierbar. Die ökonomische Verarbeitung ist ein Muss, denn wegen des limitierten Kostenrahmens auf Patientenseite besteht auch in der Laborrechnung kein großer Spielraum für Unvorhergesehenes.