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IQWiG sieht im HTA-Bericht noch dürftige Studienergebnisse – keine belastbaren Aussagen zu Nutzen oder Schaden möglich

Magere Analysen liefern nur wenig zu Gesichtsästhetik und nichts zu Nebenwirkungen. Daten zu Atmung, Hören und Sprache fehlen ganz – das steht im 2. HTA-Bericht des ThemenCheck Medizin, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) jetzt zur Nasoalveolar-Molding-Methode (NAM) bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS) vorgelegt hat.

Bereits im Frühjahr 2019 war ein Vorbericht vorgelegt und um Stellungnahmen gebeten worden. Mit der Untersuchung beauftragt wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), der Bericht selbst geht auf den Vorschlag einer Bürgerin beim ThemenCheck Medizin zurück, so das IQWiG.

In Deutschland werden pro Jahr etwa 1.600 Kinder mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKGS) geboren, sie ist damit eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Sie kann in verschiedenen Ausprägungen vorkommen, und ihre Behandlung ist langwierig und komplex: Um die LKGS zu verschließen und die körperlichen Funktionsstörungen zu beheben, sind häufig mehrere operative Eingriffe erforderlich. Die Operationen sind bereits zu Lebensbeginn eine große körperliche Belastung für den Säugling.

Ziel der Nasoalveolar-Molding-Methode (NAM) ist es, die Spalte vor der Operation so zu verkleinern, dass die Komplexität und die Anzahl der Operationen reduziert sowie das bestmögliche funktionelle und ästhetische Ergebnis für das Kind erzielt werden. Die Methode wurde in den USA entwickelt und wird in Deutschland nur an spezialisierten Kliniken, zum Beispiel an der Charité in Berlin, dem Universitätsklinikum in Göttingen, dem LKG-Zentrum des Universitätsklinikums Bonn oder am Klinikum rechts der Isar in München, angeboten. Für die Kinder wird bereits wenige Tage nach der Geburt nach einer weichen Silikonabformung eine spezielle Gaumenplatte durch den Zahntechniker angefertigt, mit der die Spaltbreite und Kieferposition sowie die Position der Nase und der Nasenflügel bereits vor einer OP optimiert und verbessert werden soll.

Doch seien Vor- und Nachteile der NAM-Methode bisher unklar, so das IQWiG, denn die vorliegenden Studienergebnisse seien von schlechter Qualität und machten nur Aussagen zur Gesichtsästhetik und -symmetrie, aber nicht zu möglichen Nebenwirkungen, Dies habe die interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) festgestellt, die im Auftrag des IQWiG das Thema in einem HTA-Bericht (HTA = Health Technology Assessment) untersuchte.

Komplexe Behandlung für eine normale Entwicklung

Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKGS) beeinträchtigt nicht nur die Gesichtsästhetik der Kinder sehr stark, sondern kann auch verschiedene körperliche Funktionen wie Atmung, Sprache, Gehör oder Nahrungsaufnahme einschränken. Behandlungsziele sind unter anderem die frühzeitige Korrektur der Fehlbildung, das Normalisieren der lebenswichtigen Funktionen und eine verbesserte Symmetrie des Gesichts – also wichtige Voraussetzungen für eine körperlich, emotional und sozial möglichst normale Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Bei Spaltbildungen, die neben dem Lippenbereich auch den Gaumen und die Nase betreffen, werden aufwendige chirurgische Behandlungen zur Korrektur notwendig. Häufig wird eine frühzeitige Schließung der Lippenspalten zum 4. bis 6. Lebensmonat angestrebt. Die NAM- Methode soll die Ausgangslage für die Operation verbessern sowie die Notwendigkeit späterer Folgeoperationen (insbesondere Nasenkorrekturen) minimieren: Eine individuell angefertigte Gaumenplatte mit Nasensteg soll den Spalt mittels Druck- und Zugkräften verkleinern. Komplexität und Anzahl der folgenden operativen Eingriffe sollen dadurch reduziert sowie das bestmögliche funktionelle und ästhetische Ergebnis für das Kind erzielt werden.

Keine belastbaren Aussagen zu Nutzen oder Schaden möglich

In den vier identifizierten Studien zur NAM-Behandlung geht es vorrangig um das Aussehen des Gesichts, etwa die Körpermaße der Nasenregion. Wichtige Einflüsse auf das Behandlungsergebnis, wie etwa die Ausprägung der Spaltfehlbildung, seien in den Studien nicht berücksichtigt, so der Bericht. „Zudem wurden die Studienteilnehmer meist nur über einen kurzen Zeitraum beobachtet. Ob eine NAM-Behandlung die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Betroffenen oder körperliche Funktionen wie Atmung oder Sprache verbessert, wurde nicht untersucht. Auch Studienergebnisse zu Nebenwirkungen wie Schmerzen oder Narben sowie zur Anzahl und Dauer der Operationen fehlen. Aussagen zum Nutzen oder Schaden der NAM lassen sich deshalb aus diesen Studien nicht ableiten“, so das IQWiG.

Die Autoren selbst halten dazu im Bericht fest: „Allerdings kann aus den einbezogenen Studien abgeleitet werden, dass ein Nutzen der NAM-Behandlung bei Kindern mit LKG-Spalte nicht auszuschließen ist und in Studien mit höherer Aussagesicherheit untersucht werden sollte. Dafür könnten die Ergebnisse laufender RCTs, die Durchführung einer methodisch hochwertigen Studie mit mehrjähriger Nachbeobachtungszeit oder die Gründung eines Registers nützlich sein.“ Neben den in der Untersuchung einbezogenen prospektiven Studien gibt es auch retrospektive und Anwendungsstudien, deren Ergebnisse in der Klinik herangezogen werden, aber für den HTA-Bericht keine Berücksichtigung fanden.

Behandlungskosten bisher nicht regelhaft erstattet

Bemängelt wird zudem, dass bisher generell ein allgemein anerkannter Behandlungsstandard für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS), etwa in Form einer medizinischen Leitlinie, fehlt. Da es auch keine verlässlichen Daten für eine gesundheitsökonomische Bewertung des NAM-Verfahrens gebe, habe das Wissenschaftlerteam der MHH nur Aussagen zu den Kosten der Behandlung machen können: Gegenüber der Behandlung mit einer Gaumenplatte allein entstehen bei der NAM-Methode Zusatzkosten durch den Nasensteg und die 12 bis 16 zusätzlichen Kontrolltermine beim Kieferorthopäden. Die Mehrkosten in Höhe von etwa 900 bis 1.400 Euro übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen bisher nicht regelhaft.

IQWiG sieht zu viele offene Fragen

Offen bleibt auch, inwieweit die NAM-Behandlung ethische und soziale Probleme abschwächt oder verstärkt, die als belastend erlebt werden können. „Es ist bedenklich, dass Nutzen und Schaden der NAM-Methode nicht belegt sind“, meint Claudia Mischke, die als Leiterin des Bereichs Versorgung beim IQWiG auch den ThemenCheck Medizin mitverantwortet, und ergänzt: „Mangels hochwertiger wissenschaftlicher Untersuchungen hat das Wissenschaftlerteam der MHH für diesen HTA-Bericht auch Studien mit weniger aussagekräftigem Design berücksichtigt. Doch selbst diese widmen sich nicht den relevanten Fragen und sind letztlich nicht interpretierbar.“ Die Autoren der Studie selbst äußern sich dazu etwas zurückhaltender.

Mehr valide Studien gefordert

Nicht zuletzt um die Betroffenen (gesundheitlich verletzliche Kinder und deren Eltern) nicht unnötigen Risiken auszusetzen, müsse der medizinische Nutzen der NAM-Methode mit validen Daten untermauert werden – auch bezüglich der erklärten Ziele, nämlich weniger Operationen und bessere Behandlungsergebnisse. Diese Aspekte sollten zukünftig in hochwertigen Studien mit höherer Aussagesicherheit untersucht werden. Neue Erkenntnisse könnten in absehbarer Zeit zwei laufende randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) bringen, die allerdings im Wesentlichen kurzfristige Daten zur Gesichtsästhetik erheben, so das Institut.

Der vollständige 2. HTA-Bericht des ThemenCheck Medizin zu NAM steht auch als PDF zu Download zur Verfügung.

Titelbild: Patient mit operierter linksseitiger LKG-Spalte im Alter von drei Jahren. Aus: Rudzki I, Ehrenfeld M. Neugeborene mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Dentista 11 (2017), Nr. 4, Seite 24-26 © Quintessenz
Quelle: IQWiG Interdisziplinär Kieferorthopädie Nachrichten

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