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Ein Fallbericht

Ein Beitrag von Dr. med. dent. Lisa Hierse, Magdeburg, und PD Dr. med. dent. Moritz Kebschull, Bonn


Dr. med. dent. Lisa Hierse

In dem Fallbericht wird das präprothetische parodontalchirurgische Behandlungsprozedere zur oralen Rehabilitation eines älteren Patienten beschrieben. Aufgrund fortgeschrittener kariöser Läsionen bis in den Wurzelbereich und die Furkationsareale war ein parodontalchirurgisches Vorgehen zum Zahnerhalt und zur sicheren, entzündungsfreien prothetischen Versorgung notwendig. Durch Maßnahmen wie Hemisektion, Prämolarisierung sowie chirurgische Kronenverlängerung konnte der Patient suffizient festsitzend prothetisch versorgt und seine Kaufunktion wiederhergestellt werden.

Einleitung

Im vorliegenden Fallbericht wird dargestellt, wie bei ei­nem älteren Patienten Zähne erhalten werden konnten, obwohl deren Prognose aufgrund fortgeschrittener kariöser Läsionen bis in die Wurzel- und Furkations­areale teilweise fraglich war. Durch weitreichende zahn­erhaltende Maßnahmen wie Füllungs- und endodontische Therapie sowie resektive parodontalchirurgische Eingriffe wie chirurgische Kronenverlängerung, Prämolarisierung und Hemisektion konnte dem Wunsch des Patienten nach einer festsitzenden prothetischen Versorgung entsprochen und seine Kaufunktion unter Vermeidung implantatprothetischer Maßnahmen wiederhergestellt werden.

Anamnese

Allgemeine Anamnese

Der Patient war zu Behandlungsbeginn 85 Jahre alt und zeigte einen guten geistigen und physischen Allgemeinzustand. Er litt an Hypertonie und einer Herzinsuffizienz mit einer verbleibenden Herzleistung von 60 %. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung nahm er regelmäßig Medikamente gegen den Bluthochdruck und zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz ein. Es waren keine Allergien bekannt, und der Patient war lebenslang Nichtraucher.

Spezielle Anamnese

Der Patient stellte sich mit dem Wunsch nach oraler Rehabilitation vor. Durch Querfrakturen der Zähne 35 und 36 bestand eine einseitige Freiendsituation. Im vierten Quadranten hatte sich die Goldkrone des Zahnes 47 aufgrund von Kronenrandkaries und ausgedehnter Wurzelkaries gelöst. Der Patient besaß demnach eine verminderte Kaufunktion.

Befunde

Intraoraler Befund

Die Inspektion der Schleimhaut, der Lippen, des Mundbodens und des Rachenrings zeigten keine pathologischen Veränderungen. Der Speichelfluss war vermindert und von zäher Konsistenz. Die klinische Situation ist in der Abbildung  1 dargestellt.

Es fehlten die Zähne 18, 15, 27, 28, 38, 37 und 48. Bis auf die endodontisch behandelten Zähne 17, 16, 26, 36, 35, 32 und 47 reagierten alle Zähne positiv auf die Sensibilitätsprobe mit Kältespray. Kein Zahn war perkussionsempfindlich. Zahn 17 wies eine Versorgung mit einer Teilkrone auf. Weitere Kronen waren auf den Zähnen 16, 14, 25, 26, 34, 45 und 46 vorhanden. Zahn 15 war durch ein Brückenglied ersetzt. Alle nicht überkronten Zähne zeigten Zahnhalskaries und insuffiziente Kompositfüllungen.

An dem querfrakturierten Zahn 36 war die Karies bis in den Furkationsbereich ausgedehnt und verlief mesiolingual tief subgingival. Zahn 35 war epigingival frakturiert und die Wurzelkanalfüllung koronal insuffizient mit Komposit abgedeckt, so dass das Wurzelkanalfüllmaterial in Exposition zur Mundhöhle stand. Der Zahn 47 war mit einer insuffizienten Aufbaufüllung versehen und zeigte vestibulär eine bis subgingival ausgedehnte Karies.

Die parodontale Untersuchung ergab lokalisiert erhöhte Sondierungswerte zwischen 4 und 6 mm im Oberkiefermolarenbereich. Die Zähne 26, 36 und 47 hatten einen Furkationsgrad I9. Besonders zu erwähnen ist jedoch der trotz des hohen Alters des Patienten kaum vorhandene Attachmentverlust. Die funktionellen Befunde waren unauffällig.

Röntgenologischer Befund

Zum Zeitpunkt des Erstbefundes lag eine 11 Monate alte, alio loco angefertigte Panoramaschichtaufnahme vor (Abb. 2). Auf dem Röntgenbild war ein horizontaler Knochenabbau von ca. 10 % zu sehen. Zusätzlich wurden Einzelzahnfilme der Zähne 35 und 36 sowie 46 und 47 angefertigt (Abb. 3a und b). Die distale Wurzel des Zahnes 36 befand sich auf krestalem Niveau, und es war ein interradikulärer Knochenabbau vorhanden. Am Zahn 35 endete der Zahnstumpf ca. 1 bis 2 mm koronal des Limbus alveolaris. Der Zahnfilm der Zähne 46 und 47 ließ einen überhängenden Rand der Krone an Zahn 46 mit einer Aufhellung distal im Sinne einer Kronenrandkaries erkennen. Zahn 47 zeigte an der distalen Wurzel eine postendodontische apikale Aufhellung und im apikalen Kanaldrittel eine Obliteration.

Diagnosen

Bei dem Patienten lagen eine generalisierte Gingivitis mit einer leichten lokalisierten chronischen Parodontitis2 und multiple kariöse Läsionen vor. Der Zahn 47 zeigte eine postendodontische chronische Parodontitis apicalis.

Therapieplanung

Für den Patienten wurde folgende Therapie vorge­sehen:

  1. Kariesbehandlung, Revision der Wurzelkanalfüllungen der Zähne 36, 35 und 47;
  2. antiinfektiöse Therapie;
  3. präprothetische Chirurgie mit langzeitprovisorischer Versorgung:
  4. • chirurgische Kronenverlängerung der Zähne 35 und 36,

    • Prämolarisierung des Zahnes 36,

    • chirurgische Kronenverlängerung des Zahnes 47;

  5. definitive prothetische Versorgung.

Ziel dieses Therapieplans war die sichere prothetische Versorgung der endständigen Zähne im Unterkiefer. Die Behandlungsalternative, nämlich die Extraktion der Zähne 35, 36 sowie 47 und deren Ersatz durch eine Prothese oder eine Implantatversorgung, wurde vom Patienten strikt abgelehnt.

Behandlungsablauf

Parodontale Therapie

Zunächst fand eine ausgedehnte Füllungstherapie statt. Regelmäßig erfolgte ein Mundhygienetraining, wodurch die Mundhygieneparameter im Therapieverlauf deutlich reduziert werden konnten. Weiterhin wurde ein subgingivales Debridement aller betroffenen Zähne unter lokaler Anästhesie durchgeführt.

12 Wochen nach der antiinfektiösen Therapie erfolgte die Reevaluation. Alle pathologisch vertieften Taschen konnten erfolgreich beseitigt werden. Die Furkationsbeteiligungen Grad I an den Zähnen 26, 36 und 47 blieben erwartungsgemäß bestehen. Das Intervall für die unterstützende Parodontitistherapie wurde auf 3 Monate festgelegt.

Zwischenzeitlich erfolgte die endodontische Behandlung der Zähne 35 und 36. Der Zahn 47 zeigte eine stark ausgeprägte subgingivale kariöse Zerstörung im distalen Bereich. Aus diesem Grund wurde der initiale Therapieplan geändert. Es sollte nun eine Hemisektion des Zahnes mit Entfernung des distalen Anteils erfolgen. Daher wurde zunächst im mesialen Zahnanteil die Karies vollständig entfernt, die end­odontische Revisionsbehandlung durchgeführt und der Zahn mit einer adhäsiven Aufbaufüllung versorgt.

Die Zähne 36, 35, 46 und 47 wurden provisorisch für die Überkronung mit Schalenprovisorien beschliffen. Im zahntechnischen Labor erfolgte dann die Herstellung verblockter Schalenprovisorien (Abb. 4a und b), die später durch intraoperatives Unterfüttern mit einem autopolymerisierenden Kunststoff an die aktuelle Situation angepasst wurden.

Präprothetische parodontalchirurgische Maßnahmen

Das Ziel der chirurgischen Kronenverlängerungen waren die Gewinnung einer ausreichenden Retentionshöhe für die spätere Überkronung, die Freilegung der subgingivalen kariösen Defekte sowie die Verbesserung der Hygienefähigkeit unter Berücksichtigung der biologischen Breite.

Im dritten Quadranten wurde unter Lokalanästhesie ein apikaler Verschiebelappen mit anschließender chirurgischer Kronenverlängerung der Zähne 35 und 36 sowie Prämolarisierung des Zahnes 36 präpariert. Die breite keratinisierte Gingiva erlaubte eine paramarginale Schnittführung. Nach distal wurde eine horizontale Entlastungsinzision auf dem Kieferkamm vorgenommen und ein Mukoperiostlappen präpariert. Daraufhin erfolgten ein intrasulkulärer Schnitt und die Entfernung des marginalen Weichgewebskragens. Die beiden Wurzeln des Zahnes 36 wurden zentral über der Furkation getrennt und die nun einzeln stehenden Zahnanteile koronal für das Provisorium präpariert.

Anschließend erfolgte eine Ostektomie zur Herstellung der biologischen Breite an den Zähnen 36 und 35. Es wurde darauf geachtet, dass der Abstand zwischen Präparationsgrenze und Limbus alveolaris zirkulär 3 mm betrug. Mittels Osteoplastik wurde ein harmonischer Knochenverlauf hergestellt, der zu einer besseren Weichgewebsausheilung führt. Unter Schonung der Wurzeloberflächen erfolgte die vorsichtige Entfernung der unmittelbar an die Wurzeln grenzenden Knochenlamellen. Die nun freigelegten Wurzeloberflächen wurden gereinigt, um ein späteres „creeping attachment“, d. h. eine koronalwärts gerichtete Weichgewebspro­liferation zu verhindern. Der Nahtverschluss erfolgte mit Matratzen- und Umschlingungsnähten aus Gore-Nahtmaterial der Stärke 5-0.

Die Schalenprovisorien wurden unterfüttert und nach einer Okklusionskontrolle mit einem temporären Befestigungszement eingesetzt. Der Patient erhielt die Anweisung, im operierten Bereich für 2 Wochen auf eine mechanische Plaquekontrolle zu verzichten und stattdessen zweimal täglich eine chemische Plaquekontrolle mit 0,2%er Chlorhexidin-Mundspüllösung durchzuführen.

9 Tage post operationem wurden die Nähte entfernt und die Randpassung der Schalenprovisorien optimiert. Das operative Vorgehen ist in den Abbildungen 5a bis f dargestellt. Später fand die Hemisektion des Zahnes 47 mit chirurgischer Kronenverlängerung der Zähne 47 und 46 mit Verlagerung der biologischen Breite statt. Die Präparation des Mukoperiostlappens und die Ostektomie wurden in der bereits für den dritten Quadranten beschriebenen Weise durchgeführt.

Bei der Hemisektion erfolgte die Trennung der Zahnanteile etwas paramedian der Furkation nach distal versetzt, wodurch sich eine Beschädigung der mesialen Wurzel vermeiden ließ. Die distale Wurzel wurde mittels eines Bein’schen Hebels und einer Wurzelzange extrahiert. Nach Präparation des verbliebenen Kronen­anteils für das Provisorium konnte dieses angepasst und eingesetzt werden.

Der Nahtverschluss erfolgte mit Prolene-Naht­mate­rial der Stärke 5-0 und vertikalen Matratzennähten. Das operative Vorgehen ist in den Abbildungen 6a bis f dargestellt. Der Patient wurde erneut angewiesen, eine chemische anstatt einer mechanischen Plaquekontrolle durchzuführen. 12 Tage post operationem wurden die Nähte entfernt.

3 Monate später erfolgte die definitive prothetische Versorgung der Zähne 36, 35, 46 und 47. Klinisch erwies sich auch die Krone des Zahnes 45 als insuffizient, so dass sie ebenfalls erneuert wurde. Die Abbildungen 7 bis 9 zeigen die klinische und die röntgenologische Situa­tion nach prothetischer Versorgung.

Epikrise

Im vorgestellten Patientenfall wurde eine generalisierte Gingivitis mit einer leichten lokalisierten chronischen Parodontitis2 durch eine antiinfektiöse Therapie erfolgreich behandelt. Aufgrund der fortgeschrittenen Karies im Wurzelbereich und in den Furkationsarealen war ein parodontalchirurgisches Vorgehen zum Zahnerhalt und zur sicheren, entzündungsfreien prothetischen Versorgung notwendig. Anschließend war es möglich, die Zähne prothetisch zu versorgen und die Kaufunktion des Patienten wiederherzustellen. An den Zähnen 36, 35, 46 und 47 lag eine Verletzung der biologischen Breite durch Querfrakturen und subgingivale Karies vor. Für die prothetische Versorgung der Zähne wurde eine ausreichende Retentionsfläche benötigt, die unter Berücksichtigung der biologischen Breite mittels einer chirurgischen Kronenverlängerung wiederhergestellt werden konnte.

Die biologische Breite wurde erstmals 1961 definiert und setzt sich interindividuell relativ konstant aus 0,97 mm epithelialem und 1,07 mm bindegewebigem Attachment zusammen8. 1996 wurde der Begriff dento­gingivaler Komplex geprägt, der die biologische Breite um den gingivalen Sulkus mit einem Wert von 0,69 mm erweiterte12. Eine Unterschreitung dieser vertikalen Dimension kann zu einem chronischen Entzündungsgeschehen mit anschließendem Attachmentverlust führen15. Tief subgingival gelegene Restaurationsgrenzen haben unter Umständen aufgrund mangelnder Darstellbarkeit Passungenauigkeiten von Restaurationen zur Folge. Es ist bekannt, dass überstehende Restaurationsränder Plaqueretentionsnischen sind und eine parodontale Entzündung mit nachfolgendem Attachmentverlust auslösen können7,11. Weiterhin führt die subgingivale Lage von Kronenrändern, insbesondere bei insuffizienter Hygiene, zum Attachmentverlust18. Daher sollten sich Restaurationsränder immer 2 bis 3 mm koronal des alveolären Attachments befinden. Ist diese Distanz nicht gegeben, muss eine Kronenverlängerung erfolgen, um den Alveolarrand nach apikal zu verlagern. Zusätzlich sollte die für eine ausreichende Retention minimale Länge eines präparierten Zahnstumpfes bei einem Konuswinkel von 6° 3 mm be­tragen14.

Von Bedeutung für die Prognose des Zahnes sind die Länge und die Form der Zahnwurzeln, da es durch die im Rahmen der chirurgischen Kronenverlängerung vorgenommene Ostektomie zum Attachmentverlust kommt, der die Funktion des Zahnes beeinträchtigen kann. Allerdings zeigen Langzeitstudien, dass auch Zähne mit einem Attachmentverlust von über 50 % funktionstüchtig erhalten werden können13,16.

Nachteile hinsichtlich der Ästhetik und postoperativer Überempfindlichkeiten konnten im vorliegenden Patientenfall unberücksichtigt bleiben. Um den Zahn 36 trotz interradikulärer Karies zu erhalten, wurde eine Prämolarisierung durchgeführt. Ausschlaggebend waren die günstige Defektmorphologie mit langen Wurzeln und geringem Attachmentverlust, eine ausreichende Divergenz der Wurzeln und ein kurzer Wurzelstamm1. Am Zahn 47 wurde eine Hemisektion mit Resektion des distalen Zahnanteils vorgenommen. Aufgrund der postendodontischen chronischen Parodontitis apicalis und der schlechten Revisionsaussicht durch die apikale Obliteration des distalen Wurzelkanals zusätzlich zur subgingivalen Karies war die Prognose der distalen Wurzel gegenüber der mesialen deutlich verschlechtert. Es lag eine für dieses operative Vorgehen günstige Zahnanatomie vor1.

Die Überlebensrate der resektiv behandelten Mo­laren ist wegen der guten Verankerung der Wurzeln im Alveolarknochen als gut zu werten6,17. Mittels resektiver Furkationstherapien behandelte Molaren mit anschließender prothetischer Versorgung zeigten in einem Beobachtungszeitraum von 5 bis 13 Jahren Überlebensraten zwischen 62 und 100 %10. Diese große Spanne verdeutlicht, dass das resektive Verfahren sehr technik­sensitiv ist und stark vom therapeutischen Protokoll mit entsprechender prothetischer Versorgung sowie einer regelmäßigen Nachsorge abhängt5. Die meisten Studien haben auch ergeben, dass ein weiteres Fortschreiten des parodontalen Attachmentverlustes selten der Grund für eine Extraktion ist und dass hier end­odontische Aspekte, aber auch Wurzelfrakturen und Karies eine größere Rolle spielen3,10. Bühler et al.3 konnten belegen, dass die Mortalität hemisezierter Zähne nach 10 Jahren genauso hoch ist wie diejenige endodontisch behandelter Prämolaren.

Im vorgestellten Fall erfolgte die definitive pro­thetische Versorgung erst 6 Monate nach den Wur­zelkanalbehandlungen und 3 Monate nach den parodontalchirurgischen Eingriffen. Bei der prothetischen Versorgung ist es für den Langzeiterfolg wichtig, so viele Pfeiler wie möglich miteinander zu verblocken, um eine maximale Stabilität der Rekonstruktion zu gewährleisten. Weiterhin sollte die Okklusion so gestaltet sein, dass laterale Kräfte minimiert werden. Die metallischen Restaurationsränder sollten möglichst dünn auslaufen4,5. Für den Langzeiterfolg muss darauf geachtet werden, dass die Gestaltung der Brückenglieder eine uneingeschränkte Durchführung von Hygiene­maßnahmen erlaubt.

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Quelle: Zeitschrift für Senioren-Zahnmedizin, Ausgabe 3/15 Alterszahnmedizin

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