Die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnheilkunde (DGAZ) widmete ihr 5. Symposium am 11. März 2022 dem Thema „Alters-Zahnmedizin und Häuslichkeit“. Die Präsenzveranstaltung (3G) im Kölner Lindner Hotel City Plaza stand unter der Überschrift „Pflegebedarf beginnt nicht im Seniorenheim“.
Die Leiterin der AG Seniorenzahnmedizin, PD Dr. Dr. Greta Barbe und DGAZ-Vorstandsmitglied Dr. Dirk Bleiel freuten sich, nach längerer Durststrecke in Köln fast 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer Präsenzveranstaltung begrüßen zu können. Fünf hochkarätige Referenten widmeten sich mit ganz unterschiedlichem Zugang einem wichtigen Aspekt der Alterszahnheilkunde, der bislang eher zu kurz kommt: der Betreuung von zu Hause gepflegten Patienten. Denn, so das Motto des DGAZ-Symposiums, „Pflegebedarf beginnt nicht im Seniorenheim“.
In seinem Grußwort betonte Prof. Dr. Michael Noack, dass sich die Seniorenzahnmedizin mittlerweile als wichtiger Bereich der Zahnmedizin etabliert hat und sich die Rahmenbedingungen mittlerweile stark verbesser haben.
Behandlungsbedarfe im Wandel
Prof. Dr. Christoph Benz stellte in seinem Vortrag die Entwicklung der Behandlung der Pflegebedürftigen vom Exotenstatus auf einen Platz mitten in der Zahnmedizin vor. Wichtige Meilensteine waren dabei die Erweiterungen des BEMA um Pflegepositionen in den Jahren 2013 und 2019 sowie jüngst die besondere PAR-Richtlinie. Der Präsident der Bundeszahnärztekammer und Vizepräsident der DGAZ wies auf die stark wachsende Zahl der Pflegebedürftigen hin, von denen bereits heute etwa 80 Prozent in der Häuslichkeit leben. Die Frage, „was die Kollegen dort machen“ sei schwer zu beantworten, es handele sich um einen „blinden Fleck der Alterszahnmedizin“.
Da die Zahl der an Karies erkrankten beziehungsweise verlorenen Zähne zurückgeht, ändern sich, so Benz, die Behandlungsbedarfe in Zukunft sehr stark. Es gelte zwar der Kernsatz: „Pflege ist keine große Prothetik“, aber an den vielen kleinen Dingen hängt, so Benz, „das Restlebensglück der alten Menschen“. Man müsse auch wissen, dass Pflege weniger Praxis sei. Vieles muss mit einfacheren Mitteln in der Häuslichkeit gemacht werden.
Abschließend behandelte der Präsident der BZÄK Pro und Contra der Frage, ob die Zahnärzteschaft das Thema Delegation – nur für den Sonderbereich „häusliche Pflege“ (!) –aufgreifen müsse. Bei allen bedenkenswerten Vorschlägen gelte es, das Risiko „Zahnarzt light“ unbedingt zu vermeiden und somit keine zusätzlichen Berufe einzuführen. Sein Fazit: „Häusliche Pflege-Zahnmedizin ist kein Hexenwerk, absolut zukunftsfest und einer unserer ganz wenigen Wachstumsbereiche, die der Berufsstand wahrnehmen sollte.“
Vom Exoskelett bis zum Pflegeroboter
Aus einer ganz anderen, technischen Perspektive brachte Prof. Dr. Patrick Jahn Licht in die Zukunft der häuslichen Pflege. Als ehemaliger Pfleger arbeitet der heutige Leiter der AG Versorgungsforschung in der Inneren Medizin der Universität Halle nah an der Praxis. Seine These: Nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die Pflegenden altern und benötigen ebenso dringend technische Unterstützung wie die von ihnen betreuten Menschen.
Jahn stellte das breite Spektrum von Hilfen vor, welche die Robotik heute bereitstellt oder in Kürze bereitstellen wird – von „intelligenten Betten“ über Exoskelette für den Pfleger bis zu Assistenz- und Diagnosesystemen. Einige komplexe Roboter stehen bereits an der Schwelle zur Einsatzbereitschaft, bieten Objekt- und Gesichtserkennung sowie autonome Navigation und können mittels Greifarm oder gar Fünf-Finger-Hand Arbeiten am Patienten vornehmen. Nach Ansicht von Prof. Jahn muss aber niemand Angst haben, dass der Zahnarzt durch technische Innovationen in der Zukunft nicht mehr nötig sei. Er wird allerdings nicht mehr unbedingt immer direkt neben dem Helfer stehen müssen, wenn dieser behandelt.
Herausforderung Kommunikation
Prof. Dr. Christiane Schiessl, Anästhesistin, Schmerztherapeutin und Palliativmedizinerin wurde aus München per Zoom zugeschaltet. Die Chefärztin einer Tagesklinik für Schmerzmedizin in München widmete sich kommunikativen Herausforderungen, die sich dem Zahnarzt bei der aufsuchenden Betreuung stellen. Sie erklärte, sie habe die Fortschritte der „sprechenden Zahnmedizin“ in jüngerer Zeit erfreut zur Kenntnis genommen.
Allerdings seien viele allgemeingültige Kommunikationsregeln für Zahnärzte schwer umzusetzen, angefangen mit dem Gespräch auf Augenhöhe. Die Schutzkleidung des Behandlers und die Mundöffnung des Patienten reduzieren Mimik und Gestik. Zudem arbeite der Zahnmediziner in einem zentralen Intimbereich des Menschen. Zusätzliche Stressfaktoren für den aufsuchenden Behandler sind die unbekannte beziehungsweise neue Arbeitsumgebung und damit eine fehlende Planbarkeit sowie die häufige Anwesenheit von Pflegern oder Angehörigen des Patienten. Als wichtiges Hilfsmittel, um diese Herausforderungen zu bewältigen, wies Schiessl auf den Online-Kurs der BZÄK zur „Teach-back-Methode“ (www.bzaek-teach-back.de) hin.
Pflegekräfte und Zahnmedizin
Ramona Waterkotte, Zahnarzthelferin, examinierte Pflegefachkraft und Soziologin, berichtete auf Grundlage eigener Erfahrungen, wie es tatsächlich um die Mundgesundheit von Patienten steht, die in der Häuslichkeit von ambulanten Pflegediensten betreut werden. Die Mundpflege ist zwar als Teil der Körperpflege in den Leistungskomplexen der grundpflegerischen Versorgung wie Rasieren und Kämmen enthalten. Auch wenn die vielen mittlerweile beteiligten Hilfskräfte unter oft sehr schweren Bedingungen gute Arbeit leisten, kommt die Mundgesundheit dennoch oft zu kurz.
So müssten Auffälligkeiten in der Mundhöhle eigentlich über den Umweg der zuständigen Pflegefachkraft an den Zahnarzt weitergeleitet werden. Das ist, so Waterkotte, allerdings unrealistisch. Da eine entsprechende Ausbildung der Betreuer fehlt, gehen latente Mund- und Zahnbeschwerden im Alltag solange unter, bis sie sich in akuter, das heißt schmerzhafter Form darstellen. Manchen Fachkräften, so das Ergebnis ihrer Umfrage, sei gar nicht bekannt, dass ein Zahnarzt nach Hause kommen kann und dass die Mundpflege zur kleinen Grundpflege gehört. Gerade, wenn es Angehörige gibt, fehle das Bewusstsein, dass die Mundpflege zu den Aufgaben der ambulanten Pflege gehört.
Bottom up statt top down
Abschließend führte Dr. Volkmar Göbel aus „Praktikersicht“ die hochmoderne Ausstattung vor, mit der seine Praxis die mobile Pflege durchführt. Er zeigte Möglichkeiten, aber auch Grenzen einer „Digitalen Transformation in der aufsuchenden zahnärztlichen Behandlung von pflegebedürftigen Patienten“ auf. Es gelte, das Gewicht etwa bei Projekten der telemedizinischen Überwachung und dem mobilen Röntgen trotz bürokratischer Hindernisse mehr auf die Chancen als auf die Risiken zu legen.
Der in Gössenheim niedergelassene Zahnarzt betonte, der Koalitionsvertrag sehe ausdrücklich eine Förderung der Alterszahnheilkunde vor. Er forderte deshalb: „Wir haben den Auftrag, die aufsuchende Betreuung und damit die Alterszahnheilkunde aufzuwerten. Die Möglichkeiten müssen wir selbst entwickeln, damit wir sie nicht von der Politik übergestülpt bekommen!“
Dr. Uwe Neddermeyer, KZV Nordrhein