0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
2041 Aufrufe

Frankfurter Forschende analysieren Zahnschmelz von Frühmenschen und zeitgleich lebenden Orang Utans

Polierter Dünnschliff eines Homo-erectus-Zahns vor der chemischen Analyse mittels Laser-Ablation Plasma Massenspektrometrie (LA-ICPMS).

(c) Alessia Nava/Luca Bondiol

Wie sich unsere Vorfahren der Art Homo erectus vor Hunderttausenden von Jahren auf der Insel Java in Südostasien ernährt haben, konnte jetzt ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, koordiniert von Goethe-Universität Frankfurt, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, anhand von Zahnanalysen herausfinden: Im Laufe eines Jahres wechselten die Frühmenschen von pflanzlicher Nahrung zu Mischkost, waren dabei aber weit weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig als zum Beispiel Orang-Utans, die ebenfalls die Insel bewohnten.

Auch der Zahnschmelz hat Wachstumsringe

Wer ein Vergrößerungsglas und eine Taschenlampe zur Hand nimmt und im Spiegel seine Zähne betrachtet, kann hier und da ein Muster aus feinen, parallelen Linien entdecken, die quer über den Zahn laufen. Diese entsprechen den Retzius-Streifen, die das Wachstum unseres Zahnschmelzes markieren. Der Schmelz wird bereits im Mutterleib angelegt und bis zur Jugend neu gebildet, wenn die letzten Milchzähne ausfallen und durch bleibende Zähne ersetzt werden. Wie bei allen landlebenden Wirbeltieren wird auch beim Menschen der Zahnschmelz in mikroskopisch kleinen Schichten schubweise angelagert, was die Retzius-Streifen formt. Am Abstand dieser Streifen zueinander ist die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Menschen ablesbar. Physiologische Wechsel wie zum Beispiel die Geburt, das Abstillen oder Krankheiten hinterlassen markante Spuren. Die Retzius-Steifen bilden auch den chronologischen Rahmen für die zeitlich-variierende chemische Zusammensetzung des Zahnschmelzes, die wiederum den Wechsel in der Ernährung widerspiegelt.

Ein internationales Wissenschaftsteam der Goethe-Universität Frankfurt um Prof. Wolfgang Müller und seiner MSc-Studentin Jülide Kubat, heute Doktorandin an der Universität Paris Cité, hat anhand der Zähne die Ernährungsgewohnheiten eines Vorfahrens des modernen Menschen – Homo erectus, „der aufrechte Mensch“ – mit denen von zeitgleichen Orang-Utans sowie weiteren Tieren verglichen. Alle lebten im Pleistozän vor 1,4 Millionen bis 700.000 Jahren auf der indonesischen Insel Java, auf der es damals Regionen mit Monsun-Regenwäldern sowie offene Baumlandschaften und grasbewachsene Savannen gab.

Massenspektrometrische Untersuchung

Zur Analyse des Zahnschmelzes betteten die Wissenschaftler:innen die Zähne in ein Harz ein und schnitten sie dann in hauchdünne Scheiben von 150 Mikrometern Dicke. Diese äußerst kostbaren Proben sind im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt Teil der Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald Sammlung, einer Dauerleihgabe der Werner Reimers Stiftung. Anschließend trug ein spezieller Laser Zahnmaterial ab, das mittels Massenspektrometrie unter anderem auf den Gehalt der Elemente Strontium und Kalzium untersucht wurde, die beide in Zähnen und Knochen enthalten sind (Laser-basierte Plasma-Massenspektrometrie, LA-ICPMS). Das Verhältnis von Strontium zu Kalzium (Sr/Ca) ist von der Nahrung abhängig, erklärt Wolfgang Müller: „Strontium wird – quasi als Verunreinigung des essenziellen Kalziums – vom Körper nach und nach ausgeschieden. In der Nahrungskette führt das dazu, dass das Strontium-Kalzium-Verhältnis von Pflanzenessern über Allesesser bis hin zu Fleischessern kontinuierlich abnimmt.“

Mikroskopisches Bild eines Orang-Utan-Zahn-Dünnschliffs, in dem die interne Wachstumsstruktur des Zahnschmelzes sehr gut erkennbar ist. Im rechten Bild sind die unterschiedlichen Laser-Ablations-Pfade in pink, einzelne Retzius-Linien in grün hervorgehoben. Bild: Alessia Nava/Luca Bondioli
Mikroskopisches Bild eines Orang-Utan-Zahn-Dünnschliffs, in dem die interne Wachstumsstruktur des Zahnschmelzes sehr gut erkennbar ist. Im rechten Bild sind die unterschiedlichen Laser-Ablations-Pfade in pink, einzelne Retzius-Linien in grün hervorgehoben. Bild: Alessia Nava/Luca Bondioli

Dies konnte das Wissenschaftsteam mit dem Vergleich verschiedener pleistozäner Tierzähne aus Java bestätigen: Raubkatzen wiesen ein niedriges Strontium-Kalzium-Verhältnis auf, Vorläufer der heutigen Nashörner, Hirsche und Flusspferde ein hohes Strontium-Kalzium-Verhältnis und pleistozäne Schweine als Allesesser lagen in der Mitte. Spannend wurde es bei den Zähnen der Hominiden Orang-Utan und Homo erectus, denn hier entdeckten die Forscher:innen im Zeitverlauf Jahreszyklen, in denen sich die Nahrungszusammensetzung von Menschenaffen und Menschen änderte: Beide zeigten jahreszeitlich bedingte Variationen, wobei die regelmäßigen Sr/Ca-„Spitzen“ beim Orang-Utan viel deutlicher ausgeprägt waren als bei Homo erectus. Jülide Kubat, Erstautorin der Publikation, erklärt: „Diese Peaks deuten auf ein reichhaltiges pflanzliches Nahrungsangebot in der Regenzeit hin, während der im Regenwald zum Beispiel viele Früchte gebildet wurden. In der Trockenzeit mussten vor allem Orang-Utans auf andere Nahrungsquellen umsteigen, die vielleicht Insekten oder Eier einschlossen. Homo erectus dagegen war – so zeigen die weniger ausgeprägten Peaks und niedrigeren Sr/Ca-Werte – als Allesesser und zeitweise Fleischkonsument weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig.“

Verblüffend detaillierte Einblicke

Insgesamt zeige die Analyse, so Müller, dass die räumlich hoch-aufgelöste Laser-Analyse von Spurenelementen zusammen mit Zahnschmelzchronologie einen zeitlich bemerkenswert detaillierten Einblick in die Lebensgeschichte unserer Vorfahren geben kann: „Plötzlich ist man ganz nahe dran an diesen frühen Menschen, die so lange vor unserer Zeit gelebt haben. Man kann erspüren, was der jahreszeitliche Wechsel für sie bedeutet haben mag und wie sie mit ihrer Welt interagiert haben. Das ist absolut faszinierend.“

 

 

Quelle: Universität Frankfurt/Main Zahnmedizin Bunte Welt Nachrichten

Adblocker aktiv! Bitte nehmen Sie sich einen Moment ...

Unser System meldet, dass Sie eine aktive AdBlocker-Software verwenden, die verhindert dass alle Seiteninhalte geladen werden können.

Fair geht vor: Unsere Partner aus der Industrie tragen durch ihre Anzeigen einen maßgeblichen Teil zum Betreiben dieser Newsseite bei. Diese finden Sie in überschaubarer Anzahl auf der Startseite sowie den einzelnen Artikelseiten.

Bitte setzen Sie www.quintessence-publishing.com auf Ihre „AdBlocker Whitelist“ oder deaktivieren Ihre AdBlocker Software. Danke.

Weitere Nachrichten

  
Prof. Florian Beuer auf der Bühne der Stadthalle Nürtingen vor rotem Vorhang.
8. Aug. 2025

Minimalinvasive Restaurationen – was wir wissen und wissen sollten

ADT 2025: Prof. Florian Beuer berichtete über die erste prothetische Konsensuskonferenz Ende 2024 in Madrid
Produktbild eines Sealermaterials in der Spritze und Produktpackung
8. Aug. 2025

Für eine vorhersagbare Wurzelfüllung

30 Jahre AH Plus: Endodontischer Sealer von Dentsply Sirona feiert runden Geburtstag
Zwei Roboter im Vordergrund mit menschenähnlicher Figur stehen beziehungsweise sitzen auf einem Tisch an einem Messestand, dahinter sitzt ein Mann.
7. Aug. 2025

„Deutlich digitaler, aber wenige echte Innovationen“

Rückblick auf die Internationale Dental-Schau 2025 von Dr. Michael Hopp
Prof. Dr. Dr. Stefan Listl hält lächelnd seine gerahmte Urkunde in die Kamera. Er steht draußen, hinter ihm ist eine Gebäudewand und hohes Gras zu sehen, rechts neben ihm ein unscharfer Strauch oder Baum.
6. Aug. 2025

IADR ehrt Prof. Dr. Dr. Stefan Listl

Internationaler Forschungspreis der Zahnmedizin geht ans Heidelberg Institute of Global Health
Eine vielversprechende Kombination für die Geweberegeneration
5. Aug. 2025

Eine vielversprechende Kombination für die Geweberegeneration

Das viskoelastische Gel REGENFAST® vereint das biologische Potenzial der Inhaltsstoffe Polynukleotide und Hyaluronsäure
Säugling, dem ein Speichelfaden aus dem Mund läuft
4. Aug. 2025

Spucke: Saft mit Superkraft

Tag der Zahngesundheit (TdZ) widmet sich der Bedeutung von Speichel
Die Grafik zeigt von links die digitale Rekonstruktion eines echten Zahns, den Zahn im Querschnitt und Wurzelkanäle mit Pulpa.
4. Aug. 2025

Ein 3D-gedruckter Zahn, der alles kann

UK Würzburg setzt neue Maßstäbe in der zahnärztlichen Lehre – praxisnah, wissenschaftlich fundiert und zukunftsorientiert
Klinisches Bild zeigt die Anwendung eines Pulverstrahlgeräts zur Reinigung von Unterkieferzähnen mit einem blauen Zahnfleischschutz auf der rechten Bildhälfte.
4. Aug. 2025

Zähne retten und erhalten

Quintessenz Zahnmedizin 7-8/2025 bietet Beiträge aus Zahnerhaltung, KFO – und ein „bewegtes Repetitorium“