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Einordnung des Zuckerkonsums und seiner gesundheitlichen Folgen aus medizinischer Sicht

Fortgeschrittene Glykierungsendprodukte (AGEs)

Gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorga­nisation (WHO) zur Zuckeraufnahme aus dem Jahr 2015 ist der Zuckerkonsum einer der Hauptverursacher für Übergewicht sowie Karies und sollte daher bei Erwachsenen auf maximal 25 bis 50 g/Tag und bei Kindern auf 10 g/Tag reduziert werden29. In vielen Ländern ergreift man seitdem Maßnahmen wie beispielsweise eine Süßgetränkesteuer, um dem Zuckerkonsum entgegenzuwirken. Erste Erfolge in der Reduktion des Süßgetränkekonsums lassen sich bereits feststellen. Andere Länder verzichten auf Interventionen und setzen auf freiwillige Maßnahmen seitens der Industrie – zum Beispiel Deutschland. In diesem Zusammenhang wird wiederholt die Eigenverantwortung der Konsumenten angesprochen. Autorin PD Dr. Bettina K. Wölnerhanssen beschreibt in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 5/2020, warum es vonseiten der Lebensmittelindustrie den Konsumenten so schwer gemacht wird, auf Zucker zu verzichten, und die gesundheitlichen Folgen hohen Zuckerkonsums.

Um die Eigenverantwortung beim Zuckerverzicht überhaupt anwenden zu können, müssen einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein: Die Nahrungsmitteldeklaration ist zwingend zu verbessern, denn noch immer werden zahlreiche Begriffe beziehungsweisee zum Teil Synonyme für Zucker und Zuckerarten verwendet, die der Laie unmög­lich zu überblicken vermag. Auch die sogenannten versteckten Zucker sind ein Problem: Zucker wird als Geschmacksverstärker, als Konservierungsmittel oder schlicht als billiger Füllstoff in Produkte eingearbeitet, die allgemein gar nicht als Süßspeisen gelten (Saucen). Hierauf müsste gezielt hingewiesen werden. Weiter fehlt in vielen Bevölkerungsschichten überhaupt das Bewusstsein dafür, dass Zucker nur in geringen Mengen konsumiert werden sollte und dass das vertretbare Maß viel kleiner ist, als gemeinhin angenommen wird. Neben einer Verbesserung in der Nahrungsmittel­deklaration wären daher Aufklärungskampagnen an Schulen und in Kantinen zielführend. Weitere Lenkungsmaßnahmen wie eine gezielte Besteuerung von Süßgetränken – zum  Beispiel mit einer Reinvestition in die Gesundheitsprävention – sollten ebenfalls er­wogen werden.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Welche Zucker?

Der Begriff Zucker führt immer wieder zu Verwir­rung. In den meisten Fällen ist mit ihm ein ganz spezifischer Zucker gemeint (Saccharose = „Haushaltszucker“), manchmal jedoch auch eine komplette Substanzklasse (etwa alle kalorischen Zucker) oder aber ganz allgemein süß schmeckende Substanzen. Jede einzelne süße Substanz hat allerdings ihr ei­genes Profil an Vor- und Nachteilen und sollte ge­sondert betrachtet werden. In der menschlichen Nahrung kommt Zucker vorwiegend in Form des Disacchari­des Saccharose (= Haushaltszucker, bestehend aus einem Glukose- und einem Fruktosemolekül) oder als Monosaccharid wie Glukose (Synonym: Traubenzucker) und Fruktose vor, während der Anteil an anderen Zuckerarten wie dem Dis­accharid Laktose (= Milchzucker, bestehend aus einem Glukose- und einem Galaktosemolekül) eher gering ist. Disaccharide werden im Dünndarm rasch zu den Monosacchariden abgebaut, welche die Dünndarmschleimhaut aufnehmen kann. Verschiedene Zuckerprodukte und Sirupe werden als gesündere Varianten angepriesen, bestehen aber spätestens nach der Zerlegung im Dünndarm aus nichts anderem als Fruktose und Glukose. So ist in Agaven- und Birnendicksaft (Birnel) vor allem Fruktose enthalten, Kokosblütenzucker und Ahornsirup bestehen zu mehr als 95 Prozent aus Saccharose, und auch Honig ist hauptsächlich ein Glukose- Fruktose-Gemisch, das in geringen Mengen zusätzlich noch gesündere Oligosaccharide enthält.

Homo sapiens und der raffinierte Zucker

Die artgerechte Nahrung eines Menschen enthält kaum Zucker, und über Jahrtausende hat sich unser Organismus mit dem minimalen Zuckerangebot aus reifen Früchten entwickelt. Der menschliche Körper ist also nicht von exogener Zuckerzufuhr abhängig, und die für gewisse Zellen (zum Beispiel Erythrozyten) unverzicht­bare Glukose kann über die Glukoneogenese aus komplexen Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen selbst hergestellt werden. Zucker ist folglich kein „unverzichtbarer Energieträger“, wie die Industrie immer wieder einmal behauptet, sondern ein reines Luxusprodukt. Die Anziehungskraft von Süßem rührt wahrscheinlich ursprünglich daher, dass süß schmeckende Lebensmittel im Allgemeinen eine gewisse Kaloriendichte versprechen und möglicherweise auch an die allererste Nahrung, nämlich die Muttermilch erinnern. Abgesehen von der Säuglingsphase dürfte Zucker in der ursprünglichen menschlichen Nahrung aber als Energieträger eine eher unbedeutende Rolle gespielt haben, und Naturvölker kommen auf einen jährlichen Zuckerverbrauch von bescheidenen 3 bis 5 kg/Jahr (im Gegensatz zu den knapp 40 kg, die gegen­wärtig pro Jahr in Deutschland konsumiert werden). Die Verbreitung von Zucker nach Europa erfolgte erst mit der Kolonisierung im 16. Jahrhundert. Anfänglich war er nur ein Luxusprodukt, und ein rascher Anstieg des Konsums in der breiten Bevölkerung fand erst in den letzten 120 bis 150 Jahren statt. Evolutionsbiologisch gesehen ist das eine sehr kurze Zeit, und es erstaunt nicht, dass unser Organismus sich mit dieser groben Änderung nicht so schnell arrangieren kann. Zucker ist also ein reines Genussmittel, auf das wir nicht angewiesen sind und komplett verzichten könnten.

Gesundheitliche Folgen

Bereits alte Schriften aus Persien und Ägypten liefern Hinweise, dass der Konsum von Zucker aus Zuckerrohr und Honig zu Karies, Übergewicht, „süßem Urin“ (Diabetes) und Gelenkschmerzen (wahrscheinlich Gicht) führte. Ab dem 19. Jahrhundert häuften sich kritische Betrachtungen über den Zuckerkonsum, der beispielsweise mit der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang gebracht wurde. Auch Naturvölker, bei denen der Anschluss an die Zivilisation eine plötzliche Änderung der Ernährungs­weise mit einem höheren Zuckerkonsum zur Folge hatte, litten nun laut Berichten vermehrt an Zivilisationskrankheiten, die vorher gänzlich unbekannt waren. Die Nahrungsmittelindustrie nahm im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts vermehrten Einfluss auf die Konsumenten. Eine erste Welle einer zuckerkritischen Bewegung in den 1970er Jahren wurde durch gezieltes Lobbying und PR-Kampagnen der Zuckerindustrie zerschlagen31. Erst 2015 riet die WHO in ihrer Leitlinie zur Zuckerreduktion29, und Kritiker sagen, dass diese im Hinblick auf die Auswirkungen des Zuckerkonsums eher milde gehalten seien. So sind zwar Übergewicht und Karies als unbestrittene Folgen aufgeführt, die direkten anderen gesundheitlichen Folgen wie beispielsweise Leberverfettung, Blutfettstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie beschleunigte Alterungsprozesse werden jedoch nicht beleuchtet30.

Inzwischen liegt eine beachtliche Fülle an Fachliteratur zum Thema Gesundheit und Zuckerkonsum vor, wobei es sich sowohl um epidemiologische als auch um Interventionsstudien handelt. Zucker spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Karies, und entsprechend gilt die Reduktion des Zuckerkonsums als übergeordnete Präventionsmaßnahme29. Regelmäßiger Zuckerkonsum bewirkt einen Anstieg der kariogenen Bakterien, die Zucker zu Säu­ren metabolisieren, was lokal zu einem pH-Abfall und in der Folge zu einer Demineralisation führt. Zwar ist der Zusammenhang zwischen Zuckerexposition und dem Auftreten von Karies längst bekannt, aber über viele Jahre wurden andere präventive Maßnahmen wie eine intensive Zahnhygiene und die Fluoridie­rung in den Fokus gerückt.

Nach der Aufnahme vom Darm ins Blut kann die Glukose in sämtlichen Körperzellen in Energie umgesetzt werden, während eine Weiterverarbeitung der Fruktose ausschließlich in der Leber möglich ist. Die Glukose führt zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels mit nachfolgender Insulinfreisetzung, wohingegen die Fruktose keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat und somit auch die Insulinfreisetzung nicht stimuliert. Fruktose wird in der Leber zu Fett umgebaut, weswegen bei akutem Fruktosekonsum ein Anstieg der Blutfette beobachtet werden kann9,25. Chronischer Fruktosekonsum wird ebenfalls mit Blut­fettstörungen und Leberverfettung in Zusammenhang gebracht26. Die Leberverfettung begünstigt ihrerseits die Entwicklung des metabolen Syndroms mit Insulin­resistenz und schließlich diabetischer Stoffwechsellage1. Der Anstieg von Triglyzeriden und Cholesterin im Blut erhöht das kardiovaskuläre Risiko. Beim Abbau von Fruktose entstehen zudem Purine, die zu Harnsäure abgebaut werden. Der Harnsäureanstieg im Blut kann Gicht auslösen, schädigt aber auch die Nieren und führt über diverse Mechanismen zur arte­riellen Hypertonie, die ebenfalls einen kardiovaskulä­ren Risikofaktor darstellt10 (Abb. 1). Bei chronischem Konsum wirken sowohl Glukose als auch Fruktose schädlich auf diverse Organsysteme, und grundsätzlich sollten beide reduziert werden.

Fruktose und die Folgen

Die Lebensmittel­industrie ersetzt die Saccharose zunehmend durch Fruktose (um Beispiel „High-Fructose Corn Syrup“ mit einem hohen Fruktoseanteil), weil diese süßer und somit billiger ist. Ein lang anhaltender Fruktosekonsum hat sich jedoch als besonders nachteilig für den menschlichen Organismus erwiesen und sollte deshalb nicht gefördert werden (Tab. 1). Weitere Unterschiede zwischen Glukose und Fruk­tose ergeben sich bei der Stimulation unseres Sättigungssystems: Nach Einnahme von Glukose wird die Freisetzung von Sättigungshormonen aus dem Dünndarm stimuliert, welche ins Blut abgegeben werden und unter anderem zentralnervöse Belohnungszentren aktivieren. Der Fruktoseverzehr hat hingegen keine Freisetzung von Sättigungshormonen zur Folge21,28 (Tab. 1). Beobachtungen in Tier- und Humanstudien liefern Hinweise, dass Fruktosekonsum nicht nur keine Sättigung auslöst, sondern möglicherweise sogar eine Zunahme des Hungers bewirkt2,16. Das Übergewicht ist denn auch eine weitere wichtige Folge des Zuckerkonsums. Ursprünglich wurde vor allem die Kaloriendichte von Zucker als ursächlich gesehen, inzwischen stehen aber die direkten biochemischen Folgen im Vordergrund. Ein Lebensstil mit regelmäßiger, über den Tag verteilter Einnahme von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln führt zu ständigen Hyperglykämien mit entsprechender Insulinausschüttung. Die primäre Aufgabe von Insulin besteht darin, den Glukosespiegel möglichst rasch zu senken. Dabei wird als Erstes Glukose ins periphere Gewebe aufgenommen und dort als Energiesubstrat verbrannt oder aber in Glykogen umgewandelt und in dieser Form in der Leber und Muskulatur gespeichert. Sind diese Möglichkeiten ausgeschöpft, wird überschüssi­ge Glukose in Fett umgewandelt und im Fettgewebe gelagert. Insulin hemmt gleichzeitig die Glykogenolyse wie auch die Fettverbrennung. Das bedeutet, dass diese angehäuften Energiereserven dem Körper nur dann zur Verfügung stehen, wenn nicht gleich wieder eine kohlenhydratreiche Kost zu einem erneuten Insulinanstieg führt. Somit wird bei ständig erhöhtem Insulinspiegel die Entwicklung von Übergewicht gefördert20.

Langfristige Folgen neben Übergewicht

Wenn innerhalb kurzer Zeit größere Zuckermengen eingenommen werden, kommt es unter Umständen zu einer reaktiven übersteigerten Insulin­freisetzung und nachfolgend zu einer Hypoglykämie sowie erneuten Heißhungerattacken. Von besonderer Bedeutung ist der Süßgetränkekonsum vor allem bei Adoleszenten, denn durch ihn kann in kurzer Zeit sehr viel Zucker aufgenommen werden. Deswegen sind hier auch am ehesten Effekte durch Steuerungsmaßnahmen zu erwarten8,14.
Ein systemischer, nicht umkehrbarer schädlicher Effekt entsteht durch die Entwicklung von fortgeschrittenen Glykierungsendprodukten („advanced glycation end products“, AGEs). Dabei handelt es sich um Protein-Zucker-Komplexe, die spontan entstehen, wenn Proteine Zucker ausgesetzt werden (Maillard- Reaktion). Diese Zuckergruppen können das Protein in seiner Funktion einschränken. Das in der Klinik bekannteste Beispiel für ein AGE ist das HbA1c („Langzeitzucker“), das beim Diabetiker Auskunft über den Blutzuckerspiegel der vergangenen Wochen gibt (Abb. 2). Das Protein ist in diesem Fall das Hämoglobin, und der Blutzuckerspiegel sorgt für die Zuckerexposition. Beim Hämoglobin ist die Komplexbildung funktionell von untergeordneter Bedeutung und ledig­lich diagnostisch interessant. Bei dem in den Gefäßwänden und in der Haut vorkommenden Kollagen führen die Komplexe allerdings zu einer wichtigen Funktionseinbuße: dem Verlust der Elastizität. Ein erhöhter Blutzuckerspiegel über einen längeren Zeitraum hat so eine vorzeitige Alterung der Haut und der Gefäßwände zur Folge. Epidemiologische Studien zeigen denn auch ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko mit zunehmendem Zuckerkonsum3,30.

Zuckerkonsum reduzieren

Tab. 2 Gesundheitliche Auswirkungen des Konsums von Xylitol und Erythritol
Tab. 2 Gesundheitliche Auswirkungen des Konsums von Xylitol und Erythritol
An sich könnte der Zuckerkonsum folgenlos ohne Ersatz reduziert werden. Die Begeisterung und die Akzeptanz dürften sich hier allerdings in Grenzen halten, und wahrscheinlich ist die Kombination aus einer Reduktion und einem teilweisen Zuckerersatz am vielversprechendsten. Es stellen sich hier aber einige Probleme: Nicht nur das Offensichtliche – Süßig­keiten, Süßgetränke und Gebäcke – ist zu reduzieren. Das Augenmerk muss auch auf an sich salzige und herzhafte Mahlzeiten liegen, denen zunehmend Zucker beigemischt wird. Diese „versteckten“ Zucker lassen sich am einfachsten vermeiden, wenn man die Mahlzeiten möglichst selbst aus Grundzutaten zubereitet. Zucker ist außerdem eine psychoaktive Substanz, die einige Eigenschaften wie zum Beispiel die Stimulation von Dopaminrezeptoren im Gehirn mit anderen Drogen teilt. Bei plötzlichem Verzicht kann es zu Entzugssymptomen wie Kopfschmerzen, Unruhe, Hungerattacken und „Süßlust“ mit verstärktem Suchen nach süßen Nahrungsmitteln („craving“) kommen. Daher ist ein Ausschleichen der Zuckermenge ratsam. Die soziokulturell wichtige Bedeutung von Zucker, die sich in zahlreichen Traditionen widerspiegelt, erschwert den Verzicht ebenfalls. Wem es dennoch gelingt, den Zuckerkonsum einzuschränken, kann beobachten, dass das Süßempfinden auf der Zunge keine feste Größe ist: Nach einer gewissen Karenzzeit werden süße Speisen plötzlich als viel süßer empfunden, die Sättigung setzt früher ein, und es fällt leichter, nur eine kleine Menge einzunehmen.

Zuckerersatzstoffe

Zuckersurrogate weisen bezüglich Struktur, Ka­loriengehalt und gesundheitlichen sowie metabolen Effekten erhebliche Unterschiede auf. Neben den synthetischen, kalorienfreien Süßstoffen (Aspartam, Cyclamat etc.) bieten sich die kalorienarmen bis -freien Zuckeralkohole (zum Beispiel Xylitol, Erythritol, Sor­bitol) und das aus der Stevia-Pflanze extrahierte Stevio­sid an. Auch kalorienarme „seltene Zucker­arten“ (zum Beispiel D-Allu­lose) und Mehrfachzucker wie Inulin sind mög­liche Alternativen. Unter den „zahnschonenden“ Substanzen haben Xylitol und Erythri­tol sogar eine aktive antikariogene Wirkung13 (Tab. 2). Der Nutzen von kalorienarmen Süßungsmitteln im Kampf gegen das Übergewicht wird noch immer kontrovers disku­tiert24.
Einige größere Kohortenstudien fanden sogar eine positive Korrelation zwischen dem Gebrauch von künstlichen Süßstoffen und einer Gewichtszunahme – also nicht gerade das, was mit dem Einsatz dieser kalorienfreien Alternativen beabsichtigt war4,7,22. Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob der süße Geschmack gepaart mit fehlenden Kalorien nicht erst recht den Appetit anregt und zum Essen motiviert. Dies konnte aber in Humanstudien nie abschließend belegt werden12. Zumindest sind künstliche Süßstoffe nicht in der Lage, das Sättigungssystem anzuregen21, und scheinen unter anderem die Glukosetoleranz und die Darm­flora in ungünstiger Weise zu beeinflussen11,15,17-19,23. Obwohl größere Metaanalysen die kontroverse Daten­lage betonen, sollte ein chronischer Konsum größerer Mengen zumindest kritisch betrachtet werden12.
Sowohl Zuckeralkohole und Oligosaccharide als auch seltene Zucker wie D-Allulose werden mit eher positiven metabolen Effekten in Zusammenhang gebracht. Die günstige Wirkung auf die Mundflora und Zahngesundheit wurde seit den 1970er Jahren in Finnland untersucht. Xylitol und Erythritol stimulieren beim Menschen trotz der geringen Kalorienzahl die Freisetzung von Sättigungshormonen – ein Effekt, der das Paradigma in Frage stellt, dass für eine Stimulation des Sättigungssystems Kalorien vorhanden sein müssen21,27. Bei Einnahme von Xylitol steigt der Blutzuckerspiegel (und nachfolgend das Insulin) nur geringfügig an, während Erythritol sich nicht auf den Blutzuckerspiegel auswirkt27. Diese zwei Zuckerersatz­stoffe verfügen also über eine einzigartige Kombination von Eigenschaften: praktisch kein Effekt auf das Glukose-Insulin-System, keine Kalorien und dennoch eine sättigende Wirkung. In einem Pilotversuch zeigte sich, dass die regelmäßige Einnahme von Erythritol die Gefäßelastizität bei Diabetikern verbessert6, was möglicherweise auf den antioxidativen Effekt zurück­zuführen ist5. Natürlich vorkommende seltene Zucker wie D-Allulose sind erst seit Kurzem als Alternativen im Gespräch. Während Produkte mit D-Allulose sich in den USA und Asien bereits auf dem Markt befinden, steht die Zulassung durch die Behörden in Europa noch aus. Diese Zuckerart wird vom menschlichen Körper zwar resorbiert, aber kaum metabolisiert und hat keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel.

Schlussfolgerungen

Der Zuckerkonsum muss dringend gesenkt werden. Neben einer allgemeinen Reduktion von Zucker in der Nahrung ist es wahrscheinlich am günstigsten, auf eine breitere Auswahl von Süßungsmitteln und vermehrt auf natürlich vorkommende Substanzen zurückzugreifen.

Ein Beitrag von PD Dr. Bettina K. Wölnerhanssen, Basel, Schweiz

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 5/20 Zahnmedizin Bunte Welt

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