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Mit Fluoriden, Arginin und CPP-ACP können gute Effekte erzielt werden

Von MIH betroffener Molar mit posteruptivem Schmelzeinbruch und Karies im okklusalen Bereich. Man erkennt zusätzlich die Plaque-Auflagerungen, die auf eine Hypersen­sibilität des Zahns hinweisen..

Bei der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) handelt es sich um einen qualitativen Defekt des Schmelzes, der klassischerweise an einem oder mehreren ersten permanenten Molaren mit oder ohne Einbezug der Inzisivi auftritt. Charakteristisch sind das Vorhandensein von Opazitäten, posteruptive Schmelzeinbrüche und gegebenenfalls das Auftreten von Überempfindlichkeiten an den betroffenen Zähnen. Insbesondere überempfindliche MIH-Zähne können eine große Herausforderung in der Behandlung darstellen. Betroffene Kinder sollten deshalb engmaschig in einem Prophylaxeprogramm betreut werden. Prof. Dr. Katrin Bekes stellt in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 12/2022 den aktuellen Stand zur noninvasiven Behandlung und das Therapiespektrum   vom regelmäßigen Gebrauch von Pasten bis hin zur Versiegelung der Zähne vor.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Das weltweite Auftreten der „Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation“ (MIH) spielt in der zahnärztlichen Praxis eine weiter zunehmende Rolle. Zwar schwanken die Angaben in der verfügbaren Literatur zur Verbreitung stark, jedoch wird derzeit von einer durchschnittlichen Prävalenz von 13 bis 14 Prozent ausgegangen20. In Deutschland sind es nach Angaben der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) sogar 28,7 Prozent der 12-Jährigen, die mindestens einen betroffenen Molar in der bleibenden Dentition aufweisen12. Kennzeichnend für die Erkrankung sind abgegrenzte Opazitäten, die vornehmlich an den ersten permanenten Molaren – mit oder ohne Beteiligung der Inzisivi – zu finden sind. Zudem können befallene Zähne auch stark hypersensibel reagieren. Dabei muss das Auftreten solcher Überempfindlichkeiten nicht unbedingt an das Vorhandensein einer eingebrochenen Oberfläche geknüpft sein. Für betroffene Kinder kann dies nichtsdestotrotz partiell mit starken Beeinträchtigungen verbunden sein. Der vorliegende Beitrag richtet seinen Fokus auf die aktuell verfügbaren noninvasiven Therapiemöglichkeiten und zeigt Optionen für die Reduktion bei vorliegenden Hypersensibilitäten auf.

Noninvasive Therapieoptionen

Noninvasive Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen der MIH-Therapie lassen sich gut anhand des Würzburger Konzepts ablesen, das erstmalig 2016 im deutschsprachigen Raum publiziert wurde und immer größere internationale Akzeptanz erfährt. Es ist das erste MIH-Konzept, das sowohl einen Klassifizierungsindex („MIH treatment need index“, MIH-TNI) als auch darauf aufbauend einen Therapieentwurf anbietet3,5,21. Letzterer enthält gleichermaßen die Bereiche Prävention, Regeneration, Sofortbehandlung und Langzeitplanung (Abb. 1 und 2). In den Bereich der noninvasiven Maßnahmen entfallen dabei die Therapievarianten Prophylaxe und Sealing.

Prophylaxe

Betroffene Kinder sollten sofort nach der Diagnosestellung „MIH“ in ein in Abhängigkeit vom vorliegenden MIH-Schweregrad individuell angepasstes (präventives) Konzept eingebunden werden. Zwar muss die MIH-Prophylaxe in Abgrenzung zur klassischen Kariesprophylaxe etwas differenzierter betrachtet werden, dennoch ist sie nicht vernachlässigbar und bildet die Basis für das weitere Vorgehen. Die Besonderheit liegt darin, dass eine Vermeidung der Entstehung der Erkrankung momentan nicht möglich ist. Die ätiologischen Faktoren sind immer noch unzureichend bekannt und die derzeit diskutierten Ursachen (Krankheiten im Kindesalter, Antibiotikaeinnahmen) können nicht präventiv behandelt werden. Der Fokus liegt folglich bei der Sekundärprävention: zeitiges Erkennen, Verhinderung der Progression und Förderung der Remineralisation. Allerdings dürfen auch bei der MIH die generell bekannten Kariesrisikofaktoren nicht außer Acht gelassen werden. Deren zusätzliche Reduktion ist ebenfalls anzustreben, da dies zumindest einen begleitenden präventiven Effekt erzielt. Im Rahmen der MIH-Prophylaxe ist folgenden Faktoren Beachtung zu schenken: dem Kariesrisiko, der Schwere und dem Ausmaß des Schmelzdefekts, dem bereits möglichen Vorhandensein eines posteruptiven Schmelzeinbruchs und der Abklärung einer Schmerzsymptomatik. Hieraus ergibt sich die zeitliche Festlegung von Recall-Terminen, um eventuelle Schmelzdestruktionen oder Komplikationen ohne beträchtlichen Zeitverlust frühzeitig erkennen zu können.

Aus kariesprophylaktischer Sicht umfasst die häusliche Prophylaxe zunächst einmal klassisch das zweimal tägliche Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta (mindestens 1.450 ppm Fluorid)9,19. Dies ist dahingehend bedeutsam, dass Studien belegen konnten, dass MIH-Kinder eine höhere Kariesprävalenz aufweisen als gesunde Kinder10,11,19 (Abb. 3).

CPP-ACP unterstützt die Mineralisierung

Zudem kann ergänzend die häusliche Anwendung einer Casein-Phosphopeptid-amorphen Calciumphosphat (CPP-ACP)-Creme als Quelle für bioverfügbares Kalzium und Phosphat für hypomineralisierte Zähne sowie zur Unterstützung der Mineralisierung empfohlen werden1,6,16. Allerdings sind die klinischen Informationen hierzu immer noch beschränkt9. Eine der wichtigsten Studien ist die von Baroni et al.1 Die Autoren konnten darlegen, dass sich nach langfristiger Anwendung von CPP-ACP die Struktur des Schmelzes in Bezug auf Mineralisierung, Morphologie und Porosität ändert. In ihrer Studie wurden die Patienten gebeten, drei Jahre lang täglich eine CPP-ACP-haltige Paste in einer Schiene für 20 Minuten vor dem Zubettgehen zu applizieren. Anhand von rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen und energiedispersiver Röntgenspektrometrie konnte gezeigt werden, dass es zu einer Verbesserung des Kristallgefüges im Sinne einer Heilung kommt.

Fissurenversiegelungen

Fissurenversiegelungen können bei hypomineralisierten Molaren in Betracht gezogen werden, wenn diese lediglich Opazitäten und keine posteruptiven Einbrüche auf der Okklusalfläche zeigen beziehungsweise nicht kariös befallen sind (Abb. 4). Die Lokalisation der Verfärbung, ihre Ausdehnung oder die Farbe (weiß, gelb, braun) sind dabei von untergeordneter Bedeutung. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass mild fehlstrukturierte Molaren und kleinere hypomineralisierte Flächen bessere Voraussetzungen für die Haltbarkeit einer Versiegelung bieten als großflächig betroffene Molaren oder dunklere Opazitäten.

Als Material eignet sich der klassische Fissurenversiegeler auf Kunststoffbasis. Jedoch ist auch hierzu die Anzahl an klinischen Studien begrenzt und diese zeigen teilweise kontroverse Ergebnisse. Kotsanos et al. konnten in einer retrospektiven Studie über viereinhalb Jahre nachweisen, dass bei konventionellen, nichtadaptierten Behandlungsprotokollen hypomineralisierte Molaren im Vergleich zu gesunden Zähnen zu einem höheren Prozentsatz eine erneute Behandlung notwendig machen (22,9 vs. 17,7 Prozent)13. Sie konnten zudem zeigen, dass hypomineralisierte Zähne ca. zwei Jahre früher einer Nachbehandlung bedurften und das Risiko eines Verlustes ungefähr dreimal so hoch war im Vergleich zu nicht betroffenen Zähnen bei Verwendung klassischer Behandlungsprotokolle. Demgegenüber konnte eine jüngst durchgeführte prospektive Studie über 18 Monate keine signifikanten Unterschiede in den Retentionsraten mild betroffener MIH-Molaren gegenüber gesunden Zähnen (72 vs. 62 Prozent) finden8.

Lygidakis et al. empfehlen bei mild betroffenen Molaren die mechanische Präparation der oberflächlichen Schmelzschicht des Fissurensystems vor der Versiegelung sowie die zusätzliche Applikation eines „Etch-and-rinse”-Adhäsivsystems zur Verbesserung der Retention14. Es ist allerdings fraglich, ob die Vorpräparation der Fissur insbesondere bei hypersensiblen MIH-Molaren bei Kindern praktisch durchführbar ist.

Management von Hypersensibilitäten

Insbesondere bei hypomineralisierten Molaren berichten einige Kinder bereits mit dem beginnenden Durchbruch von ständigen, mehr oder weniger starken chronischen Schmerzempfindungen. Der Grund für diese Überempfindlichkeiten ist nicht abschließend geklärt. Vermutet wird eine Penetration oraler Bakterien durch den hypomineralisierten Schmelz in die Dentinkanälchen, die Entzündungsreaktionen in der Pulpa hervorrufen können. Dies scheint auch bei Zähnen möglich, die keine eingebrochene Schmelzoberfläche aufweisen7. Hinsichtlich der Behandlung von hypersensiblen MIH-Zähnen existieren verschiedene Behandlungsansätze.

Zunächst wurde die Verwendung von Fluoriden als Möglichkeit gewertet, Hypersensibilitäten bei MIH zu behandeln, da deren Wirksamkeit in der Therapie von Dentinhypersensibilitäten gut belegt ist15. Die Studienlage ist diesbezüglich jedoch immer noch nicht ausreichend16,17. Infolgedessen liegt das Haupteinsatzgebiet der Fluoride bei der MIH momentan nicht im Bereich der Therapie von überempfindlichen MIH-Zähnen, sondern hat ihren Stellenwert im Rahmen der Kariesprophylaxe.

Ein Ansatzpunkt stellt die häusliche Anwendung einer CPP-ACP-haltigen Creme dar. Neben der Unterstützung zur Mineralisierung können die Präparate auch zur Desensibilisierung bei MIH-Patienten mit leichten Schmerzen eingesetzt werden9. Auch hier sind die klinischen Informationen noch begrenzt. Pasini et al.17 wiesen bei 20 Kindern mit einer MIH nach, dass CPP-ACP (GC Tooth Mousse,  GC) bei täglicher Anwendung über 120 Tage hinweg die Empfindlichkeit der betroffenen Zähne signifikant im Vergleich zu einer fluoridierten Zahnpasta mindern kann.

Ein weiterer häuslicher Ansatz, in welchem der betroffene Patient mit einer Paste arbeitet, um die Überempfindlichkeiten zu reduzieren, ist die Pro-Argin-Technologie. Diese wurde ursprünglich zur Behandlung von Dentinhypersensibilitäten entwickelt. Allerdings gibt es hierzu bislang nur eine Studie. Bekes et al.2 untersuchten die Möglichkeit von auf Pro-Argin basierenden Produkten, in dem sie hypersensible MIH-Molaren in der Praxis mit einer Arginin-Desensibilisierungspaste behandelten und die Patienten für weitere acht Wochen anwiesen, eine zugehörige Pro-Argin-Sensitivzahnpasta und die korrespondierende Mundspüllösung zweimal täglich zu verwenden. Es zeigte sich, dass unmittelbar nach der Behandlung eine signifikante Reduktion der Hypersensibilität erreicht werden konnte. Dieser Effekt blieb über die acht Wochen hinweg stabil.

Neuere Daten belegen nun, dass nicht nur der Gebrauch von Pasten einen Ansatz in der Behandlung von Überempfindlichkeiten bei MIH sein kann, sondern dass auch klassische Versiegelungen einen Effekt haben. So konnten Bekes et al. jüngst aufzeigen, dass durch die Versiegelung von hypersensiblen MIH-Molaren mit einem kunststoffbasierten Fissurenversiegeler in Kombination mit einem selbstätzenden Adhäsiv oder mit einem Glasionomerzement (GIZ) Patienten von den Schmerzen befreit werden können4. Die Autorengruppe untersuchte Kinder mit Scores der „Schiff cold air sensitivity scale“ (SCASS) von > 2 und der visuellen Analogskala (VAS) im oberen Bereich der von 0 bis 10 reichenden Schmerzskala (> 7). Die Verringerung der klinischen Symptomatik der schmerzenden hypomineralisierten Molaren setzte sofort nach der Behandlung ein und blieb über den in der Studie angegebenen Untersuchungszeitraum von zwölf Wochen konstant. Diese Verbesserung zeigte sich auch in der Selbstwahrnehmung der Patienten – gemessen anhand der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die vor Beginn der Behandlung berichteten Einschränkungen in der Lebensqualität – insbesondere hinsichtlich der Häufigkeit von Schmerzen und der Einschränkung bei der Nahrungsaufnahme – konnten mit der Applikation der Versiegelungen gemildert werden.

Schlussfolgerungen

In der zahnärztlichen Praxis nimmt die Behandlung von Kindern mit MIH einen hohen Stellenwert ein. Von einer MIH betroffene Patienten sollten frühzeitig diagnostiziert und in ein engmaschiges Recall-Programm eingebunden werden. Die häusliche Prophylaxe sollte die Verwendung von fluoridhaltigen Zahnpasten und unterstützend die Anwendung von CPP-ACP-Präparaten umfassen. Hypersensibilitäten können bei schweren Formen mit Sealing behandelt werden. Dabei können kunststoffbasierte Versiegeler oder – sollte eine ausreichende Trockenlegung nicht möglich sein – GIZ zum Einsatz kommen. Weitere Studien im Rahmen der noninvasiven Behandlungsansätze sind immer noch notwendig.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Katrin Bekes, Wien

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Qintessenz Zahnmedizin 12/2022 Zahnmedizin Prävention und Prophylaxe Restaurative Zahnheilkunde

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