Präventives Gesundheitsverhalten basiert auf der Motivation von Menschen, dieses durchzuführen und beizubehalten. Dabei spielen zum einen persönliche Variablen wie Selbstwirksamkeit und die Fähigkeit zur Durchführung von präventivem Verhalten eine Rolle. Zum anderen nehmen aber auch Umgebungsfaktoren, die das eigene Verhalten zum Beispiel durch das Gesundheitsverhalten des sozialen Umfeldes erleichtern oder erschweren können, Einfluss auf die Motivation. Im Bereich der Motivation von zahnärztlichen Patienten und Patientinnen sind mittlerweile einige Motivierungstechniken beschrieben worden, so die motivierende Gesprächsführung, das „Teach-back“-Verfahren und Techniken zur Zielsetzung und Planung. Prof. Dr. Johan Wölber beschreibt in seinem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 12/2021 diese Methoden und die zugehörigen gesundheitspsychologischen Hintergründe.
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Einleitung
Während die genetischen Voraussetzungen den natürlichen Rahmen in der Ätiologie von Karies und Parodontitis bilden27, sind die meisten Fälle jedoch durch Verhaltensfaktoren wie Zuckerkonsum und Fehlernährung, Diabetes, Rauchen, Stress und unkontrollierte Plaqueakkumulation entstanden6,11,12. Dementsprechend empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ergänzend zu den etablierten mechanischen Ansätzen ebenso eine therapeutische Adressierung von mundgesundheitsrelevanten Verhaltensweisen21.
Diese Notwendigkeit für Erforschung und Einbindung von Motivierungsmethoden wurde auch von Forschungsgruppen, Fachgesellschaften und der Standespolitik erkannt, sodass Kommunikation- und Motivierungsinhalte sowohl in internationalen Lehrplänen und Therapieleitlinien als auch in Abrechnungspositionen Eingang gefunden haben, wenn auch zu unterschiedlichen Anteilen und mit anderen Betonungen2,18,23,24. Zu den meist erwähnten Kommunikations- und Motivierungsmethoden gehören unter anderem das „Motivational interviewing“ (MI, motivierende Gesprächsführung) nach Miller und Rollnick19, die „Teach-back“-Methode25, die Methode des „Goal-setting, planning and self-monitoring“ (GPS, Zielsetzung, Planung und Selbstbeobachtung)4,20 und das „Individually tailored oral health educational programme“ (ITOHEP, individuell zugeschnittenes Mundgesundheitslernprogramm)13–15. Im Folgenden sollen diese Methoden in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden genauer dargestellt und zudem die zugrundeliegenden gesundheitspsychologischen Hintergründe erläutert werden.
Motivierende Gesprächsführung
Die umfassendste Methode der genannten Kommunikations- und Motivierungsmethoden ist wahrscheinlich das MI nach Miller und Rollnick. Grundlegend gliedert sich MI in 3 Bereiche, nämlich in Grundhaltungen, Prozesse und Kommunikationstechniken19.
Die Grundhaltungen beschreiben vereinfacht gesagt, wie Therapeuten ihre Patientinnen und den Motivierungsprozess wahrnehmen sollten. Dazu gehören die Partnerschaftlichkeit, die Evokation, die Akzeptanz und das Mitgefühl (Abb. 1). Die Partnerschaftlichkeit drückt eine Kommunikation auf Augenhöhe aus, in welcher die Patienten als die eigentlichen Expertinnen für ihre Erkrankung, aber auch für ihre Gesundung angesehen werden. Die Evokation (lat. evocare = entlocken) hat den Zweck, das den Patientinnen keine Vorgaben „aufgedrückt“ werden, sondern Ideen von Patienten selbst entwickelt und somit hervorgelockt werden sollen („Was denken Sie, was zur Besserung beitragen könnte?“). Hierbei geht es neben dem „Befähigen“ der Patientinnen darum, auch Widerstand zu vermeiden. Als weitere Grundhaltung, um Reaktanz, also widerständiges Verhalten von Patienten und eine Einschränkung der Autonomie zu vermeiden, sei auch die Akzeptanz genannt. Akzeptanz bedeutet unter anderem die therapeutische Einstellung, das Patientinnen sich nicht verändern müssen, es aber dürfen, wenn Sie es wollen. Hinzu kommt der Ansatz, die Patienten so zu akzeptieren, wie sie sind („Es ist völlig in Ordnung, dass Sie 20 Zigaretten pro Tag rauchen, und ob Sie weiterrauchen oder aufhören, liegt ganz bei Ihnen.“). Was sich auf den ersten Blick paradox anhört und dem klassischen „Arztverständnis“ zu widersprechen scheint, hat den Sinn, dass eigenständig entwickelte, intrinsische Motivation sich bei Patientinnen nur auf Grundlage von Autonomie entwickeln kann22. Im Gegensatz zur extrinsischen Motivation, die durch externe Anreize oder Strafen gekennzeichnet ist und nach Wegfall dieser externen Stimuli in der Regel endet, ist die intrinsische Motivation durch Langfristigkeit gekennzeichnet, zumindest solange die Motivation für das Individuum Sinn macht. Da MI theoretisch auch zu anderen Zwecken wie z. B. Verkauf missbraucht werden könnte, betont die Grundhaltung des Mitgefühles, dass man Patienten auch nur für Inhalte motiviert, die man z. B. auch sich selber oder seiner Familie wünschen würde.
Unter den „Prozessen“ des MI werden vereinfacht gesagt die Schritte beschrieben, bei denen die Patienten auf ihrem Weg zur Veränderung begleitet werden. Zu Ihnen gehören der Beziehungsaufbau, die Fokussierung, wiederum die Evokation und die Planung (Abb. 2). Der Beziehungsaufbau stellt dabei einen zentralen Bestandteil und eigenen Wirkfaktor dar. Diesen Umstand konnte man bei Untersuchungen für die Effektivität von verschiedenen Psychotherapieformen feststellen, wo es zum Teil gar nicht entscheidend war, welche Therapieform die Patientinnen erfuhren, sondern eher, ob sie eine gute therapeutische Beziehung zu den Therapeuten hatten10. Der Schritt der Fokussierung beschreibt die gemeinsame Abstimmung mit den Patientinnen, welcher Verhaltensfaktor adressiert werden soll. Der anschließende Schritt der Evokation lockt wiederum aus den Patienten die selbst gewählten Ziele des betreffenden Verhaltens hervor. Wenn Patientinnen nun final eine Veränderungsabsicht geäußert haben, geht es im Schritt der Planung darum, realistische Schritte zu formulieren und den Umgang mit „Stolpersteinen“ zu planen.
Die Kommunikationstechniken des MI werden in dem englischsprachigen Akronym OARS (Ruder) zusammengefasst (Abb. 3). Zu Ihnen gehören das Stellen von offenen Fragen (O), die Wertschätzung bzw. Affirmation (A), Reflexion (R) und Zusammenfassung bzw. „Summary“ (S). Offene Fragen lassen sich im Gegensatz zu geschlossenen Fragen nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, sondern fördern das Gespräch mit den Patientinnen. Im MI wird angenommen, dass sich Patienten in die Motivation „hineinreden“. Offene Fragen beginnen zumeist mit Fragewörtern wie „Wie?“, „Warum?“, „Wieso?“ („Was, denken Sie, könnten Sie gegen die Entstehung einer neuen Karies unternehmen?“). Affirmationen bzw. Wertschätzungen können vereinfacht als ein „Loben“ von Patienten aufgefasst werden. Sie fördern die Beziehung und die Selbstwirksamkeit. Reflektionen sind im Grunde genommen Wiederholungen von Aussagen der Patientinnen. Sie geben ihnen zum einen das Signal, dass sie verstanden worden sind, und zum anderen die Möglichkeit, das Gesagte selber nochmal zu reflektieren. Tabelle 1 gibt ein Beispiel für eine solche Reflexion.
Zusammenfassungen können gut zum Abschluss eines Gespräches oder einer „Sinneinheit“ den Patientinnen zurückgegeben werden. Sie schließen in der Regel mit der Frage ab, ob alles richtig wiedergegeben wurde.
Bezüglich der Evidenz von MI in der präventiven Zahnmedizin liegen viele Nachweise aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Kinderzahnheilkunde, Kariologie und Parodontologie vor7,16,17,26,29. In den aktuellen S3-Leitllinien zur Therapie der Parodontitis hat die geringe Anzahl der Nachweise allerdings nicht für eine grundsätzliche Empfehlungen gereicht, sodass noch Forschungsbedarf betont wurde23. Nach Ansicht des Autors ist aber vor allem die interdisziplinäre Anwendungsmöglichkeit von MI in der Zahnmedizin beeindruckend. So kann MI gleichermaßen angewandt werden, um frühkindlicher Karies vorzubeugen29, Parodontitispatienten zu intensiverer Mundhygiene zu motivieren7 und Jugendliche zur Mundhygiene und gleichzeitig zur Zuckervermeidung zu motivieren, was nachweislich in einer geringeren Kariesinzidenz mündete33. Ein niederländische Studie konnte zeigen, dass MI-geschulte Studierende nicht nur mehr Parodontitispatientinnen zum Rauchstopp motivieren konnten, sondern auch selbst das Rauchen häufiger aufgaben26. Um im deutschsprachigen Raum eine kostenfreie Weiterbildungsmaßnahme zum Erlernen der Basisprinzipien des MI anzubieten, wurde an der Universität Freiburg ein digitales E-Learning-Tool entwickelt (eMI-med), welches über den Weiterbildungsserver der Universität frei erreichbar ist (https://wb-ilias.uni-freiburg.de/emimed). In einer ersten Studie zur Effektivität und Akzeptanz von eMI-med konnte gezeigt werden, dass Studierende nach Bearbeitung der Module eine gute MI-adhärente Kommunikation mit ihren Patienten zeigten9.
„Teach-back“
In der „Teach-back“-Methode bitten die Therapeutinnen die Patienten die genannten (zahn-)ärztlichen Informationen in eigenen Worten zu wiederholen. Im Falle von Diskrepanzen haben die Therapeutinnen dadurch die Möglichkeit, nicht oder falsch erfasste Informationen zu wiederholen oder richtigzustellen. Diese rekurrente kommunikative „Korrekturschleife“ muss dabei natürlich adäquat und empathisch eingeleitet werden („Mir ist es wichtig, dass die Informationen bei Ihnen richtig angekommen sind, deswegen…“). Tabelle 2 gibt beispielhafte Aussagen von Therapeuten im Sinne des „Teach-back“ wieder. Die Bundeszahnärztekammer hat für die „Teach-back“-Methode im Rahmen der Allianz für Gesundheitskompetenz ein E-Learning-Portal entwickelt (https://www.bzaek-teach-back.de/)3. In einer klinischen Studie im Bereich der Kinderzahnheilkunde konnte gezeigt werden, dass die richtige Zahnpastamenge signifikant häufiger aufgebracht wurde, wenn zahnärztlichen Therapeutinnen die Zahnpasta-Applikation in Kombination mit der „Teach-back“-Methode beigebracht wurde8.
Die „Teach-back“-Methode ist im eigentlichen Sinne keine direkte Motivierungsmethode, sondern hat zum Ziel, in einer intensivierten Kommunikation zwischen Therapeuten und Patientinnen sicherzustellen, dass Patienten auch über das notwendige und korrekte Wissen zur Verhaltensänderung verfügen. Gleichzeitig ist dies natürlich die Grundlage für Sinnstiftung („Wieso sollte ich das eigentlich machen?“) und Ausdruck eines tieferen Interesses der Therapeutinnen an ihren Patienten.
Zielsetzung, Planung, Selbstbeobachtung
Die Methode des GPS umfasst die motivationalen Maßnahmen der Zielsetzung, der Planung und der Selbstbeobachtung4,20. Tabelle 3 zeigt beispielhafte Patientenaussagen zu den Faktoren. Die GPS-Methode wurde in einem systematischen Review zu Verhaltensänderungsstrategien als der bis dato vielversprechendste Ansatz zur Förderung der Mundgesundheit bei Parodontitispatientinnen angesehen20. Sniehotta et al. konnten in einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 239 Teilnehmern zeigen, dass mit einer schriftlichen Zielsetzung und Planung zur Zahnseideanwendung (Wo, Wie, Wann?) signifikant häufiger Zahnseide angewandt wurde als ohne Zielplanung28. Die Intervention dauerte dabei knapp eine Minute.
Als gesundheitspsychologische Erklärung für die Effekte von Zielsetzungen und -planungen kann die Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen1 herangezogen werden. Sie sieht die Intention, also die Zielsetzung als unmittelbaren Prädiktor des eigentlichen Verhaltens an.
Die Selbstbeobachtung wiederum ermöglicht, dass Erfolge auch wahrgenommen werden, was eine der wichtigsten Quellen der sogenannten Selbstwirksamkeitserwartung darstellt5. Die Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt die innere Überzeugung, zukünftige Ziele oder Herausforderungen meistern zu können5. Sie wird gefördert durch selbsterlebtes erfolgreiches Handeln, Modelllernen an für das Individuum wichtigen Personen („Was der kann, kann ich auch.“) und Zusprache von Dritten („Du schaffst das.“). Für die Selbstwirksamkeit konnte in der eigenen Arbeitsgruppe gezeigt werden, dass Patientinnen mit hoher mundhygienespezifischer Selbstwirksamkeit auch tatsächlich häufiger Mundhygiene vollzogen, geringere gingivale Entzündungen aufwiesen und häufiger Prophylaxemaßnahmen in Anspruch nahmen als Patienten mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung30. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Patientinnen, die von MI-geschulten zahnärztlichen Therapeuten behandelt wurden, signifikant höhere Selbstwirksamkeiten in puncto Interdentalraumhygiene im Vergleich zu nicht-MI-geschulten Therapeuten entwickelten32.
ITHOP oder das Individuell zugeschnittene Mundgesundheitslernprogramm
Das ITOHEP beschreibt ein Maßnahmenbündel, welches in vielen Teilen auf MI fußt15. Zuerst wird anhand von offenen Fragen das Vorwissen der Patientinnen in Bezug zur Parodontitis sowie deren Mundhygienegewohnheiten und Therapieerwartungen erfragt. Dazu sollen die Patienten die wichtigsten persönlichen Ziele formulieren. Im Rahmen einer Prophylaxesitzung wird die Plaque angefärbt und den Patientinnen demonstriert. Im Prinzip der kleinen Schritte wird pro Sitzung nur ein selbst gewähltes Mundhygienehilfsmittel in Anwendung, Technik und Frequenz thematisiert. Zum Abschluss der Sitzung werden in gemeinsamer Entscheidungsfindung die angestrebte Anwendung und -frequenz als Ziel zur nächsten Sitzung festgehalten. Für die anschließende häusliche Anwendung des Mundhygienehilfsmittels wird den Patienten ein kurzes Anwendungstagebuch mitgegeben, um in Selbstbeobachtung Erfolge und Herausforderungen zu reflektieren. Längerfristiges Ziel des ITOHEP ist es, alle notwendigen Mundhygienehilfsmittel eingeführt und in ihrer Anwendung evaluiert zu haben. Zudem wird über Rückfälle und anschließende Lösungen gesprochen.
Das ITOHEP wurde in mehreren randomisiert-kontrollierten Studien mit positiven Ergebnissen in Bezug zur Plaquereduktion, Reduktion der parodontalen Inflammation und Kosteneffektivität untersucht13–15. Allerdings stammten diese Untersuchungen alle aus einer Arbeitsgruppe.
Zusammenfassende Betrachtung
Betrachtet man zusammenfassend die verschiedenen Techniken, fallen die großen Gemeinsamkeiten zwischen ihnen auf. Der größte Unterschied liegt wahrscheinlich in der Anwendungszeit und der Herausforderung im Erlernen der Techniken für die Anwenderinnen. Beispielsweise lässt sich eine schriftliche Zielplanung für Mundhygieneartikel sehr zeitsparend und einfach anwenden. Besteht das Ziel allerdings in einer umfassenderen präventiven Praxiskultur, bietet das Erlernen der MI eine gute Möglichkeit, die Vielschichtigkeit von Motivation zu verstehen und für unterschiedlichste Bereiche wie z. B. Rauchentwöhnung, Ernährungslenkung und Mundhygieneförderung anzuwenden.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Johan Wölber, Freiburg
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de