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Nicht die ePA ist das Problem, sondern die Art und Weise, mit der das Projekt durchgezogen wird – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Andrey Suslow/Shutterstock.com

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – dann steht das Christkind vor der Tür. Keine Ahnung ob bei Ihnen zu Hause statt heimeliger Kerzen lediglich elektrisches Lichtgeflacker (natürlich nur aus Sicherheitsgründen) versucht, das herzerwärmende Signal zu senden, dass es bis Weihnachten nur noch gut zwei Wochen dauern wird. Vielleicht dürfen Ihre Kinder oder Enkelkinder statt mit hinter kleinen Papptürchen versteckten zuckrigen Kalorienspendern ganz modern mit einem digitalen Adventskalender die Vorfreude steigern.

Aber wie auch immer: Genießen Sie die von Erinnerungen aus Kindertagen befeuerten Gedanken, vergessen Sie digitale Adventskalender und denken Sie besser nicht über Neujahr hinaus.

Ein neuer heller Leitstern?

Auch wenn dann eine neue Zeitrechnung im Kosmos des bundesdeutschen Gesundheitswesens beginnen soll. Ach was sage ich: wird! Denn kurz, nachdem Casper, Melchior und Balthasar, die drei Weisen aus dem Morgenland, sich am 6. Januar vom hellen Stern nach Bethlehem haben leiten lassen, wird am 15. Januar 2025 am Firmament der Telematik-Infrastruktur ein greller Leitstern aufgehen, den die Wissenden der Gesundheits-IT bereits seit fast einem Vierteljahrhundert sehnsuchtsvoll erwarten. Damit endlich alles besser werden kann.

Der Weise aus dem Rheinland 

Man mag es angesichts des langjährigen zeitlichen Vorlaufs kaum glauben: Am 15. Januar wird die deutsche Version einer elektronische Patientenakte, kurz ePA genannt, in den Modellregionen Franken und Hamburg starten. Sollte dieser „Regionaltest“ zur Zufriedenheit der Experten im Bundesgesundheitsministerium (BMG) ausfallen –  wohlgemerkt nicht der Anwender oder der Softwareexperten der PVS-Hersteller –, beginnt einen Monat nach dem Start der bundesweite Rollout. Und damit auch klar ist, wo der Hammer hängt: Gemäß BMG sollen 80 Prozent der GKV-Versicherten 2025 mit einer ePA versorgt worden sein. Dann würde Karl, der Weise aus dem Rheinland, als der Möglichmacher, als der digitalste Gesundheitsminister Deutschlands in die Geschichte eingehen. Welch ein Vermächtnis!

Und ab dann wird in jedem neuen Jahr am 15. Januar mit Kreide ein „K“ und das historische Datum an den Türrahmen des Ministeriums geschrieben. Sofern sich ein passender Karl-Darsteller finden wird. Je nachdem, wie es mit dem Start der ePA läuft, könnte diese Rolle auch Knecht Ruprecht oder der Schmutzli, de swatte Piet und im Rheinland Hans Muff übernehmen.

Das Märchen von der ab Start voll funktionsfähigen ePA

Würde man die Niedergelassenen angesichts der mit der Einführung der ePA erwarteten Herausforderungen befragen (etwas, was im wirklichen Leben nicht zu befürchten ist), wie sie denn die Rolle besetzen würden, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Hans Muff aka Pelznickel oder Düwel gesetzt. Denn seit Monaten werden der Minister, seine leitenden Beamten wie auch die Werbung der Krankenkassen nicht müde, der Öffentlichkeit das Märchen einer ab dem Start voll funktionsfähigen ePA zu erzählen. Und zwar technisch wie inhaltlich.

Es klemmt – von Test bis inhaltliche Struktur

Beides ist jedoch nicht gegeben. Weder konnte die ePA aufgrund der kurzen Zeit – gemäß dem ehemaligen Bundesdatenschützer Prof. Ulrich Kelber soll das Backend Mitte November dieses Jahres für die Tests noch nicht funktionsfähig gewesen sein – ausreichend getestet werden, geschweige denn sind die Anpassungsarbeiten der PVS-Hersteller aufgrund der von der Gematik viel zu spät zur Verfügung gestellten Testumgebung vollumfänglich erfolgt. Von einer inhaltlichen Strukturierung der ePA ganz zu schweigen, die ja eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Nutzen der unterschiedlichen Anwender ist.

Die Banane reift beim Anwender

All das spricht nicht gegen eine elektronische Patientenakte. Sondern dagegen, wie „das größte Digitalisierungsprojekt im deutschen Gesundheitswesen“ durchgezogen wird. Kurz: technisch unfertig und mit einer gegenüber den Patienten überzogenen Erwartungshaltung aufgeladen. Und das trotz mehr als zwei Jahrzehnten Zeit. Im Wissen um den Bananenstart der ePA – „Software reift beim Anwender“ – kann man es nur perfide nennen, wie gegen besseres Wissen vonseiten des Ministers, des Ministeriums und insbesondere der Werbung der Kassen den zukünftigen Nutzern die aktuelle Leistungsfähigkeit der Akte dargestellt wird. Denn die ePA ist eben nicht voll funktionsfähig, wie gegenüber den Patienten suggeriert. 

Der schwarze Peter wurde bereits verteilt

Auch wenn diese kommunikative Dämlichkeit nicht der ePA anzulasten ist, wird sie dennoch die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz dieses Projekts beschädigen. Und damit ist auch klar, wer ab dem 24. Februar des kommenden Jahres den schwarzen Peter haben wird – dummerweise die, welche die Hauptlast der Versorgung tragen. Mit anderen Worten: Etwas wichtigeres zu tun haben, als den Patienten die ePA und deren „do‘s und dont’s“ zu erklären.

 

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

e-PA-Füllung ist klar geregelt: nur Aktuelles

Gleiches gilt auch für die bei den GKV-Versicherten aufgebaute Erwartungshaltung, dass mit dem Start der ePA die Patientendokumente quasi im Vorbeigehen in der digitalen Akte landen werden. Das Lauterbachsche Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen (DiGi-G) regelt ganz klar, dass die Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte, Kliniken) nicht für die Befüllung der ePA mit „historischen Daten und Dokumenten “ zuständig sind. Die gesetzliche Verpflichtung zur Befüllung der Akte bezieht sich auf Befunde und Berichte im Kontext aktueller(!) Behandlungen.

Immerhin sind in den ärztlichen und zahnärztlichen Praxen auch die Fachangestellten befugt, Dokumente in die ePA hochzuladen. Seitens des Gesetzgebers wurden die Krankenkassen dazu verpflichtet, bis zu zehn Dokumente pro Jahr und Versicherten zu digitalisieren und hochzuladen. Man darf gespannt sein, ob diese zusätzlichen Tätigkeiten bei den Kassen ohne weitere Personalexpansion integriert werden können.

Patientennutzen und Monetarisierung durch Dritte

Leider ist eine sinnhafte Kommunikation dieser banalen, weil einfachen Unterscheidungen öffentlich kaum zu vernehmen. Wesentlich problematischer ist es jedoch, dass selbst zum Start der ePA der Wesenskern einer elektronischen Akte von einzelnen öffentlich wahrnehmbaren Akteuren nicht begriffen zu sein scheint: Wie eine Papierakte auch, füllt sich diese über die Zeit der Nutzung. Es macht überhaupt keinen Sinn, die ePA, nur weil digital, so schnell wie möglich mit sämtlichen Informationen einer Patientenhistorie zu füllen. Der Sinn entsteht erst aus dem patientenindividuellen Kontext. Oder doch aus den Vorstellungen Lauterbachs, die sich im Hinblick auf die Monetarisierung des Aktencontents durch Nutzung Dritter im Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GNDG) ergeben?

Verwaltung der Daten bringt Unwucht im System

Zum Wesenskern der deutschen Version einer elektronischen Patientenakte gehört deshalb noch ein weiterer Aspekt: Der Patient „führt“. Der Versicherte soll, so die Vorstellungen der politischen Administration, seine Akte über die Zugriffsberechtigungen wie auch die jeweilige Sichtbarkeit der Inhalte managen – egal, ob es sich um junge oder alte, technikaffine oder chronisch Kranke handelt. Die Unwucht, den an sich guten Gedanken, dass der Patient Herr der Daten sei, auch Realität werden zu lassen, ist deutlich zu spüren. Diese „aktive“ Rolle wird zwar immer wieder benannt, wirken soll diese aber wohl eher als Beruhigung für die digitale Sammlung persönlicher Daten an zentraler Stelle.

Das damit der zentrale Sinn einer Patientenakte von Patientensicherheit bis hin zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen und Doppelmedikationen in Frage gestellt wird, scheint keinen zu stören. Beispiel: Auch die Medikamentenliste, die automatisch generiert wird, kann vom Patienten zwar nicht inhaltlich selektiert, aber gesperrt werden. Theoretisch also eine Wahlmöglichkeit, die aber realiter im Behandlungsalltag nicht allzu lange Bestand haben wird.

Der Funktionsumfang muss und wird noch wachsen

Dass die ePA zum Start noch nicht voll funktionsfähig im Sinne des vom Minister versprochenen (Funktions)umfangs ist beziehungsweise sein kann, muss auch im Kontext der Größe des Projekts gesehen werden. Auch PVS- und KIS-Systeme starteten dereinst mit einer geringen Anzahl an Funktionalitäten. Folgende Funktionen stecken in der Pipeline und sollen ab 2026 integriert werden: Volltextsuche in den Dokumenten der ePA, Medizinische Informationsobjekte (MIO) wie das Zahnbonusheft, Impfpass oder auch das Kinder-U-Heft, E-Bildbefund, Disease-Management-Programme oder auch strukturierte Krankenhausentlassbriefe. Und der sogenannte Europäische Gesundheitsdatenraum will ebenfalls ab 2026 bedient werden. Den Anfang soll die grenzüberschreitende Behandlung mit strukturierten Anwendungsfälle wie die elektronische Patientenakte machen. 

Nutzen und Nutzung der Patientendaten ist nicht dasselbe

Doch jeder, der einer besseren Patientensteuerung, mithin einem Primärarztsystem das Wort redet, um den Aufwand zu reduzieren und Kostenvorteile zu generieren, muss sich bewusst sein, dass dies ohne eine funktionsfähige ePA nicht möglich sein wird. Wie so manches nicht, was Noch-Minister Lauterbach großspurig versprochen hat und im Vorgriff auf eine funktionierende ePA bereits in Gesetze gegossen hat: Die Nutzung der Patientendaten, vulgo aggregierte und anonymisierte Gesundheitsdaten, durch Dritte. Von der Forschung über die Industrie bis hin zu den Tech-Kraken aus Übersee. Aber das ist dann eine andere Geschichte. Sagt der Minister und sonnt sich im größten IT-Projekt.

Zusatzarbeit landet billig bei den Ärzten und Zahnärzten

Tun wir also so, als ob der Start dieses digitalen Großprojektes wie ein „richtig“ eingeführtes Zäpfchen flutschen wird. Das bisschen Zusatzarbeit mit der Technik und der Aufklärung der Patienten und Patientinnen machen die niedergelassene Zahnärzte- und Ärzteschaft mal eben so nebenbei und fast kostenlos. Denn die für die Erstbefüllung der ePA einmalig anwendbare Bema-Position ePA1 bringt immerhin vier Punkte und satte 5,03 Euro. Einmalig!

Was interessieren dann noch solche Petitessen wie die mögliche Verletzung des Arztgeheimnisses. Aber das ist dann ein anderes Thema.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Reference: Politik Telematikinfrastruktur Praxis

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