Im Gegensatz zu Migräne mit bis zu 10 Millionen Betroffenen zählen Trigeminusneuralgie und Clusterkopfschmerzen zu den weniger bekannten Kopfschmerzarten. Für diese Patientinnen und Patienten ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht: Denn oft erkennen nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte diese Erkrankungen. Auch die Erforschung dieser seltenen Kopfschmerzarten geht eher langsam voran, weil sie weniger stark im öffentlichen Bewusstsein sind. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) wies Ende vergangenen Jahres auf die neue Behandlungsleitlinie Trigeminusneuralgie hin, die nach mehr als einem Jahrzehnt von einem Gremium aus Expertinnen und Experten auf den neuesten Stand gebracht wurde.
Im Alter häufiger
„Die Trigenimusneuralgie tritt eher im Alter auf – daher müssen wir mit einer Zunahme in den nächsten Jahren rechnen“, so PD Dr. med. Gudrun Goßrau vom Universitätsklinikum Dresden, 1. Vizepräsidentin der DMKG. Dr. med. Katharina Kamm von der LMU München weist darauf hin, dass Menschen, die gleichzeitig von Migräne und dem selteneren Clusterkopfschmerz betroffen sind, oft fünf bis zehn Jahre auf die Diagnosestellung warten müssen. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese spezielle Kopfschmerzkombination bei vielen Menschen überhaupt nie erkannt wird“, so die Expertin.
Nach mehr als zehn Jahren wurde die S1-Leitlinie „Trigeminusneuralgie“ grundsätzlich überarbeitet. Ein interdisziplinäres Expertengremium, koordiniert durch DMKG und DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie), hat die aktuelle wissenschaftliche Evidenz zu Diagnose- und Therapiemöglichkeiten der Trigeminusneuralgie und – bei fehlender wissenschaftlicher Evidenz – den Expertenkonsens zusammengefasst.
Die Trigeminusneuralgie zeigt sich durch wiederkehrende und sehr heftige Schmerzattacken von bis zu zwei Minuten Dauer im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus, meist im Ober- oder Unterkiefer. Zwar ist die Trigeminusneuralgie nicht sehr häufig; die Lebenszeitprävalenz liegt bei 0,16 bis 0,7 Prozent. Allerdings können die Attacken die Betroffenen stark belasten. Dabei sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer (60 Prozent versus 40 Prozent). Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 53 - 57 Jahren. Aufgrund der demografischen Entwicklung Deutschlands ist von einer Zunahme an Patientinnen und Patienten auszugehen.
Medikation in Deutschland speziell
„Diagnostiziert wird die Trigeminusneuralgie primär klinisch. Eine MRT (Magnetresonanztomographie) ist erforderlich, dabei bleibt das 3-Tesla-MRT weiterhin Goldstandard“, so Goßrau. Die Trigeminusneuralgie wird zunächst medikamentös behandelt, Carbamazepin ist weiterhin das Mittel der Wahl. Oxcarbazepin besitzt eine vergleichbare Wirkung, ist jedoch in Deutschland nicht zugelassen für die Therapie der Trigeminusneuralgie und kann nur off-label eingesetzt werden. Eine Einschränkung in der Behandlung besteht darin, dass die Krankenkassen in der Regel diese Off-label-Präparate nicht erstatten, obwohl sie indiziert wären. Diese Einschränkung gilt für viele medikamentöse Therapien der Trigeminusneuralgie und hat Einfluss auf die Versorgungsrealität der Patientinnen und Patienten.
Ein zugelassenes Medikament ist Phenytoin, das bei einer Zunahme der Schmerzen eingesetzt wird. Als dauerhafte Medikation wird es in Kombinationstherapien eingesetzt, diese können sinnvoll sein, da dadurch die Einzeldosen reduziert werden können und synergistische Effekte möglich sind. Berücksichtigt werden müssen insbesondere beim Einsatz von Carbamazepin und Phenytoin zahlreiche pharmakologische Interaktionen und auch die umfangreichen Nebenwirkungen. Dies ist bei Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter und mit vorhandener Polypharmazie klinisch relevant, erklärte Goßrau.
Bei unzureichender Wirkung der medikamentösen Prophylaxe oder bei intolerablen Nebenwirkungen sollten operative oder ablative Therapieverfahren erwogen werden. Dabei entscheidet die Ursache der Trigeminusneuralgie über einsetzbare Verfahren, aber auch allgemeine Operations- und Narkoserisiken sowie die Wünsche der Patientinnen und Patienten werden in der Entscheidungsfindung berücksichtigt.
Migräne und Clusterkopfschmerz gleichzeitig: doppelt betroffen
Menschen, die unter einer Migräne oder unter Clusterkopfschmerz leiden, stehen vor besonderen Herausforderungen und benötigen umfassende Diagnostik und Behandlungsansätze. Mit 8 bis 10 Millionen Betroffenen in Deutschland ist Migräne eine sehr häufige Erkrankung, die insbesondere Frauen betrifft. Der Clusterkopfschmerz ist hingegen viel seltener, in Deutschland geht man von rund 120.000 Betroffenen aus. Männer sind häufiger betroffen als Frauen, das Verhältnis liegt bei 3:1. Ca. 10 bis 20 Prozent der Clusterkopfschmerzpatientinnen und -patienten leiden zusätzlich an einer Migräne. Nicht bekannt dagegen ist, wie häufig Migränepatientinnen und -patienten an Clusterkopfschmerz leiden, so Dr. Katharina Kamm, Ärztin der Neurologischen Klinik und Poliklinik des LMU Klinikums in München.
„Beide Erkrankungen sind in Deutschland unterdiagnostiziert. Insbesondere für den Clusterkopfschmerz gilt, dass es bis zur Diagnosestellung 5 bis 10 Jahre dauern kann“, erklärte Kamm. Die beiden Kopfschmerzarten unterscheiden sich in ihrer klinischen Präsentation deutlich, so tritt der Clusterkopfschmerz mit trigemino-autonomen Begleitsymptomen wie einem tränenden Auge oder einer laufenden Nase auf. Während der Kopfschmerz-Attacke sind Patientinnen und Patienten typischerweise sehr unruhig und müssen sich bewegen. Bei einer Migräneattacke verstärkt sich der Kopfschmerz durch körperliche Aktivität typischerweise und es besteht eine Reizempfindlichkeit, sodass Betroffene sich eher zurück ziehen. Sofern die beiden Kopfschmerzarten gemeinsam auftreten, ist die klinische Präsentation meist nicht mehr so eindeutig, was die Diagnostik zusätzlich erschwert. Dies ist ein Grund, warum insbesondere für Clusterkopfschmerzpatientinnen und -patienten häufig viele Jahre bis zur Diagnosestellung vergehen.
„Als Kopfschmerzärztinnen und -ärzte wünschen wir uns, dass Menschen mit unklaren oder sehr beeinträchtigenden Kopfschmerzen schneller und häufiger von der Hausarztpraxis in eine Kopfschmerzambulanz oder eine neurologische Praxis überwiesen werden“, erklärt Kamm auf der Online-Pressekonferenz der DMKG zur neuen Leitlinie abschließend.