Die Forderung nach einer höheren Fluorid-Dosierung bei Kinderzahnpasten sowie der Appell, bei Unfällen von Kindern und Jugendlichen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich sehr rasch zu handeln und präventiv für eine flächendeckende Bereitstellung von Zahnrettungsboxen zu sorgen, waren die Themen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz dreier zahnmedizinischer Fachgesellschaften heute in Dortmund. Anlässlich einer Gemeinschaftstagung stellten die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) sowie die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) nähere Fakten dazu vor.
Karies: bei Sechsjährigen immer noch erhebliche Krankheitslast
Auf neue Empfehlungen für fluoridhaltige Kinderzahnpasten haben sich zwölf Experten mehrerer Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden geeinigt. Der DMFT-Index sei seit 1997 zwar auch um 28 Prozent gesunken, „eine Kariesprävalenz von 1,7 bei Sechsjährigen zeige eine immer noch erhebliche Krankheitslast für ein so hoch entwickeltes Land wie Deutschland“, so DGPZM-Präsident Prof Stefan Zimmer. Die neuen Empfehlungen sehen vor, dass Kinder vom zweiten bis sechsten Geburtstag zweimal täglich ihre Zähne mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 1.000 ppm Fluorid putzen. In den beteiligten Ländern wurden für Kinder bis zum sechsten Geburtstag bislang Zahnpasten mit reduzierter Fluoridkonzentration (500 ppm) empfohlen.
Systemische Gabe von Fluorid nicht mehr aktueller Stand
Anlass für die Empfehlung war die Tatsache, dass der Kariesrückgang im Milchgebiss im Vergleich zu den bleibenden Zähnen deutlich geringer ausfällt. Laut Prof. Matthias Hannig zeigen neuere Analysen klinischer Studien, dass ein überzeugender Nachweis für die Wirksamkeit von 500-ppm-Fluorid-Zahnpasten fehlt. Er erläutert die klare Position der Zahnmediziner zur Fluoriden: „Die Wirkung von Fluorid ist klar topical, über die Konzentration muss geredet werden!“. Die systemische Gabe von Fluorid statt der Verabreichung von fluoridhaltiger Zahnpasta für unter Zweijährige sei nicht mehr aktueller Stand der Empfehlungen.
Kleinere Tubenöffnungen, viskösere Pasten
Bereits ab Durchbruch des ersten Milchzahns sollen Kinder demnach bis zum zweiten Geburtstag entweder zweimal täglich mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 500 ppm oder mit einer reiskorngroßen Menge einer Zahnpasta mit 1.000 ppm putzen, empfahl Zimmer. Forderungen an die Industrie dazu sind, die Tuben der Kinderzahnpasten mit kleineren Öffnungen zu versehen und die Viskosität der Produkte so einzustellen, dass eine einfache Portionierung möglich ist. Die Dosierungsempfehlung solle auf die Tuben aufgedruckt werden. Gespräche mit der Industrie werden demnächst aufgenommen, so Zimmer.
Priorität für Zahn- und Kiefertraumata
Bei Sport-, Freizeit- oder Verkehrsunfällen von Kindern und Jugendlichen sollte die Versorgung von Verletzungen an den Zähnen und zahntragenden Knochenteilen Priorität vor beispielsweise Knochenbrüchen an Armen und Beinen erhalten. Dies sollte bei Kopfverletzungen direkt nach der Abklärung geschehen, ob ein Schädel-Hirntrauma vorliegt, erklärte Dr. Richard Steffen, Vorstandsmitglied der europäischen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (EAPD). „Denn gerade bei bestimmten Zahnverletzungen tickt die Uhr!“ Die Auswirkungen auf Ästhetik, Funktion, Wachstum, das Gesicht etc. seien enorm, die Kinderzahnheilkunde entsprechend anspruchsvoller, da vulnerabler. Zähne und Kieferknochen im Wachstum sind erheblichen Veränderungen unterworfen und Traumata würden sich entsprechend stark auswirken.
Je nach Alter unterschiedliche Behandlung nötig
Steffen wies darauf hin, dass gleiche Traumata im Zahn- und Kieferbereich je nach Alter eine unterschiedliche Behandlung benötigen. Gerade deshalb sei es wichtig, das Zeitfenster für die Regenerationskräfte des Körpers zu nutzen. Je schneller eine traumatische Verletzung der Zähne und des Kiefers nach einem Unfall von kompetenten Zahnmedizinern versorgt werden könnten, desto besser seien die Heilungsaussichten. Außerdem forderte Steffen die flächendeckende Versorgung an Schulen und Sportanlagen mit der Zahnrettungsbox – sie helfe, Folgeschäden zu mindern oder ganz zu verhindern. Werde ein ausgeschlagener Zahn innerhalb von Minuten fachgerecht in einer Zahnrettungsbox gelagert, sei die Überlebens- und Heilchance eines solchen Zahns dramatisch besser.
Zahnrettungsboxen: flächendeckend, aber noch nicht ausreichend
Allein in Nordrhein-Westfalen kam es laut Auskunft der Unfallkasse NRW in den vergangenen beiden Jahren zu jeweils mehr als 10.000 solcher Unfälle. Hier sah Steffen Schulen und Gemeinden, aber auch die gesundheitspolitisch Verantwortlichen sowie Versicherer in der Pflicht. Insgesamt 40.000 Einrichtungen und 40 Städte komplett sind in Deutschland bereits in das Zahnrettungskonzept integriert und verfügen über solche Rettungsboxen, so die für die Verteilung zuständige Organisation (www.zahnrettungskonzept.info).
Sinnvoll sei darüber hinaus die Ausstattung von Rettungswagen und Ambulanzen mit Zahnrettungsboxen. Eine wichtige Frage ist die Finanzierung und Qualitätskontrolle der Versorgung, „das klappt regional sehr unterschiedlich gut“. Wichtig sei, Kostenträger wie Krankenkassen und Unfallversicherungen vom Nutzen dieser Boxen zu überzeugen.
Damit formulierten die drei veranstaltenden Fachgesellschaften viele Forderungen an Gruppierungen und Institutionen der Zahnmedizin, Dentalindustrie und Politik (und verschonten die wenigsten) – und gaben so spannende Themen für die Zukunft vor.
Markus Brakel/KN