Dass eine kieferorthopädische Therapie durch Korrektur von Zahn- und Kieferfehlstellungen einen prophylaktischen Wert im Hinblick auf die Prävention von Karies, Parodontitis, Fehl- und Überbelastungen des stomatognathen Systems haben kann, ist lange bekannt und in Deutschland weitgehend anerkannt. Mit dem Paradigmenwechsel Ende des 20. Jahrhunderts weg von Edward H. Angles oberster Priorität der Okklusionseinstellung hin zu der Auffassung, dass orofaziale Proportionen und deren Funktion das Hartgewebe formen und insbesondere die Formung des Hartgewebes limitieren, muss auch kieferorthopädischen Maßnahmen bereits vor der Manifestation ausgeprägter Zahnfehlstellungen und Gebissanomalien im Sinne einer Prophylaxe Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zu den frühen präventiven Maßnahmen, welche die Entstehung einer Dysgnathie verhindern bzw. deren Ausprägung möglichst geringhalten, gehören das Abgewöhnen schädlicher Gewohnheiten, sogenannter Habits, und die Bahnung physiologischer Bewegungsmuster der orofazialen Muskulatur, jedoch auch der Erhalt von Milchzähnen und ganz allgemeine zahnmedizinische und medizinische Maßnahmen, die eine regelrechte Gebissentwicklung ermöglichen (Primärprophylaxe). Die kieferorthopädische Frühbehandlung im Milch- und frühen Wechselgebiss einschließlich der Ruhephase (Sekundärprophylaxe) von jungen Patienten mit Zahnstellungs- und Gebissanomalien, die für einige Entitäten in engem Zusammenhang mit Habits und Dyskinesien stehen, umfasst zeitlich begrenzte Maßnahmen, welche die Progression einer bereits bestehenden Anomalie verhindern sollen und so meist im Rahmen einer interzeptiven, also Zwei-Phasen-Behandlung, eine kieferorthopädische Therapie in der späten Wechselgebissphase erleichtern. In diesem Kontext werden im vorliegenden Beitrag besonders die Notwendigkeit der Beseitigung schädlicher Angewohnheiten und Fehlfunktionen betrachtet und basierend auf den wichtigsten Indikationsstellungen die therapeutischen Maßnahmen, vor allem im Milch- und frühen Wechselgebiss, erörtert.
Manuskripteingang: 12.10.2022, Manuskriptannahme: 12.12.2022
Schlagwörter: Prophylaxe, Frühbehandlung, Dysfunktion, Dysgnathie, Milch- und frühes Wechselgebiss