Eine aktuelle Studie aus Mexiko hat ergeben, dass eine höhere Fluoridaufnahme bei Schwangeren zu einem geringeren IQ des Nachwuchses führt. Doch welche Bedeutung hat dieses Ergebnis für Deutschland?
Diese Studie [1] ist Teil der ELEMENT-Studie (Early Life Exposures in Mexico to Environmental Toxicants), einer groß angelegten Longitudinalstudie, die seit den 1990er Jahren vom US-amerikanischen National Health Institute (NIH) in Kooperation mit verschiedenen US- und mexikanischen Gesundheits- und Umweltbehörden durchgeführt wird. Ziel ist es, die Belastung der mexikanischen Bevölkerung mit Schadstoffen zu untersuchen und daraus Empfehlungen für maximal tolerable Schadstoffkonzentrationen abzuleiten. In diesem Zusammenhang wurden unter anderem Urinproben genommen, die nun auch bezüglich Fluorid untersucht wurden.
Studie aus Mexiko: Methoden und Ergebnisse
Insgesamt hatten 997 Schwangere an der vorliegenden Studie teilgenommen. Wegen der enorm langen Laufzeit von etwa 15 Jahren konnten am Ende nur 299 Mutter-Kind-Paare analysiert werden. Die Schwangeren lebten in Mexico-Stadt, wo es eine Salzfluoridierung (250 ppm) gibt. Der Fluoridgehalt im Trinkwasser liegt dort zwischen 0,15 ppm und 1,38 ppm. Da nicht abschließend geklärt werden konnte, welche weiteren Umwelt- und Ernährungsquellen es für Fluorid gab, haben die Wissenschaftler die Fluoridausscheidung im Morgenurin als Referenz genommen. Damit lässt sich bei Erwachsenen die Gesamtaufnahme von Fluorid abbilden. Allerdings ist die Zuverlässigkeit dieses so genannten „Spot-Urins“ nicht so hoch wie die Messung des 24-Stunden-Urins. Im Durchschnitt lagen die Fluoridausscheidungen bei ca. 0,9 mg/L. Die Streuung war sehr groß, denn das Minimum lag bei 0,23 mg/L und das Maximum bei ca. 2,25 mg/L (Standardabweichung 0,36). Die Forscher haben die Fluoridkonzentration im Urin mit der Intelligenz der vier- beziehungsweise sechs- bis zwölfjährigen Kinder korreliert. Dazu setzten sie validierte und etablierte Messverfahren ein: Der McCarthy Scales of Children’s Abilities (MSCA) bei Vierjährigen und der Wechsler Abbreviated Scale of Intelligence (WASI) bei den Sechs- bis Zwölfjährigen. Das Ergebnis: Bei einer Zunahme der Fluoridkonzentration um 0,5mg/L war der IQ um 2,5 Punkte signifikant reduziert. Die Forscher nutzten eine aufwendige Statistik, um Störfaktoren auszuschließen. Zum Beispiel wurde die häusliche Umgebung, die auch einen Einfluss auf die Entwicklung der Intelligenz hat, mit einem entsprechenden Test gemessen, außerdem Rauchen, Alter, Geburtsgewicht und andere.
Fluoridquellen in Deutschland im Vergleich zu Mexiko-Stadt
Um zu prüfen, ob das Ergebnis der Studie auf Deutschland übertragbar ist, sollten zunächst die Fluoridquellen verglichen werden. Als systemische Fluoridquelle steht in Deutschland Speisesalz im Haushalt mit einem Gehalt von 310 ppm zur Verfügung. Die natürlichen Fluoridgehalte im Trinkwasser (überwiegend weniger als 0,3 ppm) sind gering. Dazu kommen lokale Fluoridquellen wie Zahnpasta, Lacke, Gelpräparate und Mundspüllösungen. Weil diese ausgespuckt werden, spielen sie bei der systemischen Aufnahme eine unbedeutende Rolle. Im Unterschied zu Mexiko-Stadt mit Speisesalzfluoridierung und stark variierenden Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser sind die Quellen für Fluorid hierzulande begrenzt.
In Deutschland existieren zurzeit keine vergleichbaren Studien-Daten. Eine Studie [2] aus der Nordschweiz aus dem Jahr 2006 eignet sich allerdings für den Vergleich, da beide Länder eine annähernd gleiche Fluoridprophylaxe besitzen. Für die Studie wurden Erwachsene aus dem Nordwesten der Schweiz (Basel und Umland) untersucht, die entweder Fluoridsalz (Umland) oder Trinkwasserfluoridierung (TWF) (Basel-Stadt) erhalten hatten. Die TWF-Gruppe hatte Fluoridkonzentrationen von 0,64 mg/L im Urin mit einer Standardabweichung von 0,24 mg/L. Bei der Salz-Gruppe waren es 0,47 mg/L (Standardabweichung 0,24 mg/L). Durch die Mobilität der Studienteilnehmer zwischen Basel-Stadt (TWF) und Umland (Fluorid-Salz) ist davon auszugehen, dass die Salzgruppe teilweise Salz und TWF aufnahm und dadurch einer höheren Fluoridexposition unterlag als Menschen in Deutschland mit reiner Salzfluoridierung. Die Standardabweichung aus der Schweizer Studie (0,24 mg/L) kann nicht direkt mit der aus der Mexiko-Studie (0,36 mg/L) verglichen werden, da die Kohorte dort etwa zehnmal so groß ist. Normalerweise müsste die Standardabweichung in der Mexiko-Studie deshalb verhältnismäßig kleiner sein. Allerdings ist sie trotzdem größer als in der Schweiz-Studie. Dementsprechend ist die Streuung, sprich Spannweite der Fluoridaufnahme in der Mexiko-Studie deutlich größer. In der Schweiz-Studie sind kein Minimum und kein Maximum angegeben, sonst wäre ein genauerer Vergleich möglich.
Fazit: Die Studie aus Mexiko ist methodisch weitgehend in Ordnung. Insgesamt zeigt sich aber, dass die Fluoridaufnahme mindestens doppelt so hoch ist wie unter den Bedingungen der reinen Salzfluoridierung im Nordwesten der Schweiz (überwiegend Basel-Umland) [0,9 mg/L versus 0,7 mg/L]. Die Autoren der Mexiko-Studie geben an, dass der Zusammenhang zwischen Fluorid und dem IQ erst bei Ausscheidungen über 0,8mg/L merkbar wird. Da dieser Wert oberhalb des Mittelwerts (0,47 mg/L) und der Standardabweichung (0,24 mg/L) aus der Schweiz-Studie liegt und davon auszugehen ist, dass sich die sonstigen Fluoridquellen zwischen der Nordschweiz und Deutschland nicht groß unterscheiden, ist daraus abzuleiten, dass in Deutschland kein Zusammenhang zwischen der systemischen Fluoridaufnahme bei Schwangeren und dem IQ der Kinder besteht.
Prof. Stefan Zimmer, Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin, Universität Witten/Herdecke, Sprecher der Informationsstelle für Kariesprophylaxe
Dr. Matthias Brockstedt, Ärztlicher Leiter des Kinder- und Jugenddienstes Berlin Mitte, Beiratsmitglied der Informationsstelle für Kariesprophylaxe
Informationsstelle für Kariesprophylaxe
Die Informationsstelle für Kariesprophylaxe setzt sich seit 1991 durch die Zusammenarbeit mit Zahn- und Kinderärzten sowie öffentlichen Gesundheitsdiensten für eine breitere Verwendung von Fluoriden, insbesondere von fluoridiertem Speisesalz, als eine wirkungsvolle Komponente der Kariesvorbeugung ein. Dadurch soll erreicht werden, dass Kinder und Jugendliche mit gesunden Zähnen aufwachsen und bei Erwachsenen auch weiterhin ein starkes Bewusstsein für die Zahngesundheit verankert wird. Informationen unter kariesvorbeugung.de.
Literatur
[1] Bashash M et al: Prenatal fluoride exposure and cognitive outcomes in children at 4 and 6–12 years of age in Mexico. Environ Health Perspect 2017; 125: 0970171. DOI:10.1289/EHP655
[2] Guindy JS et al. (AG Jürg Meyer): Fluoride excretion of adults living in border regions with either water or salt fluoridation. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2016; 116: 362-366.