Zahnärzte sehen ihre Patienten in der Regel mindestens einmal im Jahr und die Prävention ist für sie und ihre Patienten ein gewohntes Thema. Wie kann es gelingen, diese hohe Kontaktfrequenz und Präventionsorientierung nicht nur für die Zahnmedizin, sondern auch für die medizinischen Probleme und Allgemeinerkrankungen der Patienten sinnvoll zu nutzen?
Diese Frage der interdisziplinären Gesundheitsförderung hatten die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und CP GABA in diesem Jahr zum Thema des Präventionspreises „Medizin und Zahnmedizin – Prävention verbindet“ gemacht. Die Auszeichnung ist Teil der gemeinsamen „Initiative für eine mundgesunde Zukunft in Deutschland“. Die Initiatoren ehrten am 19. Oktober 2018 in Berlin insgesamt drei Projekte, die mit zukunftsorientierten Ansätzen die interdisziplinäre Gesundheitsförderung vorantreiben. Der Preis ist mit einem Preisgeld von insgesamt 5.000 Euro dotiert. „Wir sind sehr stolz, in diesem Jahr zu diesem Thema so gute Bewerbungen bekommen zu haben“, unterstrich Dr. Marianne Gräfin Schmettow, CP Gaba, bei der Übergabe der Preise.
„ZahnMedizin mit großem M“
Er habe bereits 1986 die ersten interdisziplinären Projekte Zahnmedizin/Medizin angestoßen und nach einer Pause 2006 das Thema Diabetes aufgegriffen, so der Träger des ersten Preises, Prof. Dr. Hüsamettin Günay, der den Preis für seine Arbeitsgruppe von der Medizinischen Hochschule Hannover in Empfang nahm. „Leider ist die Zahnmedizin seit 2002 nicht mehr Teil der Approbationsordnung der Mediziner, sie hören dazu nichts mehr in ihrem Studium. Aber wir sind alle Mediziner, auch wenn mancher Arzt uns Zahnärzte eher als Handwerker zu betrachten scheint“, so Günay. Er jedenfalls schreibe ZahnMedizin mit einem großen M: „Ich kämpfe weiter.“
Zahnärztliche Prävention in den Diabetes-Pass und die Diabetes Schulung
Die sechsköpfige Arbeitsgruppe „Zahnärztliche Gesundheitsförderung interdisziplinär“ der Medizinischen Hochschule Hannover erhielt die Auszeichnung für ihr Projekt zur Integration der zahnärztlichen Gesundheitsförderung im Diabetes-Pass und in Diabetes-Schulungen. Die Forscher erarbeiteten ein Einlegeheft für den Diabetes-Pass, das Informationen zu Zahn- und Mundgesundheit enthält und in dem zahnärztliche Befunde und Therapiemaßnahmen eingetragen werden können. Außerdem entwickelte die Arbeitsgruppe das Modul „zahnärztliche Gesundheitsförderung“ zur Integration in Diabetes-Schulungen. Dadurch sollen Diabetes-Patienten unter anderem besser über die Bedeutung der häuslichen Mundhygiene und die Wechselwirkungen zwischen Allgemein- und Mundgesundheit aufgeklärt werden.
„Seit 2009 versuche ich, diesen wichtigen zahnärztlichen Aspekt als festen Teil des Diabetespasses zu etablieren – leider auch für die aktuelle Auflage ohne Erfolg“, so Günay, und richtete dabei an die BZÄK und Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich eine Bitte um Unterstützung für dieses Anliegen bei der Deutschen Gesellschaft für Diabetologie.
Diabetes in der zahnärztlichen Praxis leicht erkennen
Den zweiten Platz belegen Dr. Gerhard Schmalz, Dr. Klaus-Jürgen Fischer (beide Werdau OT Steinpleis in Sachsen) und Prof. Dr. Dirk Ziebolz (Leipzig). Sie entwickelten ein Konzept zur „Detektion von (Prä-)Diabetes im Rahmen eines präventionsorientierten parodontalen Therapiekonzeptes in der zahnärztlichen Praxis unter Verwendung eines adaptierten fragebogenbasierten Screenings“. Hintergrund ist die wissenschaftlich nachgewiesene bidirektionale Beziehung zwischen Parodontitis und Diabetes. Umgesetzt wird das Konzept im Rahmen einer Parodontitis-Spezialsprechstunde, in der Patienten mit einer schweren Parodontitis anhand eines validierten Fragebogens auf ein bestehendes Diabetesrisiko hin untersucht werden. Sind die ermittelten Werte auffällig, werden die Patienten mit einem entsprechenden Arztbrief und der Bitte um weitere Abklärung an ihren Hausarzt weitergeleitet.
„Verantwortung aktiv annehmen“
Preisträger Schmalz machte in seinen Erläuterungen zu diesem Projekt deutlich, dass das Erheben der Daten mit dem Fragebogen für die Zahnarztpraxis schnell, einfach und ohne großen Aufwand umzusetzen ist. Die Patienten bekommen den Fragebogen mit nach Hause oder füllen ihn im Wartezimmer aus – das Ergebnis wird in einem Punktwert zusammengefasst, der das Risiko anzeigt. Allerdings sei es in der Region Südwestsachsen schwierig, die ärztlichen Kollegen zu motivieren, sich auch mit zahnärztlichen Themen zu befassen. „Wir müssen als Zahnmediziner hier vorausgehen und auf unsere ärztlichen Kollegen zugehen“, erklärte er. „Wir dürfen uns unserer Verantwortung nicht entziehen, wir müssen sie vielmehr aktiv annehmen. Wir hoffen, dass wir damit sehr, sehr vielen Patienten helfen können“, so Schmalz.
Tablet und Telemedizin – neue technische Möglichkeiten nutzen
Dr. Boris Jablonski (Lollar/Hessen) belegt den dritten Platz. Sein Projekt widmet sich der „Gesundheitsförderung und Prävention von Pflegebedürftigen im eigenen Zuhause oder in Alten- und Pflegeeinrichtungen anhand von digitalen und telemedizinischen Möglichkeiten“. Kern des vorgestellten Präventionskonzeptes ist es, die Befunderhebung und Diagnoseerstellung effektiver zu gestalten, indem digitale Techniken eingesetzt werden. So können zum Beispiel digitale Unterlagen oder die Nutzung eines mobilen Touchpads, das direkt mit der Praxissoftware verbunden ist, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Ärzten sowie Alten- und Pflegeheimen vereinfachen. Ziel des prämierten Präventionskonzeptes ist es, die Gesundheit und Lebensqualität von Menschen mit Pflegebedarf zu verbessern.
„Wir dürfen nicht abwarten, bis unsere Patienten mit der Pflegebedürftigkeit in einen Versorgungs- und Sanierungsstau kommen“, so Jablonski. Es komme auf die Zusammenarbeit aller und eine gute Kommunikation an, damit ein solcher Stau gar nicht erst entstehe. Dabei können moderne technische Hilfmittel eine gute Unterstützung sein, zum Beispiel die Kommunikation verbessern. „Und unser Ziel ist die Prävention, nicht die Restauration – und das unabhängig vom Alter“, so sein Appell.
Langer Atem für die Interdisziplinarität
Es brauche einen langen Atem, um von zahnärztlicher Seite interdisziplinäre Ideen und Projekte mit Ärzten in die Praxis umzusetzen – das machte Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, in seinen Statements mit großer Eindrücklichkeit und Leidenschaft deutlich. Gerade beim Thema Diabetes oder Mundgesundheit in der Pflege engagierten sich Zahnärzte, Wissenschaft und BZÄK seit Jahren intensiv. „In der Pflege haben wir jetzt Verbesserungen und wichtige Grundlagen für die Prävention gesetzlich verankern können. Aber für Menschen mit Behinderungen sind wir immer noch nicht am Ziel.“
Praxisrelevante Präventionskonzepte fördern
Das Ziel der 2014 von BZÄK und CP GABA ins Leben gerufenen Initiative ist es, praxisrelevante Präventionskonzepte zu fördern, die zu einer mundgesunden Zukunft führen. Erfolgreiche Projekte und vielversprechende Ansätze sollen identifiziert, ausgezeichnet und durch Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden. Die bisherigen Fokusthemen der Initiative waren „Frühkindliche Karies“ (Early Childhood Caries – ECC), Mundgesundheit in der Pflege sowie interdisziplinäre Gruppenprophylaxe.
Das diesjährige Fokusthema der Initiative widmet sich der Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit von medizinischen und zahnmedizinischen Fachdisziplinen. Auch wenn mittlerweile die Mundgesundheit schon häufig als wesentlicher Bestandteil der Allgemeingesundheit anerkannt wird, konzentrieren sich Präventionsansätze überwiegend auf die einzelnen Fachgebiete. Da es aber wichtige Risikofaktoren gibt, die zahlreiche Erkrankungen betreffen, sollte Gesundheitsförderung nicht aufgegliedert werden, so die Initiatoren.
Der unabhängigen Jury gehörten in diesem Jahr unter anderem Prof. Dr. Henrik Dommisch (Charité Universitätsmedizin Berlin) und Prof. Dr. Ulrich Schiffner (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) an. Die Experten legten bei ihrer Auswahl Wert darauf, dass die prämierten Projekte praxisnah, wissenschaftlich fundiert und bundesweit umsetzbar sind.