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Therapie und Verlauf einer seltenen Kombinationsverletzung bei einem anfangs siebenjährigen Patienten über fünf Jahre


Dr. med. dent. Irina Ilgenstein, UZB Universitätszahnkliniken, Basel

Anhand eines Frontzahntraumas mit Wurzelquerfraktur und Avulsion des koronalen Fragments bei einem siebenjährigen Patienten werden die Therapie dieser seltenen Kombinationsverletzung, der Verlauf über fünf Jahre und die abschließende kieferorthopädische Einstellung des betroffenen Zahnes vorgestellt. Im Vordergrund steht die Möglichkeit der Replantation des avulsierten koronalen Fragments bei gleichzeitigem Belassen des apikalen Fragments. Das Ausmaß der Schädigung des Parodonts des avulsierten Zahnteils und die adäquate endodontische Intervention sind für die Langzeitprognose entscheidend. Bei unsachgemäßer Behandlung kann es, insbesondere bei wurzelunreifen Zähnen, zu infektionsbedingten externen Resorptionen und zu einem frühzeitigen Zahnverlust kommen – mit allen Folgen im wachsenden Kiefer und für den kleinen Patienten.

Im vorliegenden Beitrag aus der  Endodontie (Endodontie 2016; 25 (4):361–3710) beschreibt die Autorin Dr. Irina Ilgenstein, Zahnärztin am Universitätszahnklinikum Basel, dass auf Basis der aktuellen Richtlinien in der dentalen Traumatologie auch solche schwer geschädigten Zähne erhalten werden können.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung.
Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.


Einleitung

Schwerwiegende dentale Traumata sind häufig Kombinationsverletzungen: Sie können – je nach Krafteinwirkung – sowohl die Zahnhartsubstanz als auch den Zahnhalteapparat und das Endodont betreffen. Die gängige Klassifikation der Zahnverletzungen unterscheidet Frakturverletzungen einerseits und Dislokationsverletzungen andererseits. Innerhalb der Dislokationsverletzungen kommen Lockerungen und Konkussionen häufig vor, während schwere Dislokationen wie die Avulsion mit einem Anteil von 7 bis 23 Prozent seltener auftreten1. In der Gruppe der Frakturverletzungen bilden Wurzelquerfrakturen bleibender Frontzähne mit 0,5 bis 0,7 Prozent die Ausnahme1. 

Spätfolgen dentaler Traumata können den Zahnerhalt nachhaltig gefährden und damit zu schwerwiegenden Komplikationen führen, welche im ungünstigsten Fall den Zahnverlust mit zum Teil erheblichen funktionellen und ästhetischen Einbußen zur Folge haben. Dementsprechend sind eine detaillierte Anamnese sowie die rechtzeitige und vollständige klinische und radiologische Befundaufnahme Grundlage für eine sachgemäße Therapie. 

Bei Dislokationsverletzungen bestimmt das Ausmaß des parodontalen Schadens das Schicksal des Zahnes, bei einer Intrusion oder Avulsion ist in diesem Zusammenhang die rechtzeitige endodontische Intervention maßgebend für den längerfristigen Erhalt des Zahnes. Allerdings ist bei schwerwiegenden Frakturverletzungen die Pulpa oft exponiert und bedarf einer umgehenden Primärversorgung.

Das Risiko einer Pulpanekrose bei klassischen Dislokationsverletzungen (laterale Dislokation und Extrusion) ist vom Wurzelwachstum des betroffenen Zahnes abhängig. Bei avulsierten Zähnen mit weit offenem Apex besteht nur unter günstigen Bedingungen die Chance auf eine „Regeneration“ des pulpalen Gewebes (ungefähr 10 Prozent)2. Daher sind nach einer zu spät oder nicht erfolgten endodontischen Therapie Spätfolgen absehbar.

Für die parodontale Prognose eines avulsierten Zahnes spielen die Dauer und das Medium der extraoralen Lagerung die bedeutendste Rolle. Die Austrocknung des Zements und/oder eine längere unphysiologische Lagerung des Zahnes können zu infektionsbedingten externen Wurzelresorptionen oder zu Ersatzresorptionen führen. Letztere haben gerade bei jungen, im Wachstum befindlichen Patienten eine Ankylose mit Infraposition des betroffenen Zahnes und lokale Wachstumshemmungen zur Folge, die wiederum nur mit hohem Aufwand und gegebenenfalls eingeschränktem Erfolg behandelt werden können. Unterbleibt die Wurzelkanalbehandlung oder wird diese hinausgezögert, kommt es oftmals zu einer Infektion des Endodonts, die durch offene Dentinkanälchen die Resorptionen im Bereich der geschädigten Zement­areale unterhält und beschleunigt. In diesen Fällen spricht man von infektionsbedingten externen Resorptionen.

Die Therapie intraalveolärer Wurzelfrakturen sieht in der Regel „nur“ die Reposition des koronalen Fragments – sofern erforderlich – und die Schienung über einen Zeitraum von vier Wochen vor. In etwa 80 Prozent der Fälle bleibt die Pulpa vital3. Lediglich in den wenigen Fällen mit zervikal (hoch) verlaufendem Frakturspalt lässt sich eine Verbindung zur Mundhöhle via Sulkus feststellen, der Erhalt beider Fragmente ist in der Regel dann nicht möglich. Ergeben sich im weiteren Verlauf Anzeichen für eine infizierte Pulpanekrose, führt eine adäquate Wurzelkanalbehandlung zum Zahnerhalt. Diese beschränkt sich auf das koronale Fragment (bis zum Frakturspalt), das apikale Fragment bleibt zumeist vital, wobei im Verlauf Pulpaobliterationen beobachtet werden können. Die Erfolgsaussichten einer auf das koronale Fragment beschränkten Wurzelkanalbehandlung sind ebenfalls günstig3.

Der folgende Fallbericht beleuchtet und diskutiert die Therapie und den Behandlungsverlauf eines Kindes mit Wurzelquerfraktur und Avulsion des koronalen Fragments.

Der Patientenfall

Ein siebenjähriger Patient mit unauffälliger Allgemeinanamnese stellte sich aufgrund eines Traumas beim Sport zur Behandlung am Zahnunfallzentrum in Basel vor. 

Zahnmedizinische Anamnese

Die Primärversorgung nach dem Trauma hatte alio loco an einem Universitätsklinikum stattgefunden. Zahn 11 wies eine Wurzelquerfraktur im apikalen Bereich auf. Das koronale Fragment war avulsiert, der noch nicht ausgebildete apikale Wurzelanteil verblieb in der Alveole. Das avulsierte Fragment lagerte nach Angaben des Vaters zwei Stunden in isotonischer Kochsalzlösung. Überdies zog sich der kleine Patient eine leichte Riss-Quetsch-Wunde der Lippe zu, weitere Verletzungen lagen offenbar nicht vor.

Alio loco wurde das avulsierte Fragment replantiert und mit einer Drahtschiene für drei Wochen stabilisiert. 

Therapie


Abb. 1 Radiologischer Befund: Zahn 11 mit Drahtbogen-Kunststoff-Schienung.

Erste Behandlungssitzung (zehn Tage nach Trauma)

Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung am Zahnunfallzentrum in Basel lag der Unfall zehn Tage zurück. Der Patient war zu diesem Zeitpunkt beschwerdefrei. Die Schienung mit Drahtbogen und Kunststoff von Zahn 21 bis 23 war intakt. Zahn 12 befand sich im Durchbruch (Abb. 1). Die Wundheilung der Lippenverletzung stellte sich unauffällig dar, die Nähte wurden entfernt. Zahn 11 reagierte nicht auf den Sensibilitätstest mit CO2-Schnee. Die Eltern wurden über das Risiko einsetzender Resorptionen einschließlich der Infektion der nekrotischen Pulpa aufgeklärt.

Zweite Behandlungssitzung (drei Wochen nach Trauma)

Drei Wochen nach dem Trauma wurde die Schienung entfernt, der Patient war nach wie vor beschwerdefrei. Bei den Zähnen 11 und 12 bestand eine axiale Perkussionsunempfindlichkeit, der Sensibilitätstest fiel ebenfalls negativ aus. Röntgenologisch zeigten sich keine Anzeichen, die auf eine infizierte Pulpanekrose oder auf externe Resorptionen hindeuteten (Abb. 1).

Klinisch fielen ein frontaler Engstand regio 12/11 und ein nicht einheitlicher Gingivaverlauf in der Oberkieferfront auf. 

Nach Schienenentfernung wurde die Behandlung auf Wunsch der Eltern in einem nähergelegenen Universitätsklinikum fortgesetzt. Dort wurde eine Apexifikation bis zum Frakturspalt mit Kalziumhydroxid begonnen, da sich eine laterale Aufhellung in Höhe des Frakturspalts röntgenologisch deutlich abzeichnete (Abb. 2 und 3). 


Abb. 4 Radiologischer Befund: Zahn 11 mit medikamentöser Einlage vor definitiver Wurzel­kanalfüllung.

Dritte Behandlungssitzung (ein Jahr nach Trauma)

Ein Jahr später stellte sich der Patient erneut am Zahnunfallzentrum in Basel zur Kontrolle und Abklärung des weiteren Vorgehens vor, nachdem die Apexifikation noch nicht abgeschlossen war (Abb. 4). Die näheren Gründe hierfür ließen sich nicht eruieren.

Das Röntgenbild belegte den Rückgang der lateralen Läsion, ebenso ließen sich keine nachhaltigen Resorptionen im Bereich des koronalen Fragments erkennen. Das Wurzelwachstum des apikalen Fragments hatte sich fortgesetzt – unter anderem erkennbar an der zunehmenden Dentinwanddicke. Der Perkussionstest war nach wie vor unauffällig, der Periotest wies einen normalen Wert auf (Periotestwert: 05). 

Zudem stand Zahn 11 in Infraposition von etwa 2 mm und war leicht gelblich verfärbt. 

Es wurde entschieden, die Wurzelkanalbehandlung abzuschließen (Apical plug mit Mineral Trioxide Aggregate [MTA]).

Vierte Behandlungssitzung

Nach entsprechender Aufklärung des Vaters wurde Kofferdam gelegt, der Zahn 11 wieder eröffnet, die provisorische Füllung entfernt. Die elektrometrische Längenbestimmung des Wurzelkanals bis zum Frakturspalt ergab 17 mm. Der Wurzelkanal wurde mechanisch nicht weiter bearbeitet, sondern mit Natriumhypochlorit (NaOCl 1 %) ausgiebig gespült und die Spüllösung unterstützend mit Ultraschall aktiviert. In der gleichen Sitzung wurde der Wurzelkanal definitiv gefüllt. Das „apikale“ Drittel des koronalen Fragments wurde zunächst unter dem Dentalmikroskop mit MTA (Produits Dentaires SA, Vevey, Schweiz) verschlossen und der verbleibende Kanalanteil mit erwärmter Guttapercha und AH+ (Dentsply DeTrey, Konstanz) in vertikaler Kompaktionstechnik gefüllt. Der Verschluss der Trepanationsöffnung erfolgte mit Komposit. Das anschließende Kontrollröntgenbild zeigte unter anderem im mesialen Bereich noch eine geringfügige laterale Aufhellung (Abb. 5).

Im Einvernehmen mit den Eltern wurde der kleine Patient einem Kieferorthopäden überwiesen, nachdem von einer weitgehenden parodontalen Heilung anhand der bisherigen radiologischen Befunde auszugehen war. Im Zentrum stand die Korrektur der Infraposition des Zahnes 11 (Abb. 6 und 7, mit freundlicher Genehmigung des Kieferorthopäden). Eineinhalb Jahre nach dem Trauma wurde mit der kieferorthopädischen Therapie begonnen.

Verlauf

Während der folgenden neun Monate war der zu diesem Zeitpunkt neunjährige Patient in kieferorthopädischer Therapie zur Ausnivellierung der Oberkieferfrontzähne und zur Einstellung des Regelbisses mithilfe einer Multibandapparatur. 

Neun Monate nach der Wurzelkanalfüllung kam der Patient wiederum zur Kontrolle nach Basel. Der Gingivaverlauf hatte sich harmonisiert, die Position von Zahn 11 fügte sich in den Zahnbogen (Abb. 9). Der Perkussionstest an Zahn 11 war unauffällig, röntgenologisch ließen sich keine ­pathologischen Veränderungen erkennen (Abb. 8). Das nun ausgebildete apikale Fragment wies röntgenologisch einen durchgehenden Parodontalspalt auf. 

Der benachbarte Zahn 21 zeigte sich klinisch unauffällig, lediglich röntgenologisch war eine deutliche Obliteration des Wurzelkanals ohne apikale Aufhellung zu erkennen. Der Zahn reagierte auf den Sensibilitätstest verzögert.

Die weiteren klinischen und radiologischen Kontrollen (zwei, drei und fünf Jahre nach dem Trauma) belegten unauffällige Verhältnisse. Das apikale Fragment war nicht obliteriert, es zeigte Anzeichen von weiterem Wachstum und wies einen durchgehenden Parodontalspalt auf. Soweit auf dem Einzelzahnröntgenbild beurteilbar, hatte sich das apikale Fragment vom koronalen Anteil „wegbewegt“, zwischen den beiden Fragmenten ließ sich eine „Hartgewebsbrücke“ erkennen. Zusätzlich zeigte der Wurzelkanal von Zahn 21 deutliche Zeichen zunehmender Kalzifizierung (Abb. 8).

Der Gingivaverlauf und die Position der Oberkieferfrontzähne entsprachen einem harmonischen Bild (Abb. 10 bis 13). Die Abbildungen 14 bis 18 zeigen den röntgenologischen Verlauf über fünf Jahre. Der Patient blieb beschwerdefrei. Zudem befindet sich der Pa­tient weiterhin in einem jährlichen Recall.

Diskussion

Die sogenannte Lebenszeitprävalenz von Traumata des bleibenden Gebisses beträgt ungefähr 25 bis 33 Prozent4, wobei unkomplizierte Kronenfrakturen am häufigsten vorkommen5. Komplexe Zahntraumata wie im vorliegenden Fallbericht sind hingegen seltene Ereignisse, und ihr zahnärztliches Management kann herausfordernd sein. Die sachgerechte Therapie solcher Zahntraumata basiert auf einer sorgfältigen Anamnese und Befundaufnahme, und sie setzt entsprechende pathophysiologische Kenntnisse voraus. Die Leitlinien zuständiger Fachgesellschaften sind verlässliche, auf klinischer Evidenz basierende Behandlungsgrundlagen6,7. Überdies erscheint eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen klinischen Fällen wertvoll, die exemplarisch übliche Verlaufsmuster aufzeigen oder außergewöhnliche Aspekte der dentalen Traumatologie belegen.

Wurzelquerfrakturen rühren von einer „unvollständigen“ Dislokation des Zahnes her, die in einer Fraktur der Wurzel mündet8. Im vorliegenden Fall kam es sogar zur Avulsion des kronentragenden Fragments. Bei derartigen Verletzungen steht die Dislokation des koronalen Fragments im Zentrum der Therapie9. Das apikale Fragment bleibt bei herkömmlichen Wurzelfrakturen vital und bedarf keiner Therapiemaßnahme, wenngleich im vorliegenden Fall eine Infektion der Pulpa über die bis zur Replantation „offene“ Alveole denkbar war. Im Verlauf zeigte sich, dass die schmalen apikalen Dentinwände sich zu einer regelrechten Wurzelspitze ausbildeten. Hierfür bedarf es unter anderem funktionsfähiger Odontoblasten in einer vitalen (apikalen) Pulpa. 

Das Vorgehen bei Avulsionen richtet sich nach dem Zustand der parodontalen Zellen und dem Entwicklungsstand der Wurzel. Der Zustand der parodontalen Zellen ist abhängig von der Dauer und der Art der extraalveolären Lagerung. Das avulsierte Zahnfragment des vorgestellten Patienten lagerte zwei Stunden in physiologischer Kochsalzlösung. Physiologische Kochsalzlösung ist für die kurzzeitige Lagerung avulsierter Zähne ein akzeptables Aufbewahrungsmedium10,11. Vor diesem Hintergrund war die Replantation gerechtfertigt, bei weiterhin sachgerechtem Vorgehen erschien eine parodontale Regeneration möglich. Überschreitet die Lagerung in physiologischer Kochsalzlösung allerdings zwei Stunden, ist das Überleben parodontaler Zellen aufgrund fehlender Nährstoffe hochgradig gefährdet10,11.

Die Lokalisation des Frakturspalts ist für die Therapie und die Prognose bedeutsam. Bei bestehender Verbindung zwischen dem gingivalen Sulkus und der Frakturstelle ist die Prognose des koronalen Fragments infaust, intraalveoläre Wurzelquerfrakturen hingegen weisen häufig eine günstige Prognose auf12,13. Im vorgestellten Fall war die Frakturstelle im apikalen Wurzeldrittel lokalisiert und durch einen Abriss der Pulpa aufgrund der Avulsion des koronalen Fragments gekennzeichnet. Die Reposition und Schienung des avulsierten Fragments zielten daher auf die parodontale Heilung ab. Die Schienenentfernung erfolgte drei Wochen nach dem Unfallereignis. Hier ist zu fragen, ob eher die für eine Avulsion (ein bis zwei Wochen) oder die für Wurzelfrakturen (in der Regel vier Wochen) gültigen Schienungszeiten zugrunde gelegt werden. Da die parodontale „Regeneration“ des replantierten Zahnfragments im Vordergrund stand, ist eine kürzere Schienung als üblicherweise für Wurzelfrakturen vorgesehen nachvollziehbar. 

Die Aussagekraft eines Sensibilitätstests ist bei traumatisierten Zähnen oft eingeschränkt14. Liefern klinische und radiologische Befunde keinerlei Hinweise auf entzündliche Prozesse, die auf eine Infektion des Wurzelkanalsystems schließen lassen, scheint der Verzicht auf eine Wurzelkanalbehandlung gerechtfertigt, selbst wenn der Sensibilitätstest ein negatives Resultat liefert15. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass beim initialen Befund günstige Voraussetzungen für eine Regeneration des pulpalen Gewebes wie beispielsweise weiter apikaler Durchmesser des Wurzelkanals und eine kurze Revaskularisationsstrecke vorliegen16. Vordergründig scheinen diese Voraussetzungen im dargestellten Fall gegeben zu sein, jedoch benötigt die abgerissene Pulpa auch „breiten Kontakt“ mit dem apikalen Gewebe, von dem aus die „Regeneration/Revitalisierung“ im günstigsten Fall ausgeht. Dieser günstige Fall trat in der vorliegenden Kasuistik nicht ein. Es ist anzunehmen, dass nach der Replantation der direkte Kontakt mit dem verbliebenen apikalen Wurzelanteil diese breitbasige Verbindung zum apikalen Gewebe verhinderte. Daher erscheint eine frühzeitige Wurzelkanalbehandlung des koronalen Fragments die bessere Wahl zu sein. 

Engmaschige klinische und radiologische Kontrollen sind bei komplexen Zahntraumata entscheidend. Allfällige Komplikationen können rasch erkannt und adäquat therapiert werden. Bei Wurzelquerfrakturen weisen röntgenologische Aufhellungen lateral der Frakturlinie oder progressive entzündliche Wurzelresorptionen auf eine endodontische Infektion hin. Liegen Zeichen einer Infektion des Wurzelkanalsystems vor, muss die endodontische Intervention möglichst zeitnah erfolgen. Beim vorgestellten Patienten zeigte sich bereits einige Wochen nach dem Unfallereignis eine laterale Aufhellung auf der Höhe der Frakturlinie, worauf die Wurzelkanalbehandlung des koronalen Fragments eingeleitet wurde.

Konsequentes endodontisches Management

Infektionsbedingte Wurzelresorptionen treten auf, wenn Toxine die resorptive Dentinoklastenaktivität in Bezirken mit dem durch das Trauma nachhaltig geschädigten Wurzelzement anregen und unterhalten17. Die Toxine entstammen dabei einem infizierten Wurzelkanalsystem, und sie gelangen über Dentintubuli an die Wurzeloberfläche17. Ein konsequentes endodontologisches Management vermag das Risiko infektionsbedingter Resorptionen deutlich zu reduzieren17,18. Nach heutigen Erkenntnissen wäre in solchen Fällen eine initiale Einlage mit einem kortikoidhaltigen Präparat für ein bis zwei Wochen das Mittel der Wahl.

Die Wurzelkanalbehandlung von Zähnen mit weit offenem Apex beziehungsweise von Zähnen mit Wurzelquerfraktur ist erschwert, da eine apikale Barriere fehlt. Der Versuch einer Apexifikation erfolgte früher durch wiederholte Kalziumhydroxideinlagen. Dieses Therapiekonzept bedeutete nicht selten eine Behandlungsdauer von mehreren Monaten19,20. Zudem setzen Kalziumhydroxideinlagen über mehr als 30 Tage die Frakturresistenz des Wurzelkanaldentins deutlich herab21. Diese reduzierte Frakturresistenz in Verbindung mit der ohnehin dünnen Dentinwanddicke erklärt die erhebliche Misserfolgsquote von wurzelunreifen Zähnen, die dieser Behandlung unterzogen werden22. Im Vergleich dazu weist die Herstellung einer apikalen Barriere mit MTA Vorteile auf. Die Wurzelkanalbehandlung kann zügig abgeschlossen werden, und die Prognose der Apexifikation mit MTA erweist sich als günstiger als diejenige der Apexifikation mit wiederholten Kalziumhydroxideinlagen23–25. Zweckgebaute Applikationsinstrumente und Vergrößerungshilfen, idealerweise ein Dentalmikroskop, erleichtern das zielgenaue Einbringen des MTA-Materials24,26.

Nach Dislokationsverletzungen mit ausgedehntem parodontalen Schaden können Ersatzresorptionen den Langzeiterfolg beeinträchtigen27. Kennzeichen ist die langsame Resorption von Wurzeldentin durch Dentinoklasten, es kommt zur knöchernen Verbindung zwischen Zahnwurzel und Alveolarfortsatz. Bei jungen Patienten schreitet der Prozess weitaus schneller voran als bei älteren Patienten. Ebenso können Ersatzresorptionen bei Ersteren mit einer lokalen Wachstumshemmung des Kiefers einhergehen: Klinisch resultiert eine folgenschwere Infraposition des betroffenen Zahnes28. Im vorgestellten Fall trat ein Jahr nach dem Unfallereignis eine deutliche Infraposition von Zahn 11 auf. Allerdings zeigte der Periotestwert, welcher die zuverlässige Früherkennung von Ersatzresorptionen erlaubt, eine parodontale Auslenkung im physiologischen Normbereich an. Das Perkussionsgeräusch und die röntgenologische Kontrolle lieferten ebenfalls keine Hinweise auf eine Ersatzresorption. Daraus ließ sich schließen, dass die Infraposition keine Folge einer einsetzenden Ersatzresorption war, sondern wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem frontalen Engstand stand. 

Kieferorthopädische Behandlung traumatisierter Zähne

Als Nebenbefund zeigten röntgenologische Verlaufskontrollen eine Obliteration des Wurzelkanals von Zahn 21, welcher beim Unfallereignis (höchstwahrscheinlich) eine Konkussion erlitten hatte. Bei traumatisierten Zähnen spiegeln Pulpaobliterationen reaktive Zellleistungen von Odontoblasten wieder. Die Pulpaobliteration ist folglich als Vitalitätszeichen zu deuten, und in aller Regel ist bei unauffälligen apikalen Verhältnissen keine Wurzelkanalbehandlung indiziert29. Ins Gelbliche gehende Verfärbungen der Zahnkrone, die in der Folge einer Obliteration auftreten können, lassen sich durch externes Bleichen oftmals zufriedenstellend korrigieren30,31. 

Eine Vorschädigung durch ein Zahntrauma kann eine kieferorthopädische Therapie erschweren32. Die orthodontische Bewegung von traumatisierten Zähnen, insbesondere von lateralen Oberkieferschneidezähnen, geht im Vergleich zu Zähnen ohne traumatische Vorschädigung mit einem erhöhten Risiko einer Pulpanekrose einher33,34. Das Risiko der Pulpanekrose bei der orthodontischen Zahnbewegung korreliert dabei mit dem Schweregrad des Zahntraumas33,34. Obliterationen sind ebenfalls mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit endodontischer Komplikationen im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung assoziiert35. Der kieferorthopädische Therapieplan sollte vorhergehende traumatische Schädigungen berücksichtigen36. Gegebenenfalls sind eine Reduktion der orthodontischen Kräfte und regelmäßige Sensibilitätstests angezeigt33,34. Zähne mit suffizienter Wurzelkanalbehandlung können normal orthodontisch bewegt werden36. Ebenso können Zähne mit Wurzelquerfrakturen bei kieferorthopädischen Therapiemaßnahmen eingebunden werden37–42. Der kieferorthopädischen Stellungskorrektur von Zahn 11 stand im vorliegenden Fall nichts entgegen, denn es lagen keine periradikulären Entzündungszeichen vor. Der im Röntgenbild durchgängig erkennbare Parodontalspalt lässt auf eine parodontale Heilung schließen. 

Dem Erhalt traumatisch geschädigter Zähne sollte bei jungen Patienten, deren Kieferwachstum noch nicht abgeschlossen ist, besondere Bedeutung beigemessen werden43. Das beschriebene therapeutische Management hat zum langfristigen Erhalt dieses traumatisch schwer geschädigten Oberkieferschneidezahns beigetragen. Nach hinreichender Aufklärung über die Möglichkeiten und Risiken der orthodontischen Stellungskorrektur erfolgte die kieferorthopädische Behandlung in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit44. In der dentalen Traumatologie kann – die sachgerechte Primärtherapie und aufmerksame zahnärztliche Betreuung im Verlauf vorausgesetzt – der Zahnerhalt in vielen Fällen gesichert werden.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. Irina Ilgenstein, Dr. med. dent. Florian Eggmann und Prof. Dr. med. dent. Roland Weiger, alle Basel, Schweiz

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Bibliografía: Endodontie, Ausgabe 4/16 Endodontie Zahnmedizin

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