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Bei unklaren Läsionen im Bereich der Mundhöhle muss vor allem bei Patienten mit Primärtumor an eine orale Metastase gedacht werden


Quirin Döbelin

Orale Metastasen sind äußerst selten. Klinisch besteht oft eine große Ähnlichkeit zu benignen, meist entzündlichen Veränderungen wie Epulitiden oder pyogenen Granulomen. In der Mehrheit der Fälle ist beim Auftreten einer oralen Metastase der Primärtumor bereits bekannt. Insbesondere dann muss bei unklaren Läsionen im Bereich der Mundhöhle an eine orale Metastase gedacht werden. Nur eine frühzeitige bioptische Sicherung solcher Läsionen ermöglicht eine schnelle und adäquate Therapie. Der Beitrag von Autor Quirin Döbelin für die Quintessenz Zahnmedizin 8/18 beschreibt den Fall eines Patienten, bei dem nach bioptischer Sicherung der oralen Metastase eines Nierenzellkarzinoms eine Kastenresektion im linken Unterkiefer durchgeführt wurde. Im Rahmen der Palliativbehandlung wird die bereits etablierte Immun­therapie mittels eines monoklonalen Antikörpers nach erfolgter chirurgischer Resektion der Metastase fortgesetzt. Das weitere Prozedere sieht regelmäßige Nachkontrollen in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Onkologen vor.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.


Metastasen im Bereich der Mundhöhle sind selten und machen nur knapp 1 Prozent aller malignen Neoplasien der Mundhöhle aus11. Die knöchernen Kieferanteile sind in einem Verhältnis von 2:1 häufiger betroffen als die oralen Weichgewebe. Als häufigste Lokalisation einer oralen Metastase wird der Molarenbereich des Unterkiefers angegeben. Bei den oralen Weichgeweben ist die befestigte Gingiva am meisten betroffen, gefolgt von der Zunge2. In 2/3 der Fälle ist der Primärtumor bereits vor dem Auftreten der oralen Metastase bekannt11. Die häufigsten Ursprungsorte der oral metastasierenden Primärtumoren bei Erwachsenen sind Lunge, Niere, Brust und Kolon7.

Nachfolgend wird der Fall eines Patienten mit bekanntem Nierenzellkarzinom beschrieben, welcher unter palliativer Immuntherapie eine foudroyant wachsende orale Metastase entwickelte.

Fallbericht

Ein 69-jähriger Patient wurde von seinem Zahnarzt mit einer hyperplastischen Läsion Regio 37 und Verdacht auf eine Epulis zur weiteren Abklärung und Behandlung in die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Klinik für Oralchirurgie des Zentrums für Zahnmedizin der Universität Zürich überwiesen. Die Schwellung war dem Patienten erstmals vier Tage zuvor aufgefallen; das schnelle Wachstum sowie die zunehmende Beeinträchtigung beim Kauen mit spontanen Blutungen hatten ihn verunsichert und zur Vorstellung bei seinem Hauszahnarzt bewogen.

Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine indolente, weiche und schwammartige Schwellung mit einer Ausdehnung von 1 bis 2 cm im Bereich der distobukkalen befestigten Gingiva Regio 37, welche auf Sondierung stark blutete. Der Zahnstatus war unauffällig (Abb. 1). Die radiologischen Bilder (Panoramaschichtaufnahme und digitale Volumentomographie [DVT]) ließen krestal im Bereich der distalen Wurzel von Zahn 37 einen halbmondförmigen vertikalen Knochenverlust erkennen (Abb. 2 bis 6).

Bei dem Patienten war im Mai 2013 ein klarzelliges Nie­renzellkarzinom (initiales Tumorstadium pT1b cN0 cM0) diagnostiziert und eine laparoskopische Tumor­nephrektomie rechts vorgenommen worden. Im Dezember 2014 traten erstmals Metastasen in beiden Lungenflügeln auf, welche sich nach diagnostischer thorakoskopischer Resektion als Tochtergeschwülste des bekannten klarzelligen Nierenzellkarzinoms herausstellten. Bei fehlenden Hinweisen für anderweitige thorakoabdominale lymphogen oder hämatogen gestreute Tumormanifestationen wurde im Februar 2015 eine palliative Erstlinien-Immuntherapie mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Pazopanib (Votrient, Novartis Pharma) eingeleitet. Im Juni 2017 erfolgte eine Umstellung der Immuntherapie auf Nivolumab (Opdivo, Bristol-Myers Squibb).

Bei der Vorstellung in unserer Klinik im Juli 2017 zeigte sich der Patient in altersentsprechendem Allgemein- und normalem Ernährungszustand ohne Hinweise auf eine B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß oder allgemeine Abgeschlagenheit). In Anbetracht der oben beschriebenen Vorgeschichte bestand bereits initial der dringende Verdacht auf eine orale Metastase des bekannten Nierenzellkarzinoms. Differenzialdiagnostisch kamen entzündliche Geschehen wie eine Parodontitis, ein pyogenes Granulom oder auch Epulitiden in Frage. Bei der Erstkonsultation wurde die sofortige Indikation zur Probebiopsie gestellt. Die pathohistologische Aufarbeitung des Biopsats ergab eine exulzerierte, hyperparakeratotisch verhornte Plattenepithelmukosa mit Granulationsgewebe und Infiltraten eines hellzelligen Karzinoms, was mit einer Metastase des bekannten Nierenzellkarzinoms vereinbar war.

Die Tumorresektion im Unterkiefer links im Sinne einer Kastenresektion mit den Zähnen 36 und 37 erfolgte 14 Tage nach der Erstkonsultation. Im Vergleich zur Erstkonsultation zeigte die orale Metastase eine deutliche Volumenzunahme (Abb. 7). Zur Stabilisierung des Unterkiefers wurde eine prophylaktische Osteo­synthese mit einer am patientenspezifischen Unterkiefermodell vorgebogenen Rekonstruktionsplatte (MatrixMANDIBLE 2,5 mm, Fa. DePuy Synthes, Zuchwil, Schweiz) durchgeführt (Abb. 5). Ein primärer mehrschichtiger Wundverschluss war zwanglos möglich.

Die pathohistologische Aufarbeitung des Resektats zeigte eine Resektion im Gesunden und bestätigte die Diagnose einer oralen Metastase des bekannten klarzelligen Nierenzellkarzinoms mit Infiltration des Knochens (Abb. 9 und 10). Bei stadiengerechten Wundverhältnissen im Resektionsgebiet konnten 14 Tage post operationem die Nähte entfernt werden.


Abb. 11 Reizloses Resektionsgebiet 6 Monate post opera­tionem.

Das weitere Prozedere sieht in erster Linie die Fortführung der Zweitlinien-Immuntherapie mit dem mono­klonalen Antikörper (Anti-PD-1-Rezeptor) Nivolumab vor. Klinische Verlaufskontrollen in unserer Klinik wurden nach zwei und sechs Monaten vereinbart. Bei der Kontrolle sechs Monate post operationem zeigten sich reizlose Verhältnisse im Bereich des Resektionsgebiets (Abb. 11). Parallel erfolgen Verlaufskontrollen beim behandelnden Onkologen, der gegebenenfalls eine Anpassung der palliativen Immuntherapie vornimmt.

Diskussion

Beim Auftreten oraler Metastasen ist der Primärtumor in mehr als zwei Drittel der Fälle bereits bekannt2,7,11. Die Metasta­sierung des Nierenzellkarzinoms geschieht in erster Linie hämatogen über das von dem Karzinom invadierte Nierenparenchym und weiter via Blutkreislauf8. Metastasen im Kopf- und Halsbereich zeigen sich in 15 Prozent der Fälle9. Oft liegen bereits Lungenmetastasen vor4,6.

Die befestigte Gingiva stellt die häufigste Lokali­sation für Metastasen im Bereich der oralen Weich­gewebe dar. Als Ursache werden Entzündungszustände in der Region der befestigten Gingiva diskutiert, welche die Ansiedelung und das Wachstum von Metastasen begünstigen2. In unserem Fall führte die foudroyante Progression der Metastase zu plötzlichen Beeinträchtigungen beim Kauen. Oft kommen weitere Beschwerden wie Schmerzen, Blutungen und Schluckstörungen hinzu2. Die klinische Ähnlichkeit der oralen Metastase mit benignen Veränderungen wie Epu­litiden oder einem pyogenen Granulom verlangt eine frühzeitige Biopsie2,5,12. Insbesondere bei bekannter Tumorerkrankung muss an orale Metastasen gedacht und zur Vereinfachung der pathohistologischen Diagnostik die Tumordiagnose dem Pathologen mitgeteilt werden5.

Im Rahmen der radiologischen Bildgebung ist zu beachten, dass sich die DVT hauptsächlich zur Diagnostik im Hochkontrastbereich, also von Knochen und Zähnen eignet. Die konventionelle Computertomographie zeichnet sich gegenüber der DVT durch eine deutlich bessere Darstellung von Weichgewebskontras­ten aus. Deshalb muss die Bildgebung mittels DVT bei Tumorverdacht kritisch beurteilt werden1,3.

Wie in unserem Fall ist die chirurgische Entfernung isolierter Metastasen die Behandlung der Wahl. Die von uns gewählte Kastenresektion stellt hinsichtlich der palliativen Situation des Patienten eine wenig invasive Therapie dar. So konnte im Vergleich zu einer radikaleren Variante mit Kontinuitätsresektion des linken Unterkiefers der Nervus alveolaris inferior geschont und dadurch die Sensibilität im Bereich der linken Unterlippe erhalten werden.

Die 5-Jahres-Überlebensrate nach Nephrektomie und erfolgter Metastasektomie liegt zwischen 35 und 60 Prozent5,12. Aufgrund der Strahlenresistenz des Nierenzellkarzinoms werden Radiotherapien kaum zur adjuvanten Behandlung eingesetzt6. Der Ansatz der modernen Immuntherapeutika, wie in unserem Fall des Tyrosinkinase-Inhibitors Nivolumab, wird im Rahmen der palliativen Therapie seit einigen Jahren klinisch an­gewendet und ist Gegenstand aktueller Forschung6,10.

Schlussfolgerungen

Im Fall von unklaren Läsionen im Bereich der Mundhöhle ist es ratsam, frühzeitig eine bioptische Sicherung zur genauen Diagnosestellung durchzuführen. Bei Unsicherheit und je nach Größe und Ausdehnung der Läsion sollte möglichst schnell die Überweisung an eine spezialisierte Klinik (Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie) erfolgen. Wenn bereits eine Tumorerkrankung bekannt ist, empfiehlt es sich hinsichtlich der Diagnose und der weiteren Therapieplanung, Rücksprache mit dem behandelnden Onkologen zu halten.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de


Ein Beitrag von Quirin Döbelin, Dr. med. Dr. med. dent. Daniel Lindhorst, Dr. med. Dr. med. dent. Martin Lanzer, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Bernd Stadlinger, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Martin Rücker und Dr. med. dent. Silvio Valdec, alle Zürich, Schweiz

Bibliografía: Quintessenz Zahnmedizin, Ausgabe 8/18 Chirurgie Zahnmedizin

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