Aufgrund des demografischen Wandels wird sich in naher Zukunft die Altersstruktur der Patienten zwangsläufig verändern. Schätzungen des Statistischen Bundesamtes ergeben, dass im Jahr 2020 jeder dritte Bundesbürger über 65 Jahre alt sein wird.
Auch wenn sich, wie kürzlich in der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V), eine insgesamt doch erfreuliche Entwicklung der zahnmedizinischen Erkrankungen zeigt, wird der Wandel in den zahnärztlichen Praxen bereits deutlich. Es gibt vermehrt Patienten im höheren Lebensalter, die festsitzenden Zahnersatz und somit eine implantatprothetische Therapie wünschen. Neben der Berücksichtigung der allgemeinmedizinischen, zahnärztlichen und psychosozialen Befunde erfordert dies eine besonders wohlüberlegte Behandlungsplanung.
Die „Zeitschrift für Senioren-Zahnmedizin“ der Quintessenz Verlags-GmbH betrachtet die Behandlung und Versorgung älterer und alter Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln. Dazu gehören Informationen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ebenso wie Fortbildungsbeiträge zur Versorgung der älteren Patienten. Die Zeitschrift möchte mit Beiträgen aus der Zahnheilkunde, Geriatrie und Pflege ihren Lesern im täglichen Umgang mit alten Menschen umfassend zur Seite stehen. Zur Online-Version erhalten Abonnenten kostenlos Zugang. Weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie im Quintessenz-Shop, dort können Sie auch ein kostenloses Probeheft bestellen.
Besondere Herausforderungen der Seniorenzahnmedizin
Häufig fragen sich ältere Patienten, ob sich eine umfangreiche Behandlung für sie noch lohnt. Diese Thematik wurde und wird teilweise noch immer durch Aussagen im öffentlichen Gesundheitswesen aufgegriffen. Dabei wird das Lebensalter als relevanter Faktor für die Durchführung oder das Unterlassen einer Therapie definiert. Da jedoch die Mehrheit der Patienten für die Kosten ihrer implantatprothetischen Behandlung selbst aufkommen muss, ist der materielle Aufwand aus volkswirtschaftlicher und damit gesundheitspolitischer Sicht kein wesentlicher Entscheidungsfaktor.
Viele Patienten äußeren aufgrund der möglichen Komplikationen und der internistischen Risikofaktoren Angst vor dem chirurgischen Eingriff, der zudem durch negative Erfahrungen aus dem persönlichen Umfeld verstärkt werden kann14. Daher steht bei hochbetagten Patienten die verbleibende Funktionsdauer der implantatprothetischen Versorgung meistens im Zusammenhang mit der allgemeinen Lebenserwartung, sodass ein zeitlich aufwendiger Behandlungsablauf mit mehreren Operationen und den damit verbundenen Konsolidierungszeiten oftmals nicht akzeptiert wird7,15.
Dennoch ist es notwendig, den Patienten umfassend über die gesamte Behandlungsdauer zu informieren, sodass ihm und idealerweise auch seinem sozialen Umfeld die jeweiligen Konsolidierungsphasen transparent gemacht werden können. Auch bei selbstständig wirkenden Patienten wird die definitive Therapieentscheidung im familiären Umfeld gefasst, daher sollten die beratenden Angehörigen vorzugsweise in den Beratungsablauf mit eingebunden werden8.
Gesundheitszustand vor Operationen
Bei der Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustands vor einem chirurgischen Eingriff können sich oftmals Schwierigkeiten einstellen10. Die teilweise jahrzehntelange ärztliche Betreuung ist beim Patienten häufig mit einem hohen Grad an subjektivem Wohlbefinden verbunden und die Medikation wird als alltäglich und selbstverständlich akzeptiert. Somit ist dem älteren Patienten das Ausmaß seiner gesundheitlichen Einschränkung oft nicht bewusst12.
Die Erhebung der Medikation ist daher meistens das einfachste Werkzeug, um über den Gesundheitszustand des Patienten aussagekräftige Informationen zu erhalten. Sollte jegliche Medikation verneint werden, kann das Zeitintervall seit der letzten ärztlichen Kontrolluntersuchung oder ein Telefonat mit dem Hausarzt weitere Informationen über den Gesundheitszustand liefern.
Besonders bei Patienten mit hämorrhagischen Diathesen ist es wichtig, in enger Abstimmung mit dem Internisten eine eventuell notwendige Umstellung der Medikation abzustimmen, da eine nicht angepasste Karenz der Antikoagulationstherapie durchaus lebensbedrohliche Folgen nach chirurgischen Eingriffen haben kann16. Einzelne systemische Erkrankungen, wie z. B. erhöhter Blutdruck, Hypercholesterinämie, periphere Verschlusskrankheit oder Diabetes mellitus, stellen in der Regel keine Kontraindikationen dar, können aber bei kombiniertem Auftreten das Behandlungsrisiko steigern2.
Die Verbesserung der oralen Gesundheit nach Zahnsanierung und die Verankerung von Totalprothesen auf Implantaten wirken sich positiv auf die Stabilisierung des allgemeinen Wohlbefindens und die internistischen Befunde aus9.
Implantologische Versorgungskonzepte
Die Weiterentwicklungen in der Implantologie haben zu einer deutlichen Erhöhung des Indikationsspektrums für implantatgetragenen Zahnersatz geführt. Daher liegt der Gedanke nahe, dass in vielen klinischen Fällen Patienten mit der Anwendung von kurzen Implantaten oder entsprechenden augmentativen Verfahren implantatprothetisch versorgt werden können11. Eine festsitzende Versorgung ist jedoch gerade unter funktionellen oder hygienischen Gründen nicht automatisch die beste Versorgungsform.
Neben den anatomischen Faktoren sind die Wünsche des Patienten, der Aufwand und die Erfolgsaussichten individueller Lösungen sowie die finanziellen Aspekte bei der Eruierung der sinnvollsten Versorgung nicht zu unterschätzen5. Dabei ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, in welcher Situation sich der Patient aktuell befindet. Die Entwicklungstendenz der Mundhygienesituation und das individuelle Handling des Patienten sind die bestimmenden Faktoren für die Entscheidungsfindung8.
Bei den zur Verfügung stehenden implantologischen Versorgungskonzepten ist zwischen dem teilbezahnten und dem zahnlosen Patienten zu unterscheiden. Beim teilbezahnten Patienten sind eine genaue Befunderhebung und die detaillierte Beurteilung der Prognose der Restbezahnung erforderlich. Dies kann bedeuten, dass bedingt erhaltungswürdige Zähne frühzeitig entfernt werden oder ein prothetischer Sanierungsbedarf erst bei akuten Befunden erfolgt, um so den Behandlungsumfang so weit wie möglich zu minimieren (Abb. 1 bis 4). Die Herausforderung besteht darin, dem älteren Patienten verständlich zu erklären, dass seine vorhandenen Zähne aufgrund typischer Alterserkrankungen (Abb. 5) wie z. B. Knochenrückgang, subgingivaler Zahnhalskaries, Zahnlockerung oder Kronenrandkaries für eine prothetische Planung nicht geeignet sind13,14.
Als Alternative wurden in den letzten Jahren Konzepte zur Sofortversorgung entwickelt, bei denen im zahnlosen oder im stark parodontal geschädigten Gebiss bereits unmittelbar nach der Implantation einer reduzierten Anzahl von Implantaten, eine festsitzende Versorgung erreicht werden kann (Abb. 6). Durch die angulierte Implantatinsertion im Bereich des anterioren Kieferhöhlenbodens im Oberkiefer oder im Bereich des Foramen mentale im Unterkiefer kann auf umfangreiche Augmentationen verzichtet werden1. Diese Verfahren werden von zunehmender Autorenzahl mit vielversprechenden Ergebnissen propagiert. Durch die semipermanente oder vertikal verschraubte Fixierung lassen sich diese Arbeiten leicht für eine professionelle Zahnreinigung abnehmen oder im Bedarfsfall in eine abnehmbare Versorgung umarbeiten.
Falls der Erhalt vorhandener Zähne bis zur festsitzenden definitiven Versorgung möglich ist, kann auf eine Sofortversorgung mit Provisorium aus Kostengründen verzichtet und eine ggf. vorhandene Interimsversorgung erweitert werden (Abb. 7 bis 12).
Zahntechnische Aspekte
Wenn wegen des Operationsrisikos nicht alle möglichen chirurgisch-therapeutischen Ansätze für eine ideale Rehabilitation genutzt werden können, muss das mögliche Therapieergebnis unter ästhetischen und funktionellen Aspekten genau mit dem Patienten abgeklärt werden. Hier zeigt sich bei vorliegender Atrophie oft die Bereitschaft, auf eine zweiphasige Kieferkammaugmentation zu verzichten, und stattdessen eine implantatprothetische Alternative zu wählen, bei der das vorhandene Weich- und Hartgewebedefizit prothetisch kompensiert werden kann3,4. Da bei einer festsitzenden Versorgung das vertikale Knochendefizit durch den Zahnersatz ausgeglichen wird, kann sich das natürliche Weichgewebe nicht an die Kronen adaptieren. Diese Versorgungen können in der Hygienefähigkeit eingeschränkt sein, wenn aufgrund des hohen prothetischen Ersatzes die Zugänglichkeit zum periimplantären Weichgewebe erschwert oder unmöglich ist13 (Abb. 13 und 14).
Der ältere Patient ist im Rahmen der Therapieentscheidung über die implantatspezifische individuell notwendige Nachsorge zu unterrichten, damit im Recall das Langzeitergebnis gesichert werden kann13. Ist die Mobilität des Patienten bereits eingeschränkt, sollten einfach zu reinigende, meist abnehmbare, Rekonstruktionen bevorzugt werden (Abb. 15 bis 17). Eine festsitzende und schwierig zu reinigende Suprakonstruktion sollte nur dann eingegliedert werden, wenn sichergestellt ist, dass der Patient regelmäßig eine professionelle Zahn- bzw. Implantatreinigung wahrnehmen kann17.
Die minimalinvasive Behandlung von älteren Patienten zeichnet sich nicht nur durch den reduzierten chirurgischen Aufwand, sondern auch durch die geringere Anzahl der Behandlungssitzungen aus15. Besonders die hochbetagten Patienten sind beim Zahnarztbesuch auf die Begleitung von Angehörigen angewiesen. Auch diese sind aufgrund der demografischen Entwicklung häufig schon im Rentenalter und zunehmend in ihrer Mobilität eingeschränkt. Daher sollte die Anpassung des Zahnersatzes in möglichst wenigen Behandlungsschritten erfolgen, was die direkte Unterstützung und Mitarbeit seitens des Zahntechnikers erfordert. So lassen sich gerade bei tegumental abgestützten Subtotal- oder Teilprothesen Verankerungselemente am besten im direkten Verfahren am zahnärztlichen Behandlungsplatz einarbeiten, da die individuelle Resilienz der Schleimhaut auf diese Weise am besten berücksichtigt werden kann (Abb. 18). Durch die direkte Intervention des Zahntechnikers in der Praxis lässt sich dies leicht und ohne kurzfristige Termine umsetzen6.
Fazit für die Praxis
Aufgrund der demographischen Entwicklung in Deutschland sind Konzepte erforderlich, die eine einfache, aber zugleich sichere und stabile Lösung für festsitzenden Zahnersatz ermöglichen. In der zahnärztlichen Praxis stellt sich vor allem die Frage, wie hoch der chirurgische Aufwand sein darf, um dem Patienten eine angemessene festsitzende Prothetik zu bieten.
Die Zahl der älteren Patienten, die tatsächlich eine absolute „High-End-Versorgung“ mit allen möglichen Maßnahmen haben möchten, ist in der täglichen Praxisroutine eher gering. Daher ist bei der Wahl der implantologischen Therapie zu beachten, dass eine umfangreiche chirurgische Behandlung den älteren Patienten anstrengt und belastet. Die Anwendung von minimalinvasiven Verfahren wie der Insertion von anguliert gesetzten, kurzen oder durchmesserreduzierten Implantaten hat sich in den letzten Jahren etabliert und wird gerade von älteren Patienten stark favorisiert.
Ein weiterer Aspekt bei der Therapieentscheidung ist die wirtschaftliche Situation des Patienten. Da er in der Regel nicht mehr erwerbstätig ist, können die vorhandenen finanziellen Ressourcen eingeschränkt sein. Gerade in diesen Fällen sind implantatprothetische Versorgungen mit reduzierter Implantatzahl bei Verzicht auf augmentative Eingriffe und entsprechend gestalteter Prothetik empfehlenswert.
Ein Beitrag von Ingo Frank, Steffen Kistler, Frank Kistler, Fabian Sigmund und Jörg Neugebauer, alle Landsberg am Lech
Literatur
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