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Pressekonferenz der DGZMK zu einem ernsten Problem, dessen Ursachen immer noch ungeklärt sind

Die Prävalenz von MIH und MMH bei Kindern nimmt drastisch zu – und das nicht nur in Deutschland, sondern in vielen entwickelten Ländern auf der ganzen Welt. Das berichtete Prof. Dr. Norbert Krämer (Gießen), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ), auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) am 24. Mai 2018 in Berlin. Das Phänomen sei in den USA und Kanada ebenso zu finden wie in Südafrika oder Asien – überall werde er eingeladen, gerade zu diesem Thema zu sprechen, so Krämer zur Dimension dieses Krankheitsbildes.

Hohe Proteinanteile im Schmelz

Dabei werde nicht nur die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation an den bleibenden Frontzähnen und Sechs-Jahr-Molaren immer häufiger, auch die Milch-Molaren-Hypomineralisation (MMH) an den zweiten Milchmolaren nehme zu. Dies sei mit Blick auf die Zahnentwicklung dieser Zähne auch einleuchtend – bei allen erfolge die Ausbildung und Mineralisation der Zahnkrone und damit die Schmelzbildung in der Zeit zwischen später Schwangerschaft, Geburt und erstem Geburtstag, so Krämer. Die Schmelzausbildung erfolge bei MIH/MMH unvollständig, der für die Eliminierung der Proteinanteile in der Schmelzmatrix zuständige Kallikrein-4-Faktor greife aus noch unbekannten Gründen nicht, sodass große Reste von Proteinen in der Schmelzmatrix verbleiben und den Schmelz porös und rau machen.


Die Frontzähne sind häufig ebenfalls betroffen. Aufgrund der Farbveränderungen und dem Einbruch der Oberfläche ist die deutliche ästhetische Beeinträchtigung erkennbar. Die Kinder leiden auch psychisch mit diesem Aussehen. (Foto: Krämer)

Ätiologie unklar, Prävention nicht möglich

Die Ätiologie sei aber immer noch ungeklärt. Moderate Evidenz gebe es für Kunststoffe, vor allem Bisphenol-A und PCB. Dies sei im Tierversuch an Ratten gezeigt worden. Für andere mögliche Ursachen wie respiratorische Insuffizienz durch Atemwegserkrankungen und/oder Antibiotikagabe sei die Evidenz schwach. Daher könne man keine Prävention empfehlen, es bleibe nur die Kariesprophylaxe und symptomatische Behandlung und Restauration der betroffenen Zähne.

Fehlende Aufmerksamkeit der Standespolitik

Krämer beklagte, dass das Ende der 1980er-Jahre in Schweden erstmals beschriebene Krankheitsbild in Deutschland auch von der zahnärztlichen Standespolitik noch negiert werden. Das sei ein „absolutes no go“, so Krämer, weise die im vergangenen Jahr veröffentlichte Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) für die 12-Jährigen doch eine Prävalenz der MIH von knapp über 30 Prozent (leichte bis schwere Formen) auf – damit könne man schon von einer Volkskrankheit sprechen. Der Anstieg der MIH-Häufigkeit sei gerade in den vergangenen Jahren sehr hoch, wenn die Prävalenz auch regional unterschiedlich ausfalle. Zudem seien immer öfter mehrere Zähne betroffen. MIH sei auch in allen Schichten der Bevölkerung anzutreffen.

Neuer MIH-Treatment-Need-Index

Mit dem neu entwickelten Würzburger MIH-Konzept (MIH Treatment Need Index) gibt es für Zahnärzte eine Orientierung für die abhängig vom Grad der Erkrankung empfohlenen Behandlungsmöglichkeiten. Erstes Ziel sei es, den Kindern die Schmerzen durch die überempfindlichen Zähne zu nehmen und damit die Behandlungs- und Mundhygienefähigkeit auch für die Kariesprävention herzustellen. Mittel der Wahl seien hier je nach Ausprägung der Erkrankung die lokale intensive Fluoridierung, das provisorische Abdecken der beschädigten Zahnsubstanz durch Zemente, die Versiegelung und die restaurative Versorgung der Zähne mit Kompositfüllungen. In der weiteren Patientengeschichte stehe dann häufig eine indirekte Versorgung mit keramischen Inlays, Onlays etc. an.

Bei schweren Krankheitsbildern (ab Grad C) mit stark betroffenen Zähnen sei es unter Abwägung der zu erwartenden Entwicklung der Dentition mitunter aber besser, die Sechs-Jahr-Molaren zu extrahieren und einen kieferorthopädischen Lückenschluss zu planen.

Kariesprävention mit Fluorid ist entscheidend

Prof. Dr. Stefan Zimmer (Witten-Herdecke), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), erläuterte, welche Möglichkeiten der Kariesprävention bei MIH-Zähnen geboten seien. Entscheidender Faktor sei hier das Fluorid, das aber im Vergleich zu den Leitlinienempfehlungen der DGZMK zur Prävention in deutlich höherer Dosierung angewendet werden müsse. „Fluoride sind die Feuerwehr in der Kariesprophylaxe“, so Zimmer.


„Fluoride sind die Feuerwehr der Kariesprävention": Prof. Dr. Stefan Zimmer (Foto: DGZMK/Lopata)

Altersgerechte Kombination aus häuslichen und professionellen Maßnahmen

Hier komme es auf die altersgerechte Kombination von häuslicher Fluoridierung und gezielten Maßnahmen in der Zahnarztpraxis (Fluoridlacke) an, auch sei eine viertel- bis halbjährliche zahnärztliche Kontrolle geboten. Natürlich gelten auch die einschlägigen Ernährungsempfehlungen (Zuckerreduktion), sie seien wie die anderen Maßnahmen der Leitlinie für MIH-Patienten aber nicht ausreichend für die Kariesprävention.

Auch wenn MIH in allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen auftrete, seien Kinder aus den sozialen Schichten, die präventive zahnmedizinische Angebote eher selten wahrnehmen, bei MIH besonders kariesgefährdet, so Zimmer auf entsprechende Nachfragen.

PZR unterstützend auch sinnvoll, aber Kostenfrage

Auch die Professionelle Zahnreinigung sei grundsätzlich sinnvoll, allerdings setzten die Schmerzempfindlichkeit der Zähne und die privat zu tragenden Kosten ihrer Anwendung häufig Grenzen, so Zimmer. Daher liege der Fokus klar auf den häuslichen Für Krämer ist die PZR aber auch eine gute Möglichkeit, bei den von Schmerzen geplagten Kindern die Behandlungsbereitschaft zu fördern.

Weitere Forschung dringend nötig

„Wir brauchen viel mehr Forschung zu MIH und MMH – zu den Ursachen und zur Therapie“, so Krämer. „Wir haben 30 Universitäten in Deutschland, an denen Zahnmedizin gelehrt wird. Aber es gibt nur vier Lehrstühle für Kinderzahnheilkunde.“ Die MIH sei bereits eine Volkskrankheit, ein Ende aber nicht abzusehen, „weil wir viel zu wenig wissen über die Ätiologie“, so Krämer. Derzeit sei MIH eine „never ending story“ für die Zahnmedizin, die Eltern und die Kinder, die oft eine Odyssee von Zahnarzt zu Zahnarzt hinter sich hätten, bis sie dann eine korrekte Diagnose und Therapie erhalten. „Geben wir den Kindern eine Stimme“, so Krämer.


Pressekonferenz der DGZMK zu MIH in Berlin (von links): Prof. Dr. Michael Walter, Prof. Dr. Norbert Krämer, Prof. Dr. Stefan Zimmer (Foto: DGZMK/Lopata)

DGZMK informiert zu aktuellen Themen

Die Pressekonferenz in Berlin war die zweite Veranstaltung dieser Art, mit der die DGZMK aktuelle zahnmedizinische Themen aus Sicht der Wissenschaft vorstellen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren möchte (im vergangenen Jahr ging es um Metalle im Mund). Die MIH sei ein solches hoch aktuelles Thema, das viele Kinder und Jugendliche betreffe, so DGZMK-Präsident Prof. Dr. Michael Walter.

MM

Titelbild: Die Mineralisation der von MIH und MHH betroffenen Zähne findet im ersten Lebensjahr statt - Prof. Dr. Norbert Krämer (Foto: DGZMK/Lopata)
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