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Offener Brief an Christian Lindner: Mehr als 60 Organisationen fordern Unterstützung für Kinderschutz-Gesetz

(c) Andrew Angelov/shutterstock.com

Mehr als 60 Organisationen appellieren an FDP-Parteichef Christian Lindner, die von Bundesernährungsminister Cem Özdemir geplanten Werbeschranken für Lebensmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu unterstützen. Mit „großer Sorge“ blicke man auf die ablehnenden Äußerungen von Parteivertreterinnen und -vertretern der FDP zu den Plänen für Kinderschutz, heißt es im offenen Brief an die Parteispitze, den medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, Kinderrechtsorganisationen, Eltern- und Pädagogikverbände, Verbraucherschutz- und Ernährungsorganisationen sowie Ärzteverbände und Krankenkassen unterzeichnet haben.

Gesunde Ernährung fördern

Umfassende Werbeschranken für unausgewogene Lebensmittel sind ein wichtiges Instrument zur Förderung einer gesunden Ernährung bei Kindern. Mit ihrer Blockadehaltung stelle sich die FDP gegen den einhelligen Konsens in der Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der vom Bundesministerium für Ernährung gewählte Ansatz für das geplante Kinder-Lebensmittelwerbegesetz wird unter anderem von einer neuen Leitlinie der WHO untermauert

„Die Blockadehaltung der FDP beim Kinderschutz wirft kein gutes Licht auf die Partei und steht im Widerspruch zum liberalen Leitbild der Chancengerechtigkeit“, erklärt Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). „Möglichst allen Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen und ernährungsbedingte Krankheiten zu verhindern, muss im ureigenen Interesse einer Wirtschaftspartei liegen. Werbeschranken für Ungesundes könnten einen Beitrag dafür leisten, wenn die FDP nicht länger auf der Bremse steht“, fordert Bitzer.

Werbeschranken beschneiden nicht die persönliche Freiheit

Anders als FDP-ler es darstellen, seien Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel weder eine Beschneidung der persönlichen Freiheit noch staatliche Bevormundung. Vielmehr beeinflusse Werbung für unausgewogene Produkte „nachweislich Vorlieben, Kaufverhalten und Essverhalten von Kindern negativ“, schreiben die Organisationen im offenen Brief. „Wenn Kinder und Jugendliche – in Folge einer Regulierung – weniger Werbung für ungesunde Lebensmittel ausgesetzt werden, stärkt das die souveräne und freie Entscheidung der Familien über die Ernährung ihrer Kinder“, so das Bündnis.

Die FDP-geführten Ministerien blockieren seit Monaten das im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesetzesvorhaben von Bundesernährungsminister Cem Özdemir in der Ressortabstimmung. Führende FDP-Vertretende machen zudem öffentlich Stimmung gegen die Pläne.

Weniger Werbung für Ungesundes ist ein Beitrag zum Kinderschutz

„Deutschland hat mit der UN-Kinderrechtskonvention das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit anerkannt. Die Ampel-Koalition sollte Kinder umfassend vor schädlichen werblichen Einflüssen schützen. Das ist keine Frage der Eigenverantwortung, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, ergänzt Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).

Mit ihrer Blockade konnten die Liberalen dem Ernährungsminister bereits Zugeständnisse abringen: Eigentlich hatte Özdemir geplant, die Werbung für unausgewogene Lebensmittel im TV und Hörfunk tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr grundsätzlich zu untersagen. Auf Druck der FDP beschränkt sich die Regelung nun wochentags nur noch auf die Abendstunden, wenn besonders viele Kinder Medien nutzen. Auch für Plakatwerbung soll es nun lediglich eine 100-Meter-Bannmeile um Kitas und Schulen, nicht aber um Spielplätze und Freizeiteinrichtungen geben. Die FDP will jedoch auch den Kompromissvorschlag Özdemirs nicht unterstützen.

Neun von zehn an Kinder gerichtete Werbespots handeln von ungesunden Lebensmitteln

„Ein Großteil der Verbraucher:innen befürwortet umfangreiche Regelungen zum Schutz der Kinder. Eine umfassende Regulierung von Werbung für Ungesundes ist überfällig, die Zeit der wirkungslosen freiwilligen Selbstverpflichtungen ist vorbei. Gesunde Ernährungsumgebungen sind ein wichtiger Beitrag zum Kinderschutz. Dafür muss die Koalition den Weg freimachen“, sagt Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv).

Die Situation in Deutschland
Laut einer Studie der Universität Hamburg sehen mediennutzende Kinder zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet ungesunde Lebensmittel wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie in Deutschland hat 2022 knapp eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben. Um Fehlernährung bei Kindern zu bekämpfen, empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juli 2023, Junkfood-Werbung gesetzlich einzuschränken. Der WHO zufolge müssen Werbeschranken verbindlich sein, Kinder aller Altersgruppen schützen und auf konkreten Grenzwerten für Zucker, Fett und Salz basieren. Die Beschränkungen sollten die Exposition von Kindern gegenüber Werbung für Ungesundes verringern und dürften nicht allein im Umfeld von Kindersendungen greifen.

Junkfoodwerbung zur Primetime

„Kinder leben nicht in einer Blase. Etwa jede Dritte der bei Kindern unter 14 Jahren beliebtesten Sendungen ist keine klassische Kindersendung, sondern ein Familienfilm, eine Castingshow oder eine Sportübertragung. Gerade in der abendlichen Primetime überschüttet die Lebensmittelindustrie Kinder mit Junkfood-Werbung – hier müssen die Werbeschranken greifen, sonst ist nichts gewonnen“, ergänzt Luise Molling von foodwatch.

Kinder essen mehr als doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Den letzten repräsentativen Messungen zufolge sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.

Weitere Beiträge zum Thema:

Bibliografía: DANK Politik Menschen Prävention und Prophylaxe

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