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Von fehlenden Mathekenntnissen, geschassten Ministerinnen, Krankenhauspleiten und Risiken für die Praxen – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) Lisa-S/Shutterstock.com

Tarnen, tricksen und täuschen – Lauterbachs Revolution, besser bekannt als Krankenhausreform oder hochtrabend „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ (KHVVG) – kann nun doch zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Das Finale furioso im Bundesrat ging vergangenen Freitag genauso über die Bühne wie all die ministeriellen Volten und Fingerhakeleien während des fast zweijährigen Vorlaufs bis zur endgültigen Abstimmung des Gesetzes.

Trotz vielfältiger und unabhängig von der jeweiligen Parteicouleur geäußerter und inhaltlich gut begründeter Kritik ist dieses Gesetz von der Länderkammer unverändert beschlossen worden. Und das, obwohl jeder der verantwortlichen Landesminister sehr wohl um die Schwächen – um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken – wusste. Zu den denkwürdigen Besonderheiten dieser Bundesratssitzung später mehr.

Mathematik ist Lauterbachs größter Feind

Eigentlich wollte ich mich weniger mit dem Wirken Lauterbachs befassen, wird doch selbst ein Politiker mit so viel Reibungsfläche irgendwann fad. Doch leider ist es kaum möglich, dass KHVVG in seiner jetzigen Form vom ideologisch motivierten Wirken des Ministers zu trennen. Insbesondere, wenn man sich die allseitigen finanziellen und strukturellen Folgen dieses Gesetzes (und nicht nur dieses Gesetzes) vor Augen führt. Es betrifft ja bei weitem nicht nur die sogenannten Leistungserbringer, sondern eben auch die Beitragszahler, denn sie finanzieren (mal wieder ) des Ministers Spendierhosen für die Kliniken.

Franz Knieps, ehemaliger Abteilungsleiter unter Ulla Schmidt und graue Eminenz des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), ist heute Vorstandsvorsitzender des BKK-Dachverbands. Er brachte das in einem Interview mit der „Welt“ (15. November 2024) so auf den Punkt: „Die Gesetze der Mathematik sind die größten Feinde von Lauterbachs Politik“. Und dem Gesundheitsökonomen bescheinigte er die heftigste Bilanz aller Gesundheitsminister der vergangenen 40 Jahre: „Eine Beitragserhöhung von 0,8 Prozentpunkten erlebe ich jetzt zum ersten Mal“. Nota bene: Der durchschnittliche Zusatzbeitrag in der Gesetzlichen Krankenversicherung steigt 2025 auf 2,5 Prozent und boostet den Gesamteitragsatz auf 17,1 Prozent. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht, denn Lauterbach behält sich vor, kurzfristig per Verordnung eine Anhebung um 0,2 Beitragssatzpunkte in der Pflegeversicherung anzuordnen.

Dr. Uwe Axel Richter zu Gast bei „Dental Minds“

Die Gesundheitspolitik begleitet den Mediziner und Fachjournalisten schon seit Jahrzehnten, auch in der ärztlichen und zahnärztlichen Standespolitik ist er zuhause: Dr. Uwe Axel Richter. Für „Quintessence News“ nimmt er in seiner Kolumne alle 14 Tage aktuelle politische Themen kritisch unter die Lupe. Jetzt ist er zu Gast bei „Dental Minds“ und schaut mit Dr. Marion Marschall und Dr. Karl-Heinz Schnieder auf das, was sich in Gesundheits- und Standespolitik bewegt – oder auch nicht.

Vom gesundheitsreformerischen Dauerfeuer des amtierenden Bundesgesundheitsministers mit Krankenhausreform und mehr über die Möglichkeiten und Grenzen der zahnärztlichen Standespolitik bis zur AS Akademie, der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement in Berlin, erklärt und beleuchtet Richter im Gespräch die aktuellen Themen. Hier geht es zum Podcast.

Interessantes Verständnis von Revolution

Doch zurück zu dem durchaus ideologisch anmutenden Wirken des Bundesgesundheitsministers. Im Gegensatz zu dem von Lauterbach im Zusammenhang mit der Krankenhausreform permanent gebrauchten Wortbild der Revolution und damit seinem Status (oder doch Eigenbild) als dem wahren Revolutionär scheint er nicht nur mit der Mathematik, sondern auch mit den Begrifflichkeiten nicht auf gutem Fuße zu stehen. Gemäß aktuellem Wikipedia-Eintrag ist eine Revolution ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme, der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt. Er kann friedlich oder gewaltsam vor sich gehen …

„Nachtigall, ick hör dir trapsen“

Bei einer Revolution muss man sich entscheiden und das Ziel kommunizieren, damit die Massen einem folgen. Doch leider ist die Lauterbach‘sche Doppelzüngigkeit insbesondere im Hinblick auf ein staatliches Gesundheitswesen und seiner Vorliebe für wirtschaftliche Großstrukturen wie Investoren im stationären und auch ambulanten System allseits spürbar. Die Prägungen des Drittmittel-erfahrenen Professors und seiner privatwirtschaftlichen Beziehungen, man denke nur an seine Aufsichtsratstätigkeit bei der damaligen Rhön-Klinikum AG, sind halt nur schwer zu verbergen. Interessanter Nebenaspekt: 2010 gründete unter anderem die Rhön-Klinikum AG die Transparenzinitiative „Qualitätskliniken.de“. Durch die öffentliche Abbildung von Qualitätsdaten sollen sowohl Patienten als auch medizinische Fachleute dabei unterstützt werden, geeignete Krankenhäuser zu finden und einzelne Einrichtungen trägerunabhängig vergleichen zu können.

Ampelfraktionen einigen sich auf 50 Änderungsanträge zum KHVVG

Revolution hin oder her: Das „revolutionäre“ KHVVG ist leider ein Beispiel für ein Gesetzesverfahren, in dem die Beratungsresistenz eines Ministers, gepaart mit präpotentem Verhalten nicht nur gegenüber seinen Politikkollegen, sondern auch ausgewiesenen Fachleuten gegenüber, zu einem Gesetzesentwurf führte, an dem die fachliche Kritik nicht abreißt. Und das betrifft eben nicht nur das stationäre, sondern auch das ambulante Lager. Unter den 50 Änderungsanträgen zum KHVVG, auf die sich die Ampelfraktionen einigten, war auch der ambulante Sektor mit der Vorgabe betroffen: Die Krankenhäuser sollen in Zukunft auch zur Abdeckung weiter Teile der ambulanten hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung ermächtigt werden können. Hinzu kommt die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulant-fachärztliche Versorgung. Bedingung: Sofern in nicht zulassungsbeschränkten Regionen binnen neun Monaten keine Niederlassung erfolgt, soll es an Sicherstellungskrankenhäusern, sektorenübergreifenden Versorgungszentren (Level 1i) und Bundeswehrkrankenhäusern möglich sein, diese Leistungen durch angestellte Fachärzte erbringen zu lassen.

Eine weitere Suppenkelle im ambulanten Topf

Damit führt das KHVVG aufgrund des Attraktivitätsgefälles für Praxen zu einer weiteren Verschärfung des ärztlichen und pflegerischen Personalmangels. Was dann natürlich niemand jemals wollte – aber hingenommen hat. Der Vorstandsvorsitzenden der KBV, Dr. Andreas Gassen, kommentierte dieses mit den Worten, dass man Krankenhaus und ambulante Versorgung gemeinsam denken müsse, weil der eine ohne den anderen nicht kann. Für eine Übergangszeit wird der Minister das sicherlich auch so sehen.

Harte Worte seitens der Klinikverbände

Eine deutlich harschere Kritik am KHVVG kommt aus dem stationären Lager. Gerade seitens der Klinikverbände hagelte es bis zum Schluss Kritik. Nur ein Beispiel unter vielen. Aufgrund der ungeklärten Finanzfragen forderten die Kliniken (BWKG) aus dem Südwesten einen Stopp der Klinikreform. 85 Prozent der Häuser erwarteten für 2024 ein Defizit in Höhe von insgesamt 900 Millionen Euro. Die Landkreise im Südwesten schätzen, dass sie ihre Kliniken allein in diesem Jahr mit 790 Millionen unterstützen müssen.

In Nordrhein-Westfalen ist es keinen Deut besser. Dort stecken vier von fünf Kliniken, so die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, in den Miesen. Auf mehr als 2,6 Milliarden Euro ist dort das Defizit seit 2022 angewachsen. Das monatliche Defizit betrage 96 Millionen Euro, weil die realen Kosten nicht vergütet werden. Das gesetzliche festgelegte System, wonach die Betriebskosten der Krankenhäuser über die Leistungen der Häuser finanziert werden sollen, sei am Ende.

Nun könnte man dem entgegenhalten, dass ja alles besser werden wird, wenn das Gesetz ab 2026 greift. Wenn denn so manche Vorgaben nicht wären, die direkt mit den definierten Leistungsgruppen zusammenhängen. Und spätestens an dieser Stelle fragt man sich, wer auf solche wenig realistischen und das Problem verschärfende Vorgaben kommt. Gut, das war jetzt eine rhetorische Frage. Aber der Blick auf die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhaus Institutes bringt Erschreckendes zu Tage. Wohlgemerkt mit direkten ökonomischen Konsequenzen für die betroffenen Kliniken.

Erläuterung zu den Leistungsgruppen

Ein Kernelement der aktuellen Krankenhausreform besteht in der Definition von Leistungsgruppen, die fachlich verwandte medizinische Leistungen abdecken. Durch die Definition von zugehörigen Mindestqualitätsvoraussetzungen (zum Beispiel personelle und apparative Ausstattung) soll die Einführung von Leistungsgruppen die Qualität der stationären Versorgung fördern.

Die Grundlage der bundesweit zu implementierenden Leistungsgruppen stellt die im NRW-Krankenhausplan 2022 entworfene Systematik dar. Die Analyse der 64 im NRW-Krankenhausplan 2022 definierten Leistungsgruppen steht im Zentrum eines aktuellen ePapers des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg). Dieses ePaper entwickelt einen einfachen methodischen Ansatz zur demografischen Prognose der stationären Inanspruchnahme nach Leistungsgruppe bis auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte. Zudem wird unter Rückgriff auf die methodischen Arbeiten des bifg das Ambulantisierungspotenzial innerhalb der NRW-Leistungsgruppen abgeschätzt. Als künftige Erweiterung wird die Bildung eines onkologischen Leistungsbereichs angeregt.

Desaster mit Ansage

Denn die Mehrheit der Kliniken sieht sich außerstande, die Personalvorgaben für die vorgegebenen Leistungsgruppen vollständig erfüllen zu können. Bei den Regel- und Schwerpunkthäusern können nur 60 Prozent der Kliniken die Personalvorgaben überwiegend (70 bis 90 Prozent) oder sogar nur teilweise (50 bis 70 Prozent) realisieren. 6 Prozent können weniger als 50 Prozent der Vorgaben abbilden. Bei den sogenannten Maximalversorgern sieht es ein wenig besser aus: 73 Prozent erfüllen die Vorgaben, 27 Prozent nur überwiegend bis teilweise. Und zieht man das Kriterium der vollständigen Erfüllung der Vorgaben korrespondierender Leistungsgruppen heran, sieht es noch düsterer aus: Grundversorger 19 Prozent; Regel- und Schwerpunktversorger 36 Prozent und Maximalversorger 67 Prozent. Da fällt es auch mathematisch weniger Begabten nicht schwer, ein Gefühl für die Einnahmenverluste zu bekommen. Von der Versorgungsdimension ganz zu schweigen.

Vorhaltepauschale wird es nicht retten (können)

Das waren nur wenige Beispiele, wo die Probleme mit dem neuen System liegen. Eine Kompensation durch die Vorhaltepauschale ist jedenfalls in der vorgegebenen Logik nicht möglich. Und so kann man sich nur wundern, dass aus dem Lager der das KHVVG befürwortenden Ländern trotz des in den vergangenen Jahren stetig gestiegenen finanziellen Drucks im System (abzulesen an der Zahl zunehmender Klinikinsolvenzen) ernsthaft ein Pseudoargument wie „Gar nichts zu tun, wäre mit Sicherheit das Schlechteste in der Lage, in der sich die Kliniken befinden“ zu einem schwergewichtigen Argument werden konnte.

Mit Cannabis die Zeit verdaddelt

Nur mal nebenbei: Hätte der Minister die Klinikreform, die im Übrigen in den wesentlichen Aspekten bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden war und als Herzstück einer Reform des Gesundheitswesens galt, gleich mit dem nötigen Ernst vorangetrieben, wären die erarbeiteten Lösungen mit hoher Wahrscheinlichkeit konsensfähig(er) und im Hinblick auf das zu erreichende Ziel besser geworden. Stattdessen verdaddelten Minister und Ministerium wesentliche Zeit mit einem Cannabisgesetz, dass von Entkriminalisierung der Nutzer bis hin zum Trockenlegen des Dealersumpfs alles versprach, aber nichts davon wirklich erreichte.

Was erlauben Länder?

Karl Lauterbach würde ich allerdings unterstellen, dass er die Zeitkarte gezielt gespielt hat, um den Druck im System deutlich zu erhöhen und so entscheidungsfreudigere Länder in seinem Sinne zu bekommen. Stattdessen stieg der Gegendruck aus den Ländern, dem er mit dem Krankenhaustransparenzgesetz 2023 begegnete. Nun ist das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche nicht die Folge einer durchdachten gesetzgeberischen Brillanz, sondern auch ein eklatantes Beispiel für Politikversagen, vor allem das des zuständigen Ministers.

Vogel friss oder stirb

Der normale Weg wäre doch gewesen, angesichts der gesetzlich verbrieften Zuständigkeiten der Länder ein möglichst großes Einvernehmen von Bund und Ländern herzustellen. Wie bekannt, entschied sich Minister Lauterbach für den Weg der Dominanz und gerierte sich als Herrscher der Reußen, indem er versuchte, die Bundesländer zu seinen Bedingungen an den Tisch zu zwingen. Und das wohlgemerkt bei einem für den Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetz.

Knaller im Bundesrat

Am vergangenen Freitag kam es dann zum Showdown im Bundesrat. Von der Entscheidung des Bundesrats, dem Gesetz zuzustimmen oder doch den Vermittlungsausschuss anrufen, hing es ab, ob das KHVVG zum Januar 2025 und damit vor den Neuwahlen in Kraft treten kann. Lauterbach hatte sich seit der Verabschiedung des Krankenhausreform im Bundestag so positioniert: Mit ihm wird es keine Veränderungen des Gesetzes geben. Wobei die Frage erlaubt sei, welchen Landesminister diese sinnentleerte Drohung angesichts der klar definierten Verantwortlichkeiten interessieren sollte. Jedoch haben wir in Deutschland ein Parteiensystem(!) – und der massive Druck im System entlud sich in geradezu absurder Form.

Denn kurz vor Debatte zur Abstimmung entließ Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) völlig überraschend seine langjährige Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Laut „Tagesspiegel“ habe der Minister verhindern wollen, dass Nonnemacher im Bundesrat zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zur Krankenhausreform spricht. Woidke sei für einen Vermittlungsausschuss gewesen, Nonnemacher habe den Ausschuss verhindern wollen. Die zukünftigen Koalitionsverhandlungen in Brandenburg lassen grüßen.

Grüner Koalitionspartner demontiert die Vorsitzende der GMK

Doch es kam noch besser. Obwohl Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU), amtierende Vorsitzende der Gesundministerkonferenz (GMK), sich eindeutig für die Anrufung des Vermittlungsausschusses positionierte kam es anders. Der Koalitionspartner in Kiel, die Grünen, pochten überraschend auf Enthaltung. Was laut Koalitionsvertrag nichts anderes bedeutet als ein Nein. Damit war eine Mehrheit nicht mehr zu erreichen, denn die Stimmen aus Thüringen wurden aufgrund des uneinheitlichen Votums der Landesregierung nicht gezählt. Prominentestes Mitglied des grünen Landesverbands im hohen Norden ist übrigens der Noch-Vizekanzler und Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck. Sein Direktmandat für die aktuelle Legislatur des Bundestag holte er im Wahlkreis 1. Aus seiner Sicht ein Imperativ …

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.



 

Bibliografía: Quintessence News Politik Nachrichten

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