Mit der am vergangenen Freitag veröffentlichten Warnemünder Erklärung „Mehr Hauszahnärzte für den ländlichen Raum“ legt die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) sinnbildlich den Finger in eine immer relevanter werdende „Wunde“: Die zukünftige zahnärztliche Versorgung in der Fläche und strukturschwachen Regionen Deutschlands. Mit vier Ansätzen – man könnte auch sagen Forderungen –, adressiert an Politik, Kassen und Kommunen, sollen die aufkommenden Versorgungslücken geschlossen werden.
Zentraler Punkt der in der Bundeszahnärztekammer vereinigten 17 Landeszahnärztekammern ist die „Sicherstellung“ der ambulanten Versorgung durch die „Hauszahnärztepraxis“. Die Bezeichnung „Hauszahnärzte“ hat die Bundeszahnärztekammer dabei bewusst in Anführungszeichen gesetzt, um mit dieser Begrifflichkeit die in eigener Praxis niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte zu beschreiben. Zur Sicherheit und zur Vermeidung berufs- und standespolitischer Kalamitäten setzt der Autor dieser Kolumne das Wort „Sicherstellung“ in ebensolche.
Zahnmedizin als Basis- und Vollversorgung
Die Intention für eine hausärztliche Zahnmedizin ist nachvollziehbar, soll sie doch deutlich machen, dass sich die ambulante zahnmedizinische Versorgung im wahrsten Sinne des Wortes als Basis- und Vollversorger versteht. Hierin unterscheidet sie sich von der Situation der ambulanten ärztlichen Versorgung. Die stationäre zahnmedizinische Versorgung beschränkt sich angesichts des gesamten zahnmedizinischen Behandlungsvolumens auf wenige Fälle. Auch die fachzahnärztliche Expertise, sofern man diese mit der Situation bei den Ärzten vergleicht, ist im Vergleich sehr überschaubar und auf die eigentlichen Fachärzte Oralchirurgie und Kieferorthopädie (und Parodontologie in Westfalen-Lippe) beschränkt. Die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie sei aufgrund der Doppelapprobation an dieser Stelle einmal außen vorgelassen.
Jede weitere Spezialisierung wie beispielsweise Endodontologie, Parodontologie, Implantologie ist der persönlichen Fort- und Weiterbildung vorbehalten. Insoweit ist die Aussage in der Warnemünder Erklärung nachvollziehbar, dass die „Hauszahnarztpraxis“ den Großteil der Patientenbedürfnisse in hoher Qualität bei herausragender Patientenzufriedenheit abdecke und sich regelmäßig auf ein streng qualitätsorientiertes Überweiser-Netzwerk stütze.
Hauszahnarzt ist nicht direkt mit Hausarzt vergleichbar
Zugegeben – die Begrifflichkeit Hauszahnarzt ist nicht nur ungewohnt und beim Blick auf die ambulante Organisationsstruktur nicht eins zu eins vergleichbar. Funktional im Sinne der Patientenbetreuung ist der Vergleich dennoch korrekt. Dafür spricht beispielsweise die dauerhafte Patientenbetreuung und -bindung an die Praxis, die umfassende Versorgung aus einer Hand, die mehrfachen Kontakte pro Patienten und Jahr oder auch die Hausbesuche in Heimen. Das ist im besten Sinne „hauszahnärztliche“ Tätigkeit.
Politische Fokussierung auf „Hausärzte“
Bleiben wir bei dem funktionalen Aspekt, dann würde eine öffentliche „hauszahnärztliche“ Positionierung parallel zu den politischen Vorstellungen einer zukünftigen ambulanten ärztlichen Versorgung laufen, die im Wesentlichen auf Hausärzte fokussiert. Bereits im Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, Grüne und FDP, dass die hausärztliche Versorgung entbudgetiert werden soll. Eine Ansage, die auch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach immer wieder öffentlich bestätigt wird. Ob es wirklich so kommen wird? Wer weiß das schon und will sich in Anbetracht der gemachten Erfahrungen auf des Ministers Ansagen verlassen?
Doppelte Facharztschiene ein Dorn im politischen Auge
Fakt ist jedoch, dass die deutsche Besonderheit der sogenannten doppelten Facharztschiene, also der parallel betriebenen ambulanten und stationären fachärztlichen Versorgung bereits in der Zeit von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Ihrem damaligen Adlatus Karl Lauterbach der Politik – sagen wir – suspekt war. Auch Lauterbachs aktuelle Krankenhausreformpläne gehen in diese Richtung, Stichwort Ambulantisierung und die 1i-Kliniken. Egal wie: Die bereits seit Jahrzehnten bestehende zahnärztliche Struktur würde sich demnach bereits heute passgenau einfügen.
Vier Ansätze zur Verbesserung
Wenn, ja wenn die Versorgung auch in der Zukunft in der Fläche und strukturschwachen Regionen verlässlich geleistet werden kann. Die Warnemünder Erklärung nennt dafür vier „konkrete Ansätze“ – wohlgemerkt keine Forderungen –, die der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Ebenen der Politik und der Hochschulen bedürfen. So soll die Auswahl der Studierenden mehr an den Bedürfnissen der zahnärztlichen Praxis orientiert werden. Was den Fakultäten bereits seit Jahren theoretisch möglich ist, aber aus finanziellen, personellen und eben auch juristischen Gründen (eine Kandidatenauswahl ist objektiv subjektiv und damit immer beklagbar) und angesichts der vorhandenen Ressourcen realistisch kaum umgesetzt werden kann.
Keine neuen Vorgaben, sondern Mittel
Hier braucht es keine neuen Vorgaben oder Gesetze, sondern das klare Commitment der Politik, die Universitäten auch in die Lage zu versetzen, versorgungsorientiert handeln zu können. Die Politik hat dafür kein Geld? Vielleicht wäre ja die Investition im Vergleich zu den Kosten eines zahnmedizinischen Studiums oder einem späteren Versorgungsmangel hilfreich. Nur, wer macht diese transparent?
Ohne „Pfau“ keine Interessenten
Das mehr Standorte mit zahnärztlichem Versorgungsbedarf den „Pfau“ machen und sich Interessenten entsprechend präsentieren sollten, ist in heutigen Zeiten eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Eigentlich.
Die Frage lautet: Wo platziert man am besten sein Angebot? Hier schwebt der BZÄK ein deutschlandweites digitales Angebot vor, in dem ohne kommerziellen Hintergrund vakante Landpraxisstandorte in einem 360-Grad-Marketing attraktiv vorgestellt werden sollen. Fragt sich nur, was „ohne kommerziellen Hintergrund“ bedeuten soll, wenn besagte Gemeinden oder Kleinstädte aus nachvollziehbaren kommerziellen Gründen Versorgungslücken schließen wollen. Denn zahnärztliche und ärztliche Versorgung ist schließlich ein entscheidender Faktor für die Attraktivität eines Standorts.
Ärztehäuser und zinsbegünstigte Kredite
In die gleiche Richtung geht auch Ansatz drei, der die Kommunen in die Pflicht nimmt, Ärztehäuser zu errichten oder alternativ zinsbegünstigte Kredite auszuloben. Der vierte Ansatz sieht finanzielle Förderungen durch GKV, PKV oder auch die öffentliche Hand als sinnvoll, um „über die psychologische Hürde der Landniederlassung zu gelangen“. Die schon vorhandenen Mittel und Möglichkeiten der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, hier tätig zu werden, seien deshalb an dieser Stelle explizit erwähnt.
Der Ball liegt auch bei den Kammern
Ohne Zweifel sind das alles sinnvolle Maßnahmen. Wenn man diese aber von kleinen lokalen (erfolgreichen) Initiativen auf Landes- und Bundesebene wie ein deutschlandweites digitales Angebot heben will, braucht es Input, Koordination und Investitionen. Will man kommerzfrei agieren sei die Frage erlaubt: Wer wäre dafür besser geeignet als die Kammern mit ihren lokalen Strukturen? Zentrale Koordination wie auch zentral vorgehaltene Technik kosten Geld, aber kein Vermögen. Wenn sich denn alle Kammern daran beteiligen.
Zusammenarbeit kann gar nicht eng genug sein
Die Frage vieler Zwangsmitglieder, wofür denn eine Kammer gut sei, hätte dann eine weitere erlebbare positive Antwort bekommen. By the way: Eine konkrete Zusammenarbeit unter den zahnärztlichen Institutionen auf Projektebene kann unter den Aspekten „best practice“, Erfahrungen und „value for money“ gar nicht eng genug sein.
Mut muss trainiert werden
„Mut ist ein Muskel. Er wird dann gestärkt, wenn wir ihn benutzen. Wir brauchen Mut, Muskeln und Kraft, um die Zukunft der Zahnärzteschaft zu gestalten“. Ist nicht von mir, sondern es waren die einleitenden Worte in der Rede von Dr. Romy Ermler anlässlich der letzten Bundesversammlung im November 2022 in München.
Auch die Zukunft gestalten
In der Tat wird Mut gebraucht – denn die derzeitige in der Öffentlichkeit geführte hitzige Diskussion von roten Karten bis hin zu Hilferufen an den Bundeskanzler ist letztlich eine Diskussion um Besitzstandswahrung. Das ist menschlich nachvollziehbar und bis zu einem gewissen (= angemessenen) Grad auch richtig. Jedoch darf dabei die notwendige Gestaltung der zukünftigen zahnmedizinischen Versorgung weder aus dem Fokus geraten noch aus der Kommunikation fallen. Wer wirtschaftlich nur schwarz malt, darf sich nicht wundern, wenn die Lust auf Niederlassung weiter sinkt.
Zahnmedizin und Versorgung weiterentwickeln
Dass die Zahnärzteschaft gestalten kann, hat sie mehrfach bewiesen – von der Mehrkostenregelung über die zahnmedizinische Versorgung alter Menschen und Menschen mit Behinderung bis zur Prävention. Die Zahnärzteschaft ist auch in diesen „unruhigen und beunruhigenden Zeiten“ – O-Ton Kanzler Scholz – gefordert, die Zahnmedizin und die praktizierte Versorgung an den Möglichkeiten entlang weiterzuentwickeln. Eine Herkulesaufgabe, die nur gemeinsam zu stemmen ist.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.