Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte war einmal die Kaderschmiede der zahnärztlichen Standespolitik, die „dritte Säule“. Mit den sogenannten Bremer Beschlüssen, die eine Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft im FVDZ und einer hauptamtlichen Tätigkeit im Vorstand einer KZV und der KZBV propagierten, hatte sich der Verband allerdings schon vor fast 20 Jahren weitgehend ins standespolitische Aus geschossen.
Nach den jahrelangen internen Querelen und Machtkämpfen schien es nach der Wahl Harald Schraders zum Bundesvorsitzenden so, dass der Verband auf Bundesebene den Weg zurück zur politischen Mitwirkung gefunden habe. Mit der jetzt gewählten Corona-Version einer Hauptversammlung und den vom Bundesvorstand vorbereiteten Beschlüssen muss man das aber bezweifeln. Freiverbands-Hauptversammlungen leben von der Vielfalt der Redebeiträge und engagierten Diskussionen, die in den vergangenen Jahrzehnten auch schon mal an die Grenzen des Erträglichen (und darüber hinaus) gingen. Die Rechte der Delegierten und damit die vom Verband so hochgehaltene Freiheit in dieser Form so massiv zu beschneiden, ist daher für sich schon problematisch. Das sahen offensichtlich auch einige Landesverbände so, scheiterten allerdings kurz vor der Sitzung mit dem Versuch, das Format in dieser Form zu verhindern.
Intensive und kritische Diskussion nicht möglich
Die dann von Schrader in seiner Eröffnungsrede fahrig ausgebreiteten Thesen und Forderungen hätten eine intensive, kritische Diskussion verlangt. Aber diese war nicht möglich. Die Spitzen der von ihm angegriffenen Standesorganisationen auf Bundesebene hatten ihre Teilnahme offensichtlich in Kenntnis der Anträge deshalb schon vorher abgesagt. Man kann den zahnärztlichen Standesorganisationen in der Corona-Pandemie sicher manches vorwerfen. Die mangelnde Kommunikation in den Berufsstand zu Beginn der Pandemie sorgte für Verunsicherung in den Praxen, die sich auch in den aufgeregten öffentlichen Diskussionen und Forderungen nach Praxisschließungen Bahn brach. Und ja, die Politik hat gerade bei den KZVen und der KZBV den Spielraum in den vergangenen Jahren weiter eingeschränkt.
Das vielgescholtene GKV-System ist Konstante in der Krise
Jetzt aber ein komplettes Versagen der Selbstverwaltung festzustellen, die zahnärztlichen Körperschaften öffentlichen Rechts für die Organisation der Versorgung für obsolet zu erachten und die weitgehende Herausnahme zahnärztlicher Leistungen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung vorzuschlagen, ist nicht nur überzogen, es dürfte in weiten Teilen der Zahnärzteschaft für Unverständnis sorgen. Das vielgescholtene GKV-System bietet auch in dieser Krise für Patienten und Praxen eine verlässliche Konstante. Und wer glaubt eigentlich, dass die Politik die freiberuflichen Zahnärzte nicht mit Vorschriften und Regelungen belasten wird, nur weil es keine Körperschaften mehr gibt?
Forderungen, aber keine Konzepte für die Alternativen
Mit diesen Forderungen, bei denen für die gewünschten Alternativen vielfach nicht einmal ansatzweise eigene Ideen und Konzepte zu erkennen sind – man beklagt das Hineinregieren der Politik in die Selbstverwaltung, Körperschaften öffentlichen Rechts braucht man für die Organisation der Versorgung nicht und will die freiberufliche, ganz unabhängige Praxis, fordert aber gleichzeitig von der Politik, investorenbetriebene MVZ zu verbieten –, manövriert sich der FV wieder an den Rand, wenn nicht ganz raus aus der standes- und berufspolitischen Diskussion. Tritt er damit gar in Berlin an die Politik heran, wird er im besten Falle Kopfschütteln ernten, im schlimmsten Fall aber die Wahrnehmung der Zahnärzteschaft als verlässlichem Part der medizinischen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger infrage stellen.
Falsche Antwort auf die Frage nach der Systemrelevanz
Ja, die Politik hat die Zahnärzte in der Corona-Pandemie beim finanziellen Ausgleich der Pandemiefolgen nicht ausreichend berücksichtigt, Stichwort „Systemrelevanz“. Die politische Antwort der Zahnärzteschaft – Politik wie Wissenschaft – darauf muss sein, gemeinsam diese Systemrelevanz, die Bedeutung der ZahnMedizin für die Gesundheit, gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit noch stärker herauszustellen und deutlich zu machen. Dies tun Körperschaften und Wissenschaft in vielfältiger Form, auch in den Berufsstand hinein. Und nicht, das System insgesamt infrage zu stellen und Vorschläge für die Alternativen von denen zu erwarten, die man dann nicht mehr braucht.
Rückschlag für die Arbeit an der Basis
Diese Entwicklung ist umso mehr zu bedauern, als viele Landesverbände – die finanziell vom Bundesverband abhängig sind – gerade in den vergangenen Monaten zusammen mit den regionalen Körperschaften und Vereinen durchaus viel auf die Beine gestellt haben, um die Kollegen in den Praxen in der Corona-Pandemie zu unterstützen und auch gegenüber der Landespolitik die Interessen der Zahnärzte zu vertreten.
Keine Perspektiven für die junge Generation
Es bleibt zudem die Frage, welche Perspektiven die jetzt vom Freien Verband erhobenen politischen Forderungen ohne echte Lösungsvorschläge für die jungen Zahnärztinnen und Zahnärzte eröffnen sollen. Denen will man doch eigentlich Mut zur Freiberuflichkeit und zur Niederlassung machen. Sie erwarten realistische Konzepte mit Antworten auf ihre Fragen und Bedürfnisse, für eine moderne Orale Medizin, für Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch Sicherheit. Die aber sucht man in den „Fünf guten Gründen für eine freiheitliche Zahnheilkunde“ vergeblich. Sie atmen eher den Geist einer längst vergangenen Zeit, als der Freie Verband noch der unabhängige politische Berufsverband war, den die Zahnärzteschaft eigentlich braucht. Jetzt besetzen neue, jüngere Verbände dieses Feld.
Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News
Den Bericht über die EV-Sitzung lesen Sie hier: „Der Zahnärzteschaft ist viel zugemutet worden“.