Das Darm-Mikrobiom leistet nicht nur unverzichtbare Dienste bei der Verdauung, sondern spielt auch bei verschiedensten Krankheiten eine Rolle. Neue Erkenntnisse über den Einfluss von Nanopartikeln auf Darm-Mikroorganismen haben nun Forscher unter Federführung der Universitätsmedizin Mainz erzielt: Die Kleinstpartikel binden an Darm-Mikroorganismen und beeinflussen so deren Lebenszyklus. Die Forscher beobachteten beispielsweise, dass eine Infektion durch den am Magenkrebs beteiligten Krankheitserreger Helicobacter pylori zurückging, nachdem sich Nanopartikel daran angelagert hatten. Diese Erkenntnisse dienen sowohl als Grundlage für weitere epidemiologische Untersuchungen als auch der Entwicklung „probiotischer Nanopartikel“. Nachzulesen sind sie in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Publishing Journal – Science of Food“.
Klein, aber nicht einfach
Nanopartikel haben aufgrund ihrer minimalen Größe einzigartige Eigenschaften und Fähigkeiten, beispielsweise bei der Anlagerung an Kleinststrukturen. Deswegen gilt die Nanotechnologie sowohl in der Industrie als auch in der Medizin als wichtiger Innovationsträger. Die Medizin hofft insbesondere auf verbesserte Diagnose- und Behandlungsmethoden durch die Kleinstteilchen. Die Industrie hat eher Produktoptimierungen im Blick. Sie verwendet künstlich hergestellte Nanopartikel bereits als Zusatzstoffe, um beispielsweise die Produkteigenschaften von Lebensmitteln zu verbessern. Doch wie lässt sich die Anwendung der Nanotechnologie in Lebensmitteln sicherer und effizienter gestalten? Welche Wirkprinzipien gilt es zu beachten?
Ernährung beeinflusst Mikrobiom
Durch den vermehrten Einsatz der Nanotechnologie erlangt die Suche nach Antworten hierauf zunehmend an Bedeutung. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Nanopartikel außer über Mund und Nase vor allem über die Nahrung in den Körper gelangen. Die Ernährung wiederum hat starken Einfluss auf die Vielfalt und Zusammensetzung des sogenannten Mikrobioms. Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln, insbesondere alle Darmbakterien – also die Darmflora, aber auch die Haut, Mund- und Nasenhöhle besiedelnden Mikroorganismen.
Interessant für die Forschung und Klinik sind Mikrobiome auch deshalb, weil sie das Immunsystem, den Stoffwechsel, die Gefäßalterung, die Hirnfunktionen sowie das Hormonsystem ihres Wirts positiv oder negativ beeinflussen können. Daher spielt die Zusammensetzung dieser Mikroorganismen auch eine Rolle bei der Entstehung verschiedener Erkrankungen. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Krankheiten, Darmkrebs, Allergien oder Adipositas bis hin zu psychischen Störungen.
Mikrobiom beeinflusst Menschen
Zudem kann sich die Wechselwirkung zwischen dem Mikrobiom und dem Wirt – und damit die Gesundheit des Menschen – verändern, wenn Umweltfaktoren, wie die Einnahme von Medikamenten und vor allem die Ernährung, also beispielsweise mit technischen Nanopartikeln versetzte Lebensmittel, auf sie einwirken. Um potenzielle Risiken zu verringern sowie idealerweise die Gesundheit zu fördern, gilt es daher, die potenziell negativen oder positiven Auswirkungen von mit der Nahrung aufgenommenen Nanoteilchen bestmöglich zu untersuchen und zu verstehen.
Nanoteilchen in der Nahrung entstehen oft durch Zubereitung
„Ob und inwiefern diese Nano-Zusätze die Magen- oder Darmflora überhaupt beeinflussen, war bislang unbekannt. Daher wollten wir,die komplexen Interaktionen von Nanopartikeln mit Mikroorganismen erforschen und ihre potenziellen positiven oder schädlichen Folgen verstehen“, erläutert Univ.-Prof. Roland Stauber von der Hals-, Nasen-, Ohren-Klinik und Poliklinik – Plastische Operationen (HNO) der Universitätsmedizin Mainz. „Dazu untersuchten wir eine Reihe von technischen Nanopartikeln mit klar definierten Eigenschaften, um diejenigen zu simulieren, die derzeit oder potenziell in der Lebensmittelindustrie als funktionelle Inhaltsstoffe verwendet werden. Besonders spannend wurde es, als wir Nanoteilchen aus Lebensmitteln wie Bier isolieren konnten. Das heißt, Nanoteilchen werden nicht nur gezielt unserer Nahrung zugesetzt, sondern entstehen auch völlig natürlich bei deren Zubereitung – sie sind also bereits omnipräsent."
Indem sie den Gang der Partikel durch die unterschiedlichen Bedingungen des Verdauungstrakts im Labor nachstellten, konnten die Wissenschaftlern nachweisen, dass eine Vielzahl von Nanomaterialien an Bakterien binden können, so auch die „Bier-Nanopartikel“.
Nützliche und schädliche Effekte
Dieser Vorgang kann sich unterschiedlich auswirken. Einerseits scheint die körpereigene Immunpolizei bedeckte Mikroorganismen weniger effizient zu erkennen, was zu vermehrten Entzündungsreaktionen führen kann. Andererseits sind auch positive Nebeneffekte durch das Nano-food möglich. Beispielsweise ließ sich in Zellkulturmodellen durch Silica-Nanoteilchen die Infektiösität des Keims Helicobacter pylori, der als Hauptursache für die Entstehung von Magenkrebs gilt, abschwächen. Die Forscher schließen daras, dass nanoskalige Lebensmittelzusatzstoffe sowie natürlich vorkommende Nanoteilchen genutzt werden können, um das Mikrobiom (rational) zu formen.
„Aus den erzielten Studienergebnissen lassen sich Strategien ableiten, um technische Nanopartikeln als Inhaltsstoffe für funktionelle Lebensmittel zu entwickeln und anzuwenden. In diesem Forschungsfeld liegt ein riesiges Potenzial“, so Stauber.
Siemer S, Hahlbrock A, Vallet C, Stauber, RH et al.: Nanosized food additives impact beneficial and pathogenic bacteria in the human gut: a simulated gastrointestinal study. Nature publishing Journal - Science of Food, (2018) 2:22