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Neue Daten aus Frankreich zeigen Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch Freizeitkonsum von N2O – auch NRW meldet starken Anstieg

Der Freizeitkonsum von Lachgas und Meldungen zu Folgekomplikationen haben in Frankreich seit 2019 stark zugenommen.

(c) Ink Drop/shutterstock.com

Eine Studie aus dem Großraum Paris zeigt den Anstieg schwerer Folgeerkrankungen durch den Freizeitkonsum von Lachgas (N2O) seit 2020, wobei die Ergebnisse auf eine deutliche Verschiebung der Konsummuster hin zu hohen und damit schädlichen Dosen deuten. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Es kommt zu Rückenmarks- und Nervenschäden, welche sensible Symptome, Gangstörungen und bleibende Lähmungen hervorrufen.
Die Studie analysierte sozioökonomische Faktoren und forderte angesichts des weltweit wachsenden öffentlichen Gesundheitsproblems Aufklärungskampagnen. Im Auftrag der BZgA führt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) nun eine Umfrage in Deutschland zur Prävalenz und den Folgen des Lachgasmissbrauchs durch.

Freizeitkonsum hat seit 2019 zugenommen

Die neue Partydroge Lachgas (N2O, Distickstoffmonoxid) wird zunehmend zu einem Gesundheitsproblem, das bei konsequentem Eingreifen der Politik lösbar wäre. Lachgas ist ein seit mehr als 200 Jahren eingesetztes Inhalationsanästhetikum, das bis heute eine medizinisch sinnvolle und sichere Alternative in bestimmten Narkosesituationen darstellt [2] wie zum Beispiel in der Zahnmedizin.
Allerdings hat der Freizeitkonsum von N2O weltweit in einem besorgniserregenden Maße zugenommen – und damit auch gesundheitliche Schädigungen in Folge des Konsums. Im Gegensatz zum praktisch nebenwirkungsfreien medizinisch überwachten Kurzeinsatz kann es bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch zu Schäden am Nervensystem kommen; manchmal sind auch die Blutbildung, Lunge und Herz mit betroffen. Ursache dieser Gesundheitsprobleme ist eine Störung des Vitamin-B12-Stoffwechsels, das heißt, ein funktioneller Mangel des Vitamins. Vitamin B12 ist für die Funktion der Myelinscheiden (Hüllstrukturen der peripheren Nerven und des Rückenmarks) notwendig. Die Schädigung von Rückenmark und Nerven führt zu Taubheitsgefühlen vor allem an den Füßen, Gangstörungen und in schweren Fällen auch zu Lähmungen. Die Symptome können durch parenterale Gabe von Vitamin B12 behandelt werden; nicht immer bilden sie sich jedoch vollständig zurück.

Störung des Vitamin-B12-Stoffwechsels

Besonders gefährdet sind Menschen, deren Vitamin-B12-Versorgung aus anderen Gründen schon nicht optimal ist, zum Beispiel bei veganer oder vegetarischer Ernährung, bei Einnahme bestimmter Medikamente (wie Magensäureblockern), chronischen Magen-Darm-Entzündungen oder regelmäßigem Alkoholkonsum.

Eine aktuelle retrospektive multizentrische Kohortenstudie [1] berichtet über schwere, N2O-induzierte neurologische Erkrankungen im Großraum Paris. Von 2018 bis 2021 wurden in Abteilungen für Neurologie und Innere Medizin alle Personen mehr als 18 Jahre mit schweren Lachgas-Vergiftungen erfasst. Bis Ende 2019 wurden keine entsprechenden Fälle beobachtet. Die danach zunehmende Häufigkeit wurde ermittelt und mit der Frequenz vergleichbarer neurologischer Krankheiten anhand der Krankenversicherungsdaten von 91.000 Klinikpatienten verglichen. Von 181 Patientinnen und Patienten hatten 25 Prozent eine Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie), 37 Prozent eine Schädigung peripherer Nerven (periphere Neuropathie) und 38 Prozent eine Kombination beider Schäden. Betroffen waren vor allem junge Erwachsene mit schlechten sozioökonomischen Bedingungen: die meisten waren 20-25 Jahre alt und lebten in städtischen, sozial benachteiligten Gegenden; 37 Prozent waren arbeitslos. Der durchschnittliche tägliche N2O-Verbrauch lag bei 1.200 g; die mediane Dauer zwischen dem Beginn des N2O-Konsums und dem Auftreten der Symptome lag bei einem halben Jahr (IQR zwei bis 12 Monate).

Inzidenz in sozial benachteiligten Regionen am höchsten

Die Inzidenz neurologischer Lachgas-assoziierter Erkrankungen nahm in Paris im Laufe des Jahres 2020 zu und erreichte Mitte 2021 einen Höhepunkt. Bei 20- bis 25-Jährigen lag 2021 die Inzidenz für eine N2O-Myelopathie bei 6,15/100.000 Personenjahre und für periphere N2O-Neuropathien bei 7,48/100.000 Personenjahre. Dies war signifikant häufiger als nicht-N2O-assoziierte Myelitiden (Rückenmarksentzündungen) in derselben Altersgruppe, die mit einer Inzidenz von nur 0,35/100.000 Personenjahre auftreten oder das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit 2,47/100.000 Personenjahre. In den sozial am stärksten benachteiligten Regionen waren die Inzidenzen zwei- bis dreimal höher als in den anderen Regionen. Das Autorenteam fordert daher nachdrücklich, dass diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken sei.

Mit jedem Atemzug steigt das Risiko für Komplikationen

Für die neurologischen Folgen kann kein Schwellenwert angegeben werden; es gibt Fallberichte, wo nur vier inhalierte Luftballons nach sieben Wochen zu einem GBS-ähnlichen Krankheitsbild geführt haben [2]; auf entsprechenden Partys werden von manchen Menschen durchaus 50 und mehr Ballons inhaliert [3]. „So steigt mit jedem Atemzug am Lachgas-Ballon das Risiko für neurologische Folgekomplikationen“, betont DGN-Pressesprecher Prof. Dr. Peter Berlit. „Aber nicht nur die chronischen Folgen sind ein Problem“, erklärt Berlit weiter. „Sorge macht auch eine nicht zu vernachlässigende akute Gefahr – vor allem, wenn im Einzelfall zu viel Lachgas inhaliert wird“. Dazu zählen neben Übelkeit, Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen auch epileptische Anfälle, Schlaganfälle und hypoxische Hirnschäden bis zum Tod („versehentliches Ersticken“) in Folge des Konsums. Beschrieben werden auch Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall und Atemprobleme.

DGN fordert Kaufeinschränkung

Die DGN befürwortet daher eine klare Kaufeinschränkung von N2O außerhalb medizinischer Indikationen. Die Abgabe für gewerbliche Zwecke müsse gesetzlich geregelt werden. „Vor allem sehe ich eine Pflicht der Gesellschaft und Politik, junge Menschen über die möglichen Gefahren zu informieren. Viele halten Lachgas für ungefährlich – das ist es ganz sicher nicht.“ Um das Ausmaß des Problems zu erfassen, führt die DGN nun gemeinsam mit der BZgA eine Umfrage in Deutschland zur Prävalenz und den neurologischen Folgen des Lachgasmissbrauchs durch. Bestätigen sich die Befürchtungen, sind gemeinsame Aktionen und Aufklärungsinitiativen geplant.

Literatur

[1] Dawudi Y, Azoyan L, Broucker TDE, Gendre T, Miloudi A, Echaniz-Laguna A, Mazoyer J, Zanin A, Kubis N, Dubessy AL, Gorza L, Ben Nasr H, Caré W, d'Izarny-Gargas T, Formoso A, Vilcu AM, Bonnan M. Marked increase in severe neurological disorders after nitrous oxide abuse: a retrospective study in the Greater Paris area. J Neurol. 2024 Jun; 271 (6): 3340-3346. doi: 10.1007/s00415-024-12264-w  

[2] https://dgn.org/artikel/neurologische-komplikationen-nach-lachgaskonsum

[3] The European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): Freizeitkonsum von -Distickstoffmonoxid in Europa: Situation, Risiken, Reaktionen https://www.emcdda.europa.eu/publications/topic-overviews/recreational-nitrous-oxide-use-europe-situation-risks-responses_de  (aufgerufen am 19.06.2024)

In Bonn im ersten Halbjahr 2024 so viele Fälle wie im gesamten Jahr davor

Nachtrag: Auch deutsche Universitäten wie die Universität Bonn verzeichnen zunehmend Vergiftungen durch Lachgaskonsum. Aktuelle Auswertungen der Informationszentrale gegen Vergiftungen des Universitätsklinikums Bonn (UKB) belegen nun, dass es 2024 im Vergleich zu den Vorjahren einen signifikanten Anstieg von Beratungsfällen aufgrund des missbräuchlichen Konsums gegeben hat: 2023 wurden bei der Giftzentrale über das gesamte Jahr 17 Beratungsfälle aufgrund von Lachgaskonsum registriert. Genauso viele Fälle wurden in 2024 schon in der ersten Jahreshälfte gemeldet. 

 In vielen Ländern Europas ist Distickstoffmonoxid deshalb bereits verboten, während es in Deutschland weiterhin legal erworben werden kann und häufig aus Sahnekartuschen oder Luftballons inhaliert wird. Laut Medienberichten vom 10. Juli hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun auf den anhaltenden Diskurs schnell reagiert und erarbeitet eine Gesetzesänderung Diese sieht Einschränkungen für die Herstellung, den Handel, den Erwerb und den Besitz von Lachgas vor. Für Kinder und Jugendliche soll demnach künftig ein grundsätzliches Verkaufs- und Besitzverbot gelten. 

 

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