0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
137 Views

Diskussionsbeitrag des Masterkurses „Parodontologie und Implantattherapie“ der DG PARO und DIU

Modifikation eines Biofilms: Ein dysbiotischer Biofilm (a) wird durch eine Phagentherapie (b), indem „Keystone“-Pathogene eradiziert werden, zu einem kommensalen symbiotischen Biofilm (c). (Quelle: modifiziert nach Lusiak-Szelachowska et al.37 und Szafrański et al.11).

Die Parodontitis wird durch organisierte Mikroorganismen des oralen Biofilms verursacht. Eine adjuvante Therapieoption ist die Gabe von Antibiotika. Die steigende Anzahl von Antibiotikaresis-tenzen stellt die Medizin vor enorme Therapieprobleme. Bakteriophagen, eine seit mehr als 100 Jahren bekannte, jedoch in Westeuropa und den USA nur selten angewendete Therapie, könnte in den nächsten Jahren als eine eigenständige Therapie beziehungsweise Antibiotikaersatz- oder Kombinationstherapie bei Infektionen mit multiresistenten Erregern etabliert werden. Bakteriophagen sind Viren und besitzen im Vergleich zu Antibiotika die Eigenschaft, hochspezifisch an ein Bakterium zu binden und es zu zerstören. Andere Bakterien werden nicht infiziert, wodurch symbiotische Bakterien im Mikrobiom erhalten bleiben können. Die ehemaligen Staaten der Sowjetunion waren Vorreiter auf dem Gebiet der Bakteriophagenforschung und -therapie. Diverse Falldokumentationen konnten die Wirksamkeit der Therapie dokumentieren, welche nur sehr selten mit Nebenwirkungen wie Fieber oder Schüttelfrost einhergeht. Im Rahmen des „Dresden International University“(DIU)-Masterkurses wurde zu diesem Thema eine Literaturrecherche durchgeführt. Im folgenden Diskussionsbeitrag des Masterkurses „Parodontologie und Implantattherapie“ der DG Paro und DIU für die Parodontologie 1/2023 werden die Eigenschaften, Funktionen und therapeutische Anwendungen von Bakteriophagen dargestellt, einzelne Studien hervorgehoben und ein praxisrelevanter Ausblick aufgezeigt.

Die Zeitschrift „Parodontologie“ vermittelt dem interessierten Zahnarzt in Praxis und Klinik die neuesten Erkenntnisse, Entwicklungen und Tendenzen auf dem Gebiet der Parodontologie. Die hochwertige Ausstattung mit vielen, meist farbigen Abbildungen und der ausgeprägte Fortbildungscharakter sprechen für diese Fachzeitschrift. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Vor mehr als 100 Jahren haben Frederick Twort1 und Félix Hubert d’Hérelle2 als erste Wissenschaftler „Bakterienfresser“ (Bakteriophagen) beschrieben. Sie zeigten die erfolgreiche Therapie einer Shigellose, eine durch Shigella dysenteriae verursachte Durchfallerkrankung. Danach erfolgte vor allem in den früheren Staaten der Sowjetunion eine intensive Forschung und erfolgreiche Anwendung von Bakteriophagen (Synonym: Phagen). Im Vergleich dazu wurden in Westeuropa und den USA vermehrt Antibiotika eingesetzt, was aus patentrechtlichen Gründen in der Sowjetunion nicht möglich war. Das Eliava-Institut in Tiflis (Georgien) forscht bis heute an Phagen und stellt diese als Phagen-Cocktail, Tabletten oder Infusionen her3. In Deutschland gibt es bis heute keine klinische Phase-I−III-Studie zur Phagentherapie, obwohl etliche Fallberichte den erfolgreichen Einsatz von Phagen dokumentieren3−7.

In der menschlichen Mundhöhle sind Viren die größte Population innerhalb des oralen Mikrobioms, die meisten davon sind Phagen. Untersuchungen gehen davon aus, dass 30-mal mehr Phagen als Bakterien im oralen Mikrobiom existieren8. In 1 µl Speichel können bis zu 100.000 Phagen nachgewiesen werden9. Dabei ist die Zusammensetzung von Phagen so individuell wie das orale Mikrobiom10. Sie sind in der Umwelt sowie im Menschen zu finden und verursachen primär keine Erkrankungen. Sie helfen dem Körper, die bakterielle Belastung zu reduzieren. Phagen gelten in Deutschland als Arzneimittel, weshalb hohe Anforderungen an Herstellung und Patientenauswahl gestellt werden. Sie können nicht patentiert werden, da sie nicht als Erfindung, sondern als Entdeckung gelten.

Bakteriophagen

Phagen benötigen immer einen spezifischen Wirt zum Überleben. Sie können nach ihrer Morphologie, dem Infektionszyklus oder dem Genom eingeteilt werden11. Nach der Morphologie werden Phagen mit einer simplen Kopfstruktur von komplexeren Kopf-Schwanz-Strukturen unterschieden (Abb. 1). Es existieren taxonomisch drei Familien. Myo-viridae stellen mit 96 Prozent den größten Anteil der Phagenfamilie dar. Sie besitzen einen Kopf und einen langen kontraktilen Schwanz. Des Weiteren werden Siphoviridae mit einem Kopf und einem langen nicht kontraktilen Schwanz und Podoviridae mit einem kurzen nicht kontraktilen Schwanz unterschieden. Die Kopfstruktur wird durch ein Kapsid gebildet, welches aus 152 Kapsomeren besteht und einen ikosaedrischen Aufbau hat. Es enthält das virale Genom, welches in Form von einzelsträngiger (ss) oder doppelsträngiger (ds) Desoxyribonukleinsäure (DNA) oder Ribonukleinsäuren (RNA) vorliegt. Der Schwanzteil besteht aus einer hohlen Röhre, die von einer kontraktilen Scheide umgeben wird. Zudem gehören die Grundplatte mit den Spikes sowie die Schwanzfasern zum Schwanzteil (s. Abb. 1)11,12. Kleinere Phagen weisen meist eine simple sphärische Struktur auf. Sie bestehen aus einer Kapsidhülle (Kopf) und dem davon umhüllten Genom13. Für die genaue Klassifizierung von Phagen gibt es heutzutage verschiedene „omics“-Technologien (zum Beispiel Genomics und Metagenomics), um eine algorithmusbasierte Netzwerkdatenbank aller Phagen aufzubauen14,15. Aufgrund der Vielfalt und der individuellen Eigenschaften der Bakteriophagen wurde aus der Systembiologie und der personalisierten Medizin das Prinzip der „omics“-Einteilung übernommen. Darunter versteht man die Möglichkeit der spezifischen Untersuchung von Wechselwirkungen und einzelnen Komponenten wie zum Beispiel Proteinen (Proteomics) oder des gesamten Genoms (Genomics).

Phagen verfügen über keinen eigenen Stoffwechsel, sondern nutzen den infizierten Wirt (Zielbakterium) zur intrazellulären Vermehrung. Der Vermehrungszyklus von Phagen folgt dem virustypischen Infektionsmechanismus. Es wird zwischen dem therapeutisch wichtigen „lytischen“ und dem „lysogenen“ Zyklus unterschieden. Als „pseudolysogen“ existiert ein dritter Zyklus, in dem das Bakterium aufgrund von internen (beispielsweise Hungerzuständen) oder externen Faktoren (beispielsweise Umwelteinflüssen) in einen Ruhezustand verfällt und der Zyklus sistiert (Abb. 2)13.

Im lytischen Zyklus bindet der Phage mithilfe von Spikes und den Schwanzfasern an spezifische Oberflächenrezeptoren auf der bakteriellen Zellwand (Adsorption). Durch eine punktuelle Zerstörung der Membran und Kontraktion der Scheide injiziert der Phage sein Genom in das Bakterium (Injektion). Das Phagengenom wird zunächst in den bakteriellen Plasmidring eingebaut. Dieser wird anschließend durch spezifische Enzyme aufgelockert. Das bakterielle Genom wird nun aus der bisherigen Wirts- und der neuen Phagen-DNA gebildet (Latenzzeit). Durch Transkription des Virusgenoms, Translation der viralen „messenger“-RNA (mRNA) und Replikation der viralen Nukleinsäure werden die einzelnen Phagenbestandteile produziert und zusammengesetzt (Produktions- und Reifungsphase). Es kommt innerhalb von 60 Minuten zur Bildung von 50−150 neuen Phagen in einem Bakterium. Die dabei exprimierten (Endo-)Lysine lösen die bakterielle Zellwand von innen an einzelnen Stellen auf, indem das Murein (Peptidoglykan) hy-drolysiert wird. Dies führt zur Lyse des Bakteriums, wodurch die neu gebildeten Phagen freigesetzt werden (Lysis und Freisetzung) und erneut an Zielbakterien binden können. Bei der Lyse des Bakteriums kann es zur Freisetzung von Endotoxinen kommen, die eine Immunreaktion und/oder verstärkte Allgemeinsymptomatik hervorrufen können13,16.

Der Unterschied zwischen lysogenem und lytischem Zyklus besteht darin, dass sich nach der Adsorptions- und Injektionsphase keine Replikations- oder Lysephase anschließt. Das Phagengenom wird in den bakteriellen Plasmidring eingebaut (Lysogenie) und durch jeden weiteren Teilungszyklus des Bakteriums vermehrt. Der Phage wird nun als Prophage bezeichnet. Erst durch einen starken exogenen Reiz (zum Beispiel pH-Wert-Änderung, Hitze oder oxidativer Stress) wird der lytische Zyklus aktiviert. „Lytische/virulente Phagen“ durchlaufen in der Regel den lytischen Zyklus, wohingegen temperente Phagen primär den lysogenen Zyklus einschlagen (Abb. 2)13,17.

Dadurch können Phagen den Biofilm nicht mehr penetrieren. Befindet sich das Phagengenom im Zellinneren, kann mithilfe der „enzymatischen Genschere“ − „Clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ (CRISPR)/„CRISPR associated protein 9“ (Cas9) − die virale DNA aus der bakteriellen DNA herausgeschnitten und damit inaktiviert werden. Außerdem können die Phagen-Transkription, -Translation und -Replikation blockiert werden18−20. Jedoch können sich Phagen durch diverse Anpassungsprozesse an resistente Bakterien adaptieren. Die Verwendung verschiedener Phagen-Stämme in einem Phagen-Cocktail gegen eine Bakterienspezies reduziert ebenfalls die bakterielle Resistenzentwicklung. Alternativ können fortwährend neue Phagen aus der Umwelt isoliert oder im Labor genetisch modifiziert werden, sodass sie ihre Wirksamkeit wiedererlangen21.

Genetisch modifizierte lysogene Phagen können das bakterielle Genom so verändern, dass keine bis wenige Virulenzfaktoren nach der Zelllyse freigesetzt werden22. Dadurch kommt es zu einer deutlichen Reduktion der bakteriellen Virulenz, einhergehend mit einer geringeren Immunreaktion und Allgemeinsymptomatik23.

Obwohl die Isolierung und Auswahl der Phagen im Rahmen eines Phagogramms viel Zeit in Anspruch nimmt, sind die positiven Aspekte offensichtlich. Phagen kommen physiologisch im humanen Mikrobiom vor und können dies gezielt modulieren. Durch die fortwährende Exposition rufen Phagen keine Immunantwort hervor24. Mit einer Reduktion des Wirts-/Zielbakteriums im Mikrobiom werden Phagen ebenso abgebaut und ausgeschieden, weshalb sie immer selbstlimitierend sind13.

Biofilm

Neben einzelnen Bakterienspezies stellt der bakterielle Biofilm bei vielen Erkrankungen einschließlich der Parodontitis die primäre Ursache der Erkrankung dar25−28. Der Biofilm schützt Bakterien durch unterschiedliche Abwehrmechanismen und Antibiotikaresistenzen effektiv vor äußeren Angriffen29. Zusätzlich beeinflusst der strukturelle Unterschied der Zellwand verschiedener bakterieller Spezies zum einen ihre Virulenz und zum anderen die Wirkstärke der Phagen30.

Das Ziel der Phagentherapie ist die Modifikation des Biofilms. Durch die Eradikation der „Keystone“-Pathogene soll ein dysbiotischer Biofilm in einen symbiotischen Zustand überführt werden (Abb. 3). Zusätzlich kommt es durch die Auflockerung des Biofilms zu einer gesteigerten Wirkung einer Antibiotikatherapie31−35. Ferner können Phagen genetisch modifiziert werden, sodass ihre Zielzelle biofilmdegradierende Substanzen wie Dispersin B durch Aggregatibacter actinomycetemcomitans
(A. actinomycetemcomitans) produziert36.

Therapieformen

Bisher wurden nur wenige Studien zur klinischen Phagentherapie publiziert. Fallbeispiele und Therapieempfehlungen wurden vor allem vom Eliava-Institut in Tiflis veröffentlicht38−40. In Deutschland werden Patienten nur in Notsituationen und mit deren Zustimmung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs damit behandelt5,41. Ein großes Problem stellen die nationalen und europäischen Gesetze dar. Phagen gelten als Arzneimittel und müssen nach den Richtlinien der „Good Manufacturing Practice“ aufbereitet werden, wodurch sie biologisch inaktiviert werden können3,42.

Bisher wurde eine Vielzahl von Applikationsmöglichkeiten beschrieben. Die größten Heilungschancen wurden durch eine orale oder rektale Gabe erzielt. Bei Haut- und Wundinfektionen scheint die direkte Applikation am erfolgversprechendsten zu sein. Des Weiteren können Phagen auch mithilfe von Trinklösungen, Pulvern oder auch intravenös verabreicht werden43. Dennoch gibt es bis heute keine einheitlichen Standards für die Applikationsdauer, -häufigkeit und -dosis.

Zu Beginn jeder Therapie muss ein spezifischer Phage für jede zuvor isolierte Bakterienspezies gefunden werden. Dieses sogenannte Phagogramm dient der Empfindlichkeitsprüfung, wie ein Antibiogramm. Hierzu gibt es verschiedene Methoden. Ein standardisiertes Verfahren konnte bisher nicht etabliert werden. Eine große Anzahl von verschiedenen Phagen werden in Phagenbanken für Phagogramme bevorratet, aus dem ein patientenspezifischer
„Phagen-Cocktail“ mit mehreren Phagen zusammengestellt wird. Bei wenigen Erkrankungen mit ätiologisch bekannten Bakterien kann auf ein Phagogramm verzichtet werden44,45.

Chadha et al.46 untersuchten die Wirkung von Phagen auf Klebsiella pneumoniae, die bei infizierten Brandwunden häufig Resistenzen gegenüber einer Antibiotikatherapie aufweisen. Hierzu wurden zuerst fünf Phagen identifiziert und anschließend separat sowie zusammen in einem Phagen-Cocktail auf unterschiedliche Wunden appliziert. Der Phagen-Cocktail führte zur höchsten Bakterienreduktion und zu niedrigen Resistenzraten. Im Gegensatz dazu erzielte die Monotherapie mit einzelnen Phagen eine deutlich niedrigere Bakterienreduktion.

Um synergistische Effekte auszunutzen, können Phagen neben der Applikation als Phagen-Cocktails auch in Kombination mit Antibiotika, desinfizierenden Agenzien oder zeitgleich mit einer mechanischen Biofilmentfernung angewendet werden47. Eine der häufigsten Ursachen für nosokomiale Lungenentzündungen ist eine Infektion mit Pseudomonas aeruginosa (P. aeruginosa). In-vitro-Untersuchungen mit zwei P. aeruginosa-Phagen in Kombination mit verschiedenen Antibiotika gegen einen P. areuginosa-Biofilm fanden synergistische Effekte durch den gemeinsamen Einsatz von Phagen und Antibiotika. Die Kombination aus Ciprofloxacin und Phagen konnte die Bakterienlast im Biofilm um ≥ 50 % senken. Eine wichtige Rolle scheint auch hier die Reihenfolge der Verabreichung zu spielen. Eine Applikation der Phagen vor einer Antibiotikagabe zerstörte den Biofilm effektiver als bei einer gleichzeitigen Gabe. Auch ein Aufaddieren der Bakterienreduktion bei einer Einzelgabe beider Agenzien erreichte keine so hohen Werte der Reduktion wie die synergistische Gabe48−50. Die hohe Wirksamkeit von Antibiotika bei einer gleichzeitigen Phagentherapie scheint auf der Blockade der bakteriellen Effluxpumpe zu basieren, wodurch das Antibiotikum längere Zeit intrazellulär wirksam bleibt51. Die Autoren gehen davon aus, dass der Einsatz von Phagen zu einer Dosisreduktion von Antibiotika führen kann48.

Fäkale Mikrobiotatransplantation

Mehrfach- und Fehlanwendungen von Antibiotika, wie beispielsweise der in der Zahnmedizin häufig verordneten Medikamente Amoxicillin und Clindamycin, können eine antibiotikaassoziierte Diarrhoe oder eine Kolitis induzieren. Eine Antibiotikatherapie kann zu starken Nebenwirkungen, bis hin zu einer Therapieresistenz oder einem Rezidiv führen52. In schwerwiegenden Fällen hat sich die Phagentherapie mittels fäkaler Mikrobiotatransplantation als erfolgsversprechend erwiesen. Mölling et al.4,53 beschrieben eine 51-jährige Patientin, die nach einer Zahnextraktion eine Alveolitis sicca entwickelte und mehrfach mit mechanischem Debridement und verschiedenen in der Zahnmedizin häufig angewendeten Antibiotika behandelt wurde. Daraufhin manifestierte sich eine rezidivierende Clostridioides difficile-Infektion, die mit einer Antibiotika- und Probiotikagabe nicht mehr therapiert werden konnte. Daher war die Übertragung von Stuhlmikroorganismen die letzte Therapieoption. Eine zentrale Rolle spielt die Auswahl eines gesunden humanen Spenders, da das intestinale Mikrobiom gegenüber dem Patienten ähnlich aufgebaut sein sollte. Bei der Patientin wurde eine Stuhlprobe der Schwester entnommen und aufbereitet. Anschließend wurden das Bakteriom und Virom rektal verabreicht. Die Patientin zeigte schon nach kurzer Zeit eine Verbesserung der Symptomatik. Im weiteren Verlauf wurden das Mikrobiom sowie das Virom kontrolliert und mit dem Spendermikrobiom verglichen. Innerhalb der ersten Monate veränderte sich die Zusammensetzung der Bakterienspezies erheblich. Erst nach 7 Monaten konnte ein Großteil der Bakterienspezies nachgewiesen werden, die mit einem kommensalen intestinalen Mikrobiom assoziiert sind. Nach 4,5 Jahren ähnelte das Mikrobiom dem der Schwester. Der Anteil an Phagen, die ebenfalls mit einem kommensalen Mikrobiom vergemeinschaftet sind, stieg innerhalb von 7 Monaten stark an. Dies lässt den Schluss zu, dass Phagen bei der Etablierung eines gesunden Mikrobioms eine wichtige Rolle spielen und bei antibiotikaresistenten Patienten eine gute Therapieoption darstellen4.

Nachfolgende Untersuchungen bestätigten die Ergebnisse von Mölling et al.4,53, die bei Clostridioides difficile-Infektion und deren Therapie mittels fäkaler Mikrobiotatransplantation bei über 85 % der Patienten eine dauerhafte Ausheilung erzielten. Eine Antibiotikatherapie führte lediglich in 30 % der Fälle zu einem Therapieerfolg54. Auch andere Erkrankungen, die ätiologisch auf ein dysbiotisches Mikrobiom zurückzuführen sind, wie Autoimmunerkrankungen, metabolische Syndrome, morbide Adipositas oder einige Tumorerkrankungen, konnten mit der fäkalen Mikrobiotatransplantation erfolgreich behandelt werden54,55.

Lysine

Die zuvor erwähnten Lysine, die durch Transkription und Translation des Phagengenoms produziert werden, lösen bakterielles Murein während des lytischen Zyklus auf. Durch die Hydrolyse wird die Membran destabilisiert, woraufhin es zu einem intrazellulären Druckabfall kommt, was zur Bakteriendestruktion führt56. Diese Enzyme stellen eine vielversprechende Therapieoption dar37. Der Vorteil von Lysinen im Vergleich zu Antibiotika liegt im engeren Wirkspektrum, weshalb kommensale Bakterien erhalten bleiben. Außerdem scheinen Lysine bakterielle Resistenzen nicht zu fördern, was bei Phagen diskutiert wird57,58.

Verschiedene Invitro-Studien zeigten, dass Lysine durch die selektive Bakteriendestruktion einen Biofilm bis in tiefe Schichten penetrieren können, wodurch die dichte Schutzstruktur aufgelockert wird und somit adjuvante Agenzien besser wirken können31−35. Hierzu bietet sich eine Kombinationstherapie mit Antibiotika an, wobei Lysine ebenso effektiv zu sein scheinen wie die zuvor besprochene Phagentherapie.

Synergistische Effekte wurden von Sharma et al.33 gegen multiresistente Biofilme entdeckt. Entscheidende Faktoren bei der Verwendung von Lysinen sind die zeitliche Abfolge der Agenziengabe und das Alter des Biofilms. Verschiedene Invitro-Studien stellten die gemeinsame Behandlung eines multiresistenten Biofilms mit Lysin und Antibiotika in unterschiedlicher Reihenfolge dar. Bei simultaner Gabe von Endolysin und Minozyklin (Klasse der Tetra-zykline) auf einen alten Biofilm konnte eine geringe Bakterienreduktion beobachtet werden. Wird hingegen zuerst Endolysin und einen Tag später Minozyklin verabreicht, sinkt die Bakterienzahl im alten Biofilm deutlich. Bei jungem Biofilm konnte die höchste Bakterienreduktion ermittelt werden. Ebenso effektiv auf jungem und altem Biofilm war die Gabe von Endolysin, nachdem Minozyklin über längere Zeit einwirken konnte59. Ursächlich für diese Beobachtung ist der Mangel an stoffwech-selaktiven Zellen im alten Biofilm. Das Antibiotikum wirkt auf die äußeren und jüngeren Biofilmschichten, während Lysine unabhängig vom Stoffwechselstatus der Zellen wirken. Sie können tiefere Biofilmschichten besser penetrieren als Antibiotika37. Interessant im Vergleich zu Antibiotika ist die Tatsache, dass Bakterien gegen Lysine kaum Resistenzen entwickeln. Als Rezeptor nutzen Lysine essenzielle bakterielle Komponenten, die das Überleben der Bakterien sichern60,61.

Damit unterscheiden sich die denkbaren Therapieformen der Phagen in Kombination mit Antibiotika maßgeblich von den Möglichkeiten der Kombination von Lysinen und Antibiotika.

Die klinische Anwendung von Lysinen ist in Deutschland bisher nicht zugelassen. Dennoch gibt es einige Studien, wie z. B. an der Universität Münster, die an der therapeutischen Anwendung forschen. Mithilfe eines Nasensprays zerstörten Endolysine binnen weniger Minuten multiresistente Bakterien. Hingegen war die Bakterienreduktion durch das β-Lactam-Antibiotikum Oxacillin deutlich schlechter. Die Endolysine wurden labortechnisch designt und rekombiniert, um die Bakterienzelle effektiv zu zerstören und keine bis nur wenige Nebenwirkungen hervorzurufen62 (Tab. 1).

Bakteriophagen und Parodontitis

Parodontitis ist durch eine bakterielle Dysbiose charakterisiert25−28. Phagen gleichen sich diesem spezifischen oralen Mikrobiom an. Eine Studie konnte bei gesunden Mäusen eine höhere Diversität an Bakterien und Bakteriophagen nachweisen als bei Mäusen, die an Parodontitis erkrankt waren64. Aggregatibacter-Phagen wurden sowohl bei parodontal gesunden als auch bei erkranken Patienten gefunden65, jedoch waren die Phagen umso aktiver, je weiter die Parodontitis vorangeschritten war66,67.

Besonders interessant ist der Einsatz von Phagen zur Biofilmkontrolle. Insbesondere „Keystone“-Pathogene stehen im Fokus. Kabwe et al.68 isolierten den lytischen Phagen FNU1, der spezifisch gegen den „Brückenkeim“ Fusobacterium nucleatum (F. nucleatum) wirkt. FNU1 verringerte in einem experimentellen Biofilm 70 % der Biomasse von F. nucleatum. Dadurch könnte sich eine beginnende Dysbiose verlangsamen oder sistieren.

Bisher wurden 37 Phagen nachgewiesen, die A. actinomycetemcomitans als Wirt benötigen. Allerdings konnten nur die zwei Phagen AaΦ23 und S1249 isoliert und ausreichend charakterisiert werden11,65. Beide Phagen haben ein relativ breites Wirkspektrum gegen verschiedene A. actinomycetemcomitans-Serotypen69. Bei alleiniger Anwendung dieser Phagen konnten bis zu 95 % der A. actinomycetemcomitans-Population lysiert werden, wobei die Biofilmmatrix erhalten blieb23.

Einige ältere Studien sehen den Einsatz von Phagen gegen A. actinomycetemcomitans kritisch. Preus et al.66 wiesen bei vier Patienten mit einer lokalisierten aggressiven Parodontitis A. actinomycetemcomitans-Phagen in tiefen parodontalen Taschen nach, wohingegen keine Phagen in flachen Taschen nach-gewiesen werden konnten. Dieselben Autoren konnten bei zwei Papillon-Lefèvre-Syndrom-Patienten ähnliche Ergebnisse zeigen67. Ferner berichteten Willi et al.70 in einer In-vitro-Studie, dass die Prophage AaΦST1 (eng verwandt mit AaΦ23) durch Transduktion eine Tetrazyklin-resistenz auf A. actinomycetemcomitans übertragen kann. Eine weitere Invitro-Studie beobachtete eine erhöhte Leukotoxinfreisetzung nach der Lyse von A. actinomycetemcomitans, die zuvor mit Phagen infiziert wurden. Bei A. actinomycetemcomitans-Bakterien, die nicht mit Phagen infiziert waren, wurde nach der Lyse eine deutlich geringere Leukotoxinfreisetzung nachgewiesen71. Diese Erkenntnisse sollten in weiteren Studien überprüft werden, um mögliche pathogene Auswirkungen der Phagen zu identifizieren.

Gegen Porphyromonas gingivalis (P. gingivalis) konnten bisher keine Phagen isoliert werden11,23.

Die zunehmende Resistenzentwicklung betrifft auch die antibakterielle/antiseptische Behandlung einer Parodontitis. Yeung und Kozelsky72 untersuchten die Entwicklung von Phagenresistenzen bei oralen Actinomyces-Stämmen. Einige Stämme wiesen Resistenzen gegen Phagen auf, jedoch nie gegen alle getesteten Phagen. Wenn Actinomyces-Stämme mit spezifischen Phagen versetzt werden, können sich zwei Rezeptormutationen entwickeln, durch die die Actinomyceten ihre Fähigkeit, mit Streptokokken zu kommunizieren, verlieren73.

Schlussfolgerung und Ausblick

Wie in dem Artikel dargestellt wurde, scheint der klinische Einsatz von Phagen und Lysinen eine aussichtsreiche Therapieoption darzustellen. Zukünftig sollte der Forschung und klinischen Anwendung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, da Antibiotikaresistenzen in den nächsten Jahren zunehmen und dadurch die Behandlung von Infektionserkrankungen erschwert wird74. Die Weltgesundheitsorganisation warnte unlängst vor einer „Post-Antibiotika-Ära“ ab 203075. Gleichzeitig wird kaum an neuen Antibiotikaklassen geforscht. Die neusten Antibiotikaklassen Daptomycin und Line-zolid wurden in den 1980er Jahren entwickelt76.

Ein großes Hindernis bei der Phagentherapie stellen rechtliche Rahmenbedingungen wie die „Good Manufacturing Practice“ auf nationaler und europäischer Ebene dar. Daher wäre es wünschenswert, wenn Phagen nicht mehr als Arzneimittel eingestuft und rechtliche Hürden angepasst werden. In Deutschland wird die Therapie bisher nur im Rahmen von individuellen Heilversuchen durchgeführt. Eine breitere therapeutische Anwendung wäre sinnvoll, um die Phagentherapie in der klinischen Praxis zu etablieren und leichter klinische Studien zu generieren. Ferner sollten eine Förderung durch den Staat und finanzielle Anreize für die Pharmaindus-trie geschaffen werden, um die Forschung und den Betrieb von Phagenbanken attraktiv zu gestalten3,77.

Einer der größten Nachteile ist das enge Wirkspektrum von Phagen. Um dieses zu extendieren, sollten gentechnologische Ansätze verfeinert werden, um „Breitbandphagen“, vergleichbar mit Breitbandantibiotika, zu entwickeln3,77. Dies wäre vor allem im Hinblick auf den polymikrobiellen Charakter der Parodontitis sinnvoll.

Kritische Studien sollten evaluiert werden, um die Nachteile einer Phagentherapie zu identifizieren66,67,70. Trotz der großen Zahl vielversprechender Fallbeispiele der letzten Jahre, die vielfältige neue Möglichkeiten für die Parodontitisprävention und -therapie aufzeigten, wurden bisher keine klinischen Studien mit Parodontitispatienten durchgeführt78. Möglicherweise öffnet sich hier ein neues Feld in der Parodontitisforschung.

Fazit für die Praxis

Durch den demografischen Wandel wird die Parodontitistherapie in Zukunft eine immer größere Bedeutung erfahren79. Eine adjuvante Therapiemöglichkeit, um einer Manifestation und Progression einer Parodontitis vorzubeugen, wäre eine Phagen- oder Lysintherapie (s. Abb. 3). Mundspülungen, Zahnpasta, Gele oder Kautabletten könnten mit Phagen oder Lysinen versetzt werden80,81. Zudem könnten eine Phagen- und Lysintherapie den Einsatz von Antibiotika in Dosis und Behandlungsdauer sowie die Resistenzentwicklung reduzieren, die Effektivität in einem Biofilm steigern und ein breiteres Bakterienspektrum abdecken. Arzneimittelnebenwirkungen könnten dadurch verringert, das kommensale symbiotische Mikrobiom erhalten und das Risiko einer Superinfektion minimiert werden11,23,48,82,83.

Vereinzelt werden in Deutschland Patienten mit Phagentherapie behandelt, wobei sich für überweisende Kollegen das Nationale Phagenzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover oder die Septisch-Rekonstruktive Chirurgie in der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Bundeswehrkrankenhauses Berlin anbieten würde.

Ein Beitrag von Masterstudenten des DG PARO und DIU-Master of Science in Parodontologie und Implantattherapie: Vivian Lückgen, Würzburg, Nico Menne, Koblenz, Dr. Fridolin Meinert, Ravensburg, Dr. Omid Leylamian, Moers, Theodora-Ioanna Moraki, München, Ann-Katrin Muchow, Kall, Prof. Dr. Jörg Meyle, Betreuung durch Dr. Kay-Arne Walther, beide Gießen

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Reference: Parodontologie

AdBlocker active! Please take a moment ...

Our systems reports that you are using an active AdBlocker software, which blocks all page content to be loaded.

Fair is fair: Our industry partners provide a major input to the development of this news site with their advertisements. You will find a clear number of these ads at the homepage and on the single article pages.

Please put www.quintessence-publishing.com on your „adblocker whitelist“ or deactivate your ad blocker software. Thanks.

More news

  
26. Mar 2025

Der Parodontalpatient als Wiederholungstäter

Jeroen Titus Kleinsmann und Emma Jensen erläutern das Vorgehen bei einer Parodontalbehandlung nach der neuen PAR-Richtlinie
24. Mar 2025

Nikotinbeutel schädigen Zähne und Zahnfleisch

Zahnärzteschaft warnt vor unterschätzter Gefahr durch Snus und Co.
21. Mar 2025

Haben Sportler schlechtere Zähne?

Sportlernahrung enthält häufig viel Zucker und Säure – Tipps für Sportlerinnen und Sportler
14. Mar 2025

Ästhetische Korrekturen im parodontal vorgeschädigten Gebiss

Nachhaltige Ergebnisse lassen sich durch konsequente Adhäsivstrategie (Schmelz-Dentin-Adhäsiv) und individuelle Matrizentechnik erzielen
7. Mar 2025

Mundflora in Balance halten

PerioTrap Pharmaceuticals: Mikrobiom erhalten bei gleichzeitigem Schutz vor Karies und Zahnfleischerkrankungen
28. Feb 2025

Stufenhebung – Minimalinvasiver Zahnerhalt oder Tortur des Parodonts?

Dieses techniksensible Verfahren erfordert die penible Beherrschung der Adhäsivtechnik und ist dann eine gute Alternative zur Kronenverlängerung
21. Feb 2025

Antibiotikaverbrauch in Deutschland steigt

Anzahl der Verordnungen liegt erstmals wieder über dem Niveau vor der Pandemie
3. Feb 2025

Rauchen schadet der Mundgesundheit

Zum Weltkrebstag am 4. Februar: BZÄK und DKFZ präsentieren neuen Infoflyer für Raucherinnen und Raucher