Für Zahnhartsubstanzverluste gibt es die verschiedensten pathologischen und nicht-pathologischen Gründe. Unter Umständen führen sie zu Schmerzen, funktionellen und ästhetischen Problemen. Der Beitrag von Prof. Karl-Friedrich Krey et al. für die Quintessenz Zahntechnik 6/20 schildert eine Restauration stark abradierter Frontzähne mit Veneers aus Lithiumdisilikatkeramik nach umfangreicher kieferorthopädischer Vorbehandlung.
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Nicht-kariös bedingte Zahnhartsubstanzverluste werden in der primären und sekundären Dentition in unterschiedlichen Ausprägungen beobachtet. Im Allgemeinen sind sie altersabhängig10. Für die Ausbildung von Zahnhartsubstanzverlusten sind verschiedene intrinsische und extrinsische Faktoren verantwortlich1.
Bei einigen Patienten ist die Zahnabnutzung unter Umständen schwerwiegend und in der Art der Ausprägung auffällig. Solche schweren, nicht-kariös bedingten Zahnhartsubstanzverluste werden dann als pathologisch bezeichnet, wenn der Grad der Zahnabnutzung für das Patientenalter untypisch ist, Schmerzen oder Missempfindungen auslöst, funktionelle und ästhetische Einschränkungen und Probleme hervorruft und bei Progression zu weiteren unerwünschten Komplikationen führt9.
Suchen Patienten Hilfe bei Spezialisten, dann können die Substanzverluste schon so weit vorangeschritten sein, dass eine Restauration erforderlich wird, um ästhetische und funktionelle Einschränkungen zu korrigieren. Im Vorfeld jeder Intervention müssen potenzielle Ursachen der pathologischen Substanzverluste abgeklärt werden. Hierzu zählen mögliche systemische Erkrankungen (unter anderem gastrointesinaler Reflux), psychische Erkrankungen (Depression, Bulimie), Medikamenteneinnahme, Ernährungsgewohnheiten, Einnahme von Genussmitteln und Drogen, orale Habits, das Vorliegen von Wach- und/oder Schlafbruxismus, schlafassoziierte Erkrankungen (Schlafapnoe) und die Stressbelastung2,4,9. Patienten, die vermehrt mit den Zähnen pressen und knirschen, unterliegen häufig einer genetischen Disposition für dieses Bruxismusverhalten. Eine mit dem betroffenen Patienten geführte Familienanamnese kann darüber Auskunft geben8. Nur durch die Identifizierung der wesentlichen Noxen, die zum Substanzverlust geführt haben, kann dieser in der Folge reduziert und ein Langzeiterfolg der Restauration wahrscheinlicher werden. Dafür sind mitunter mehrere Gespräche mit dem Patienten und wiederholte Unterweisungen zur Reduktion parafunktionellen Verhaltens notwendig. Hilfestellungen bei der Anamnese und Beratung sind geeignete Befundblätter, zum Beispiel der Bruxismusscreener nach Lange und Bernhardt und Aufklärungsbögen wie der Zahnrat 806,7.
Patienten mit Abrasionsgebissen bedürfen einer umfassenden Aufklärung über die Art, Durchführung und Risiken der restaurativen Maßnahmen, da trotz Verhaltensänderungen bei diesen Patienten mit einer erhöhten Komplikationsrate zu rechnen ist5. Empfohlen wird unter der Prämisse der meist notwendigen Bisshebung eine möglichst minimalinvasive Therapie. Minimalinvasive und für den Kiefer selektive Restaurationen sollten insbesondere dann angewandt werden, wenn die Zahnhartsubstanzverluste auf einzelne Zahngruppen (meist die Frontzähne) begrenzt sind9. Auch hat sich in den vergangenen Jahren durch die Adhäsivtechnik ein Wechsel in Richtung parzieller Kronen und Table Tops vollzogen, die gegenüber Vollkronen viel substanzschonender sind3.
In dem hier vorliegen Patientenfall wird der kombiniert kieferorthopädisch-restaurative Behandlungsablauf bei anteriorem Zahnhartsubstanzverlust, vorwiegend bedingt durch Wachbruxismus, beschrieben.
Ausgangsbefund
Eine 42-jährige Patientin stellte sich mit dem Wunsch nach einer Verbesserung der Frontzahnstellung vor. Zudem bereitete ihr der fortschreitende Substanzverlust der Frontzähne bei parafunktioneller Aktivität (Bruxismus) Sorgen. Bei unauffälliger Allgemeinanamnese zeigte sich ein konservierend versorgtes permanentes Gebiss mit Zustand nach kieferorthopädischer Behandlung im Kindesalter bei Aplasie 12/22 und Lückenschluss. Parodontal bestand Entzündungsfreiheit. Die Zahnhartsubstanzverluste im Bereich der Frontzähne reichten bis ins Dentin. Die Kronenlänge war um ca. 1/3 verkürzt. Die Patientin gab an, insbesondere am Tage berufsbedingt sehr angespannt zu sein. Nach initialer Aufklärung und Selbstbeobachtung mittels Mini-Feed-Back-Methoden konnte als wesentlicher Faktor für die Substanzverluste hauptsächlich Wachbruxismus benannt werden (Abb. 1).
Die Modellanalyse zeigte leicht schmale Ober- und Unterkiefer sowie einen Tiefbiss bei Klasse-II-Verzahnung im Molarengebiet. Im Fernröntgenseitbild ergab die Vermessung eine mandibuläre Retrognathie (SNB 74,5°) bei vertikal ausgeglichener Kieferrelation. Die Frontzähne waren mit 9,0° im Oberkiefer (OK1-NA, Richtwert 22°) und 12,8° im Unterkiefer (UK1-NB, Richtwert 25°) deutlich retroinkliniert.
Nach sechsmonatiger Vorbehandlung mit Selbstbeobachtung und Anleitung zur Entspannung und Selbstmassage der Kaumuskulatur waren bei Palpation nur diskrete muskuläre Verspannungen erkennbar. Die Patientin trug über Nacht eine adjustierte Schiene (Abb. 2).
Computergestützte kieferorthopädisch-restaurative Planung
Die Behandlung wurde in einem vollständig digitalen Workflow geplant. Ausgangspunkt war neben den klinischen Befunden, Fernröntgenseitbildanalyse und OPG auch ein Intraoralscan (Lythos; Ormco). Dieser wurde zusammen mit den anderen Befunden in das Planungssystem Insignia (Ormco) übertragen. Hier konnte gemeinsam ein Zielsetup erstellt werden, das die späteren Platzverhältnisse für die Restaurationen schon berücksichtigte. Anhand des Setups wurde eine individualisierte, passiv selbstligierende Damon Q-Behandlungsapparatur (Ormco) gefertigt. Die Brackets sind in Tip und Torque individualisiert, In/Out ist im Bogen verschlüsselt. Zur Platzierung wurden 3-D-gedruckte Transfertrays verwendet. Die Planung sah vor, die Zahnbögen auszuformen, den Engstand im Unterkiefer aufzulösen und den Biss zu heben. Insbesondere der Torque der Frontzähne und eine Intrusion waren dafür vorgesehen (Abb. 3).
Kieferorthopädische Behandlung
Die Behandlungssequenz umfasste ein Nivellieren mit initialen Aufbissen auf den unteren zweiten Molaren. Die Vorprogrammierung der Brackets konnte mit einem slotfüllenden 0.021 × 0.025“ TMA-Bogen erreicht werden, für das Finishing kam ein 0.017 × 0.025 Stahlbogen zum Einsatz. Die festsitzende Behandlung dauerte 13 Monate. Die Retention erfolgte mit Tiefziehschienen. Die vertikale Öffnung in der Front konnte nicht vollständig wie geplant umgesetzt werden, kann aber als ausreichend für eine Rekonstruktion betrachtet werden (Abb. 4).
Restaurative Rekonstruktion
Nach einer Stabilisierungsphase von sechs Wochen wurde eine temporäre Versorgung eingegliedert. Nach erneuten Abformungen wurden Wax-ups beider Kiefer der Zähne 13–23 sowie 33–43 erstellt und die restaurativen Maßnahmen mit der Patientin erneut abgestimmt. Im Oberkiefer wurden Provisorien aus Kunststoff (Ceramill Temp ML; Amann Girrbach) adhäsiv eingegliedert, die zur weiteren Stabilisierung der Oberkieferfront miteinander verbunden wurden. Im Unterkiefer wurden die Frontzähne adhäsiv mithilfe von Hybridkomposit Venus ( Kulzer) aufgebaut. Die Patientin bekam zum Erhalt der Zahnstellung Miniplastschienen, mit der Anweisung, diese während der Nacht zu tragen. Nach Ablauf von drei Monaten zeigten sich auf den Schienen minimale und an den Frontzähnen keine neuen Abrasionsspuren oder Schlifffacetten (Abb. 5).
Die definitve Versorgung der Zähne 13,11,21,23 erfolgte aus Lithiumdisilikatkeramik (IPS e.max; Ivoclar Vivadent). Die im Pressverfahren hergestellten Veneers wurden mit Variolink Esthetic (Ivoclar Vivadent) eingesetzt. Neue, für die Nacht erstellte Miniplastschienen sollen der Rezidivgefahr der Zahnstellungsanomalie vorbeugen (Abb. 6).
Schlussfolgerungen
Komplexe Patientenfälle lassen sich in einem digitalen Workflow interdisziplinär mit vorhersagbaren Ergebnissen behandeln. Eine vollständige Umsetzung virtueller Setups ist aufgrund der individuellen biologischen Reaktion nicht immer zu erreichen. Gerade bei ausgeprägten Torque-/Intrusionsbewegungen der Front muss gegenüber den Risiken von Wurzelresorptionen abgewägt werden. Eine langfristige Retention, auch nach der Rekonstruktion, ist unbedingt einzuhalten.
In dem hier beschriebenen Fall konnte mithilfe kieferorthopädischer Vorbehandlung die Frontzahnstellung soweit optimiert werden, dass darauf verzichtet werden konnte, den Biss zu heben, um im Frontzahnbereich Platz zu gewinnen. Bei partiellen, meist anterioren Substanzverlusten sollten solche Verfahren mit dem Patienten diskutiert werden, da so Restaurationen aller Zähne in zumindest einem Kiefer vermieden werden können. Insbesondere in diesem Fall war für eine optimale Restauration der Frontzähne eine Zahnstellungskorrektur obligatorisch. Aber auch bei anterioren Abrasionen und eugnather Zahnstellung lässt sich durch Eingliederung palatinaler Plateaus (Dahl-Prinzip) innerhalb kurzer Zeiträume Platz für ästhetisch-adäquate Restaurationen schaffen9.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Karl-Friedrich Krey, Greifswald, ZTM Klaus Hensel und Birgit Stuwe, Richtenberg, und Prof. Dr. Olaf Bernhardt, Greifswald
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de