Es kommt immer mal vor, dass einer Hilfsorganisation das komplette Praxisinventar im Rahmen einer Spende übereignet wird. Dafür gibt es viele Anlässe, sei es, dass sich zwei Praxen zusammengeschlossen haben, oder etwa, dass der Neubesitzer eines Hauses merkt, dass das alte Praxisinventar einfach zurückgelassen wurde. Dass jedoch ein Anruf mit der Frage kommt, ob man nicht die komplette Inneneinrichtung einer Klinik haben möchte, gehört zweifelsfrei nicht zu den alltäglichen Ereignissen.
Doch genau so ging es der Hilfsorganisation DIANO (Dental International Aid Networking Organisation). Eine Kurklinik, die bereits vor Jahren geschlossen wurde, dann für einen Umbau vorgesehen war, was schließlich an der Corona-Epidemie scheiterte, soll jetzt entkernt werden – und dem stand das Mobiliar sichtlich im Weg. Die Zeit drängte, bis Weihnachten muss das Haus leer stehen, bevor es ein Investor übernimmt.
Alte Klinik als „Lost Place“
Zudem wurde das noch nicht sehr alte Gebäude immer mehr zum Ziel von zerstörungswütigen Zeitgenossen, die im Schlepptau von Lost-Places-Suchern und Geo-Cachern – für die die Klinik ein wahres Juwel in ihren Real-Live-Spielen war – ihr nächtliches Spiel treiben. Es kursieren gruslige Geschichten über nächtliche Defilees von Untoten, an denen selbstredend nichts dran ist. Nur die Spuren der Einbrüche, die man am nächsten Morgen zu sehen bekommt, sind real! Wenn man die Stories kennt und so durch die unbeleuchteten, modrig riechenden Keller läuft, kann man sich einem gewissen Schauer nicht entziehen …
Doch was macht man mit so einem doch etwas umfangreicheren Angebot? Der erste Gedanke ist, dass so eine Aufgabe von keiner zahnärztlichen Hilfsorganisation gestemmt werden kann. Es fehlt an technischem Gerät, Erfahrung und letztlich auch an bauerfahrener Manpower. Ganz zu schweigen vom Bedarf: Wozu brauchen Zahnmediziner die Ausstattung für ein Kreiskrankenhaus mit knapp 200 Betten?
Abgesagt wäre schnell, doch dafür war die Aufgabe zu sportlich. Also wurden die Netzwerke aktiviert, und die glühten wahrlich ab der ersten Minute. Kommentar einer erfahrenen Katastrophenhelferin aus NRW: „Wenn du das siehst, fällst du tot um!“
Enge Vernetzung der Hilfsorganisationen
Die fachübergreifende Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen hat gerade in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt bedingt durch Katalysator Corona, einen enormen Entwicklungsschub bekommen. Die Naturkatastrophe im Ahrtal und in Nachbarregionen hat ebenfalls geradezu nach neuen Strukturen gerufen. Es hat keine 24 Stunden gedauert, bis über das Netzwerk ziviler Krisenstab Bedarf angemeldet wurde. Die Anfrage kam aus der Ukraine: Ohne großen öffentlichen Wirbel hat sich seit Kriegsbeginn eine enge Zusammenarbeit entwickelt, die dafür sorgt, dass jede Woche 100 Tonnen Material in das kriegsgeschüttelte Land gefahren werden.
Zehn LKW-Züge nach Lemberg
Auch wenn die Klinik bereits ausgeschlachtet war, zehn LKW-Züge konnten gefüllt bis unters Dach den Weg nach Lemberg antreten. Ein gutes Dutzend Helfer machte sich daran, das komplette Inventar der Patientenzimmer, Schränke, Waschbecken, Tische, Großküche, Cafeteria und vieles mehr auf Paletten zu packen und zu verladen. Das meiste davon wäre wohl komplett in der Entsorgung gelandet. So kann vielen Familien, die ihr komplettes Habe verloren haben, geholfen werden. Eines ist sicher: Ohne Gabelstapler oder in diesem Fall Frontlader wäre die Aufgabe nicht zu bewältigen gewesen. Es klingt banal, aber bei jeder Abbauaktion lernt man die Vorzüge dieser Erfindung von neuem zu schätzen!
Großer logistischer Aufwand
Für die Helfer ist es immer wieder spannend zu sehen, welch enormer logistischer Aufwand hinter solch einer Aktion steht und welche Prozesse dabei ablaufen: Für gebrauchte Klinikeinrichtungen gibt es praktisch keinen Markt. Klinikneubauten werden kaum mit 20 Jahre alten Möbeln ausgestattet. Dementsprechend wird die komplette Ausstattung normalerweise dem ebenfalls aufwendigen Entsorgungsprozess zugeführt. Gleichzeitig ist es in Zeiten von Materialknappheit ein großes Problem, Wohnungseinrichtungen in dem Umfang, der in der Ukraine gebraucht wird, zu bekommen.
Kleiner Teil der Ausstattung geht nach Haiti
Ein kleiner Teil der Klinikausstattung wird eine noch längere Reise antreten: Untersuchungsräume und Teile des OPs werden in einen Container verladen und nach Haiti verschifft. In diesem Land ist die Lage vor Ort noch schlimmer geworden. Es war vorher schon wenig vorhanden, und das bisschen Einrichtung, das zur Verfügung stand, wird gerade in einem Bürgerkrieg vernichtet!
Ganz neue Erfahrung für Helfer aus dem Dentalbereich
Für die Helfer aus dem Dentalbereich war es auf jeden Fall eine ganz neue Erfahrung, die weit über den branchenüblichen Tellerrand hinausgeht Der körperliche Einsatz ersetzt viele Stunden Muskelaufbautraining (auch wenn die Fitness-Studios dies anders sehen dürften). Das Gefühl jedoch, Teil eines großen Ganzen zu sein, das wiederum aus vielen lokalen Initiativen besteht, und das bestrebt ist, die Welt ein bisschen besser und vor allem menschlicher zu machen, ist für so manchen der Ansporn, Projekte dieser Art zu unterstützen.
Tobias Bauer, Singen