Das Interstitium hat in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen gesorgt. Eine neue anatomische Struktur wollen US-Forscher gefunden haben, die zudem größer als die Haut ist. Sogar vom neuen größten Organ im Körper war die Rede
Ganz unbekannt war das Interstitium nicht. Bisher gingen Forscher jedoch davon aus, dass es sich dabei um dichtes Gewebe handele, nicht um Hohlräume, die – ähnlich einem Gefäßsystem – Flüssigkeiten und Proteine durch den Körper transportieren könnten. Die neu entdeckte anatomische Struktur beschreibt das Team um Petros C. Benias von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in den Scientific Reports der Zeitschrift Nature.
Das Interstitium ist ein Zwischengewebe, das unter der Haut liegt, aber auch Lunge, Verdauungstrakt und Harnwege auskleidet. Es könne bei Krebsmetastasen, Ödemen, bei Fibrose und mechanischen Funktionen vieler oder sogar aller Gewebe und Organe von Bedeutung sein, heißt es in der Publikation.
Grenzschicht mit vielen Funktionen
„Die Entdeckung ist sicherlich wichtig, aber es handelt sich nicht um ein neues Organ“, stellte Christian Trautwein von der Uniklinik RWTH Aachen gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt klar. „Das Interstitium ist eine Grenzschicht an der Oberfläche vieler Organe und anderer Körperbereiche, die für Elastizität sorgt.“ Der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) vermutet, dass das Netz nicht nur als mechanischer Puffer dient, sondern auch eine Abwehrfunktion hat und Stoffe durch den Körper transportiert.
Von einer „Art Tunnelsystem“, das zusätzlich neben Blut- und Lymphgefäßen das Bindegewebe durchzieht, spricht Michael Zeißberg, Direktor der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie an der Universität Gießen beim Deutschlandfunk Kultur.
Die Hohlräume waren Forschern bisher unentdeckt geblieben, weil die chemische Fixierung von Gewebeproben zwar Zellelemente und Strukturen bewahrt, ihnen aber viel Flüssigkeit entzieht, sodass das Netzwerk kollabiert. Daher gingen Forscher bisher davon aus, dass es sich um dichtes Gewebe handele.
Die Autoren der Studie nutzten für ihre Analysen jetzt das Gewebe von 13 Patienten, bei denen eine Gallenblasen-OP durchgeführt wurde. Kurz vor der Entfernung des Gallenbaums wurde Fluorescin in das Gewebe injiziert, die Gewebeproben dann mit einem schonenden Verfahren so tiefgefroren, dass die Strukturen erhalten blieben.
Petros C. Benias, Rebecca G. Wells, Bridget Sackey-Aboagye, Heather Klavan, Jason Reidy, Darren Buonocore, Markus Miranda, Susan Kornacki, Michael Wayne, David L. Carr-Locke & Neil D. Theise. Structure and Distribution of an Unrecognized Interstitium in Human Tissues, Scientific Reports Volume 8, Article number: 4947 (2018), doi:10.1038/s41598-018-23062-6
Titelbild: Screenshot Nature.com, Scientific Reports