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DOI: 10.3290/m.2024.oralemedizin, 24 pages
Language: German
Categories: General Dentistry, Human Medicine
QP Deutschland
Spätestens die beginnende COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 wirkte wie ein Inkubator für ein neues Verständnis einer zahnmedizinischen und immunologischen Systemkompetenz, die sich in der Begrifflichkeit einer Oralen Medizin verstärkt spiegelt und damit auch ihre Systemrelevanz in unserem Gesundheitswesen zum Ausdruck bringt. Das orale System, belegt durch viele klinische Studien, ist eine wichtige Verteidigungslinie für unser gesamtes Immunsystem. Hinzu kommt eine Dynamik in unserem Praxisalltag, die von Prof. Frankenberger mit folgendem Zitat während seiner DGZMK Präsidentschaft in 2020 charakterisiert wurde: „In dieser Dekade wird sich in der Zahnmedizin mehr verändern, als in den 30 Jahren zuvor“.
Daher erschien für die Unterzeichnenden dieses Vorwortes jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, dieses Impulspapier Orale Medizin zu initiieren, um eine Diskussion im Berufsstand zur Zukunft der Zahnmedizin auf dem Weg zur Oralmedizin anzustoßen. Dabei sollen die verschiedenen Aspekte zu dieser Thematik von Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Berufspolitik und Praxis mit ihrer jeweiligen Expertise beleuchtet werden, ergänzt mit dem Prolog zur Genese und den Stationen unserer Berufsbezeichnungen seit dem 19. Jahrhundert.
Es ist nicht nur der demographische Wandel mit der Folge einer älter werdenden Gesellschaft und einer damit verbundenen Multimorbidität und Multimedikation unserer Patientinnen und Paienten, die eine erhöhte Sensibilisierung für ein interdisziplinäres oral medizinisches Verständnis fordert, sondern auch die klinisch wissenschaftliche Erkenntnis, dass rund 15% aller ca. 8.000 Seltener Erkrankungen sich im oralen System manifestieren. Hinzu kommt die Bedeutung des oralen Mikrobioms für lokale, systemische und Autoimmun-Erkrankungen mit den komplexen Wechselwirkungen zellulärer Prozesse. Ohne die erste Verteidigungslinie der oralen Immunabwehr von potenziellen Krankheitserregern und kommensalen Mikroorganismen wäre das systemische Immunsystem vollkommen überfordert.
Somit wird für die Zahnmedizin mit ihren vielfältigen Versorgungskonzepten im Spektrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in der Zukunft die Prävention und die Frühdiagnostik von lokalen und auch systemischen Erkrankungen eine besondere Bedeutung erhalten. Natürlich immer im engen Dialog mit den anderen medizinischen Fachdisziplinen.
Die Entwicklungen zur digitalen Praxis unter Einbeziehung der assistierenden KI-Systeme in der Diagnostik und der Erstellung von Therapiekonzepten, die Gendermedizin und eine individualisierte und personalisierte orale Medizin sowie die fortschreitende Feminisierung unseres Berufsbildes sind dabei die Trends die unser Praxisbild von Morgen wesentlich ändern werden. Dies erfordert nicht nur eine Anpassung der Curricula in der universitären Ausbildung mit der entsprechend erforderlichen personellen und finanziellen Ausstattung auch in der Grundlagen- und klinischen Forschung, sondern gleichermaßen die Notwendigkeit einer postgradualen interdisziplinären und ergänzenden Qualifikation durch entsprechende Fortbildungskonzepte.
Auch die primäre, sekundäre und tertiäre Prävention mit ihren klinischen Protokollen darf nicht nur im Verständnis einer PZR und UPT gesehen werden, sondern sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Erhaltungstherapie aller Versorgungsarten und ein elementarer Beitrag neben der Pathogenese auch die Salutogenese in den Fokus unseres oral medizinischen Verständnisses und Handelns zu stellen.
Dies setzt aber auch ein Weckruf an die Gesundheitspolitik voraus, dass endlich neben der kurativen Medizin auch die präventive Medizin sich nicht nur in den „Sonntagsreden“ spiegelt, sondern auch ein Umdenken gesundheitspolitischer Maßnahmen erfordert, denn in der präventiven Frühdiagnostik für lokale, systemische, Autoimmun- und Organerkrankungen liegt ein großes Potential, die hohen Folgekosten von Erkrankungen, die unser Gesundheitssystem finanziell erheblich belasten, deutlich zu reduzieren.
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“ – mit diesem Zitat von Molière wird am besten charakterisiert, weshalb die Definition der Zahnmedizin auf dem Weg zur Oralen Medizin in Wissenschaft, Lehre, Klinik und Praxis erweitert werden sollte, um damit auch die Bedeutung des oralen Systems für die Allgemeingesundheit der Patientinnen und Patienten zum Ausdruck zu bringen.
Die Schlussfolgerung daraus ist, dass unser bestehendes zahnmedizinische Behandlungsspektrum der ZMK in unserem täglichen Engagement zum Wohle der Patientinnen und Patienten sich in der klinischen Kompetenz und Verantwortung in Diagnostik und Therapie immer mehr interdisziplinär ausrichten wird.
Eine Neudefinition der Zahnmedizin würde somit wie folgt lauten: „Wir befinden uns in einer historischen Phase des Wandels der Zahnmedizin, von einem mechanistisch funktionalen und kurativen Weltbild hin zu einer Oralmedizin, die die biologischen Zusammenhänge zwischen lokaler und systemischer Gesundheit mit ihren Wechselbeziehungen zum Gesamtorganismus in den Fokus stellt. Diese Betrachtungsweise des oralen Systems als wichtige Verteidigungslinie unseres Immunsystems bezieht die zahnmedizinische Prävention, die Diagnostik und die Therapie von Erkrankungen orofazialer Strukturen und oraler Manifestationen von lokalen und systemischen Erkrankungen mit ein.“
Abschließend möchten wir den Autoreninnen und Autoren für die Bereitschaft und ihr Engagement recht herzlich danken ihre Expertisen in den jeweiligen Beiträgen einzubringen. Wir hoffen damit einen fachlichen Diskurs zu dieser Bewegung Orale Medizin für ein neues Professionsverständnis zu initiieren.
Die Initiatoren
Dr. Michael Frank (Past-Präsident LZKH, Past-President ERO/FDI)
Prof. Dr. Roland Frankenberger (Past-Präsident der DGZMK, Vorsitzender Task Force „Zahnmedizinstudium der Zukunft“ im MFT)
Dr. Alexander Ammann (Geschäftsführer bis 2020 Quintessence Publishing)
Inhalt
Vorwort: Dr. med. dent. Michael Frank (Past-Präsident LZKH, Past-President ERO/FDI), Prof. Dr. med. dent. Roland Frankenberger (Past-Präsident der DGZMK), Dr. rer. biol. hum., Dipl. Wirt. Ing. Alexander Ammann (Geschäftsführer bis 2020, Quintessence Publishing)
Prolog – Orale Medizin? Eine Einordnung aus historisch-ethischer Sicht: Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß (Direktor Institut für Geschichte, Theorie und Ethik UK Aachen, Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees des UK Aachen, Vorsitzender des AK Ethik der DGZMK)
Orale Medizin – aus Sicht der Universität: Prof. Dr. med. dent. Roland Frankenberger (Direktor Poliklinik Zahnerhaltung Philipps-Universität Marburg, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), Vorsitzender Task Force „Zahnmedizinstudium der Zukunft“ im Medizinischer Fakultätentag (MFT)) und Prof. Dr. med. dent. Diana Wolff (Ärztliche Direktorin Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Präsidentin der Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK))
Orale Medizin – aus Sicht der Wissenschaft: Prof. Dr. med. dent. Henrik Dommisch (Direktor Abt. für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie Charité – Universitätsmedizin Berlin, Präsident Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO))
Orale Medizin – aus Sicht der Gesundheitspolitik: ZA Martin Hendges (Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV))
Orale Medizin – aus Sicht der Berufspolitik: Prof. Dr. med. dent. Christoph Benz (Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK))
Orale Medizin – aus Sicht der Demographie: Dr. med. Dr. med. dent. Markus Tröltzsch (Familienpraxis Zentrum für ZMK, Ansbach, Vorsitzender Akademie Praxis und Wissenschaften (APW))
Orale Medizin – aus Sicht der Professionsforschung: Dr. med. dent. Nele Wicking, MSc. (Wissenschaftliche Referentin, Forschungsbereich Zahnärztliche Professionsforschung am Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), Trägerschaft der BZÄK und KZBV))
Epilog – Orale Medizin – Die Zukunft der Zahnmedizin: Dr. Michael Frank, Prof. Dr. Roland Frankenberger, Dr. Alexander Ammann