Alter | 65 Jahre | ||
Geschlecht | männlich | ||
Raucher | nein | ||
Anamnese | Allgemeinmedizinisch gesund | ||
Grund des Besuchs | Unzufriedenheit mit der Funktion und Ästhetik der locatorgetragenen Unterkieferprothese | ||
Diagnose | Vermehrt abhebelnde Kräfte und folglich schlechterer Halt aufgrund der großen Vertikaldimension der Unterkieferprothese | ||
Therapie | Individuelle Steggestaltung im Unterkiefer mittels digitaler CAD/CAM-Technologie |
Bei der locatorgetragenen Unterkieferprothese handelte es sich ursprünglich um eine teleskopgetragene Prothese, die nach dem Verlust aller natürlichen Pfeiler durch Insertion von drei interforaminären Implantaten in eine Locatorprothese umgearbeitet worden war. Der Patient wünschte sich einen aus ästhetischer und funktioneller Sicht hochwertigen Zahnersatz ohne weitere chirurgische Maßnahmen. Aufgrund der günstigen vertikalen Dimension und des hohen Tragekomforts entschieden sich Behandlerteam und Patient für einen implantatgestützten Steg im Unterkiefer. Angesichts der ermittelten Implantatachsen empfahl sich ein CAD/CAM-gefräster, abgewinkelt auf drei Implantaten verschraubbarer Steg. Der Oberkiefer sollte im vorliegenden Fall nur durch eine neue Oberkiefer-Totalprothese versorgt werden.
Für den späteren spannungsfreien Sitz des Steges war die exakte Abformung der Situation entscheidend. Hierfür kombinierte der Behandler die geschlossene und die offene Abformung. Dadurch können – auch bei stark divergierenden Implantatachsen – die Implantatpositionen exakter auf das Modell übertragen werden. Zunächst wurde die Mundsituation im Unterkiefermit einem Konfektionsabformlöffel geschlossen, also „gesnapt“ abgeformt. Anhand dieser Situation stellte das zahntechnische Labor ein Implantat-Primärmodell her, auf dem ein individueller Löffel für die offene Implantatabformung angefertigt wurde.
Des Weiteren wurden die späteren Abformpfosten auf dem Modell mittels Modellierkunststoff verblockt und im Anschluss mit einer feinen Trennscheibe getrennt. Für die Sekundärabformung im Unterkiefer wurden die Trennstellen nach Eingliederung der Abformpfosten in den Patientenmund intraoral erneut verblockt. Die Trennstellen zwischen den einzelnen Segmenten sollten grundsätzlich sehr schmal gestaltet sein, um Ungenauigkeiten durch auftretende Polymerisationsschrumpfungen zu vermeiden.
Anschließend wurden mittels eines individuellen Abformlöffels und Präzisionsabformmasse die exakte Position der Implantate sowie die anatomischen Gegebenheiten im Unterkiefer abgeformt. Im Oberkiefer nahm der Behandler eine klassische Funktionsabformung vor.
Das zahntechnische Labor fertigte Modelle aus Superhartgips, auf denen Bissschablonen angefertigt werden konnten. Um diese lagestabil auf dem Modell bzw. im Patientenmund zu verschrauben, wurden die vorhandenen drei Implantate im Unterkiefer genutzt. Dies gewährleistete eine exakte Übertragung der Situation vom Mund in den Artikulator. Bei stark divergierenden Implantaten ist es allerdings oft nicht möglich, alle Implantate für die Fixierung der Schablone zu verwenden. Die Bissschablone im Oberkiefer wurde nach dem klassischen Verfahren hergestellt.
Auf Basis vorliegender Jugendfotos, der bestimmten Kieferrelation und der Zahnfarbe fertigte das Dentallabor eine Wachsaufstellung an. Auch hier wurden gekürzte Abformpfosten in die Schablone einpolymerisiert, mit deren Hilfe die Unterkieferwachsaufstellung in den Patientenmund verschraubt werden konnte. Während der Wachseinprobe überprüfte der Behandler die statische und dynamische Okklusion, das ästhetische Erscheinungsbild und die Phonetik. Im Oberkiefer wurde bei einer weiteren Wachseinprobe zudem das prothetische Weichgewebe im Frontzahnbereich verstärkt. Feinheiten wie eine zarte Stippelung, leichte Alveolarhügel oder der Gingivasaum wirkten sehr natürlich.
Für die Herstellung des Steges scannte der Zahntechniker das Meistermodell und die vorher am Patienten getestete Wachsaufstellung mit Hilfe von Scankörpern ein. Anschließend konstruierte er digital den Primärsteg. Beim verwendeten System können die Schraubenöffnungen für die Implantatschrauben durch Angulierung so gewählt werden, dass diese den Steg exakt auf der okklusalen Fläche durchdringen. Dabei ist ein Abwinkeln von bis zu 20 Grad möglich. Eine okklusale Schraubenöffnung wirkt sich positiv auf die Stabilität des Steges aus. Der Anwender kann zwischen verschiedenen Stegprofilen (rechteckig, rechteckig mit abgerundeten Kanten, Dolder, Hader, konisch, rund etc.) und Geschiebearten wählen. Im vorliegenden Fall wurde eine Co-Cr-Legierung zur Herstellung des Steges gewählt.
Nach der CAD-Konstruktion des Primärsteges wurde der Datensatz online an das Fertigungszentrum versendet. Gleichzeitig schickte das Labor das Meistermodell an das Zentrum, so dass die Implantatpositionen exakt erfasst werden konnten. Im Rahmen der Stegeinprobe achtete der Behandler auf eine einwandfreie Hygienefähigkeit und einen spannungsfreien Sitz des Steges. Dabei wurde die Hygienefähigkeit mittels Zahnseide und Interdentalbürstchen überprüft.
Vor der Herstellung der Tertiärstruktur wurden unter sich gehende Bereiche an der cara I-Bar mit Modellierwachs ausgeblockt. Anschließend wurde der Steg mit abdampfbarem Spacer dreimal dünn beschickt. Des Weiteren mussten die Retentionselemente Preci-Vertix und Preci-Horix vor dem Dublieren auf die Stegkonstruktion aufgesteckt werden. Nach der Dublierung konnte ein Einbettmassemodell mit zwei verschiedenen Konzentrationen der Einbettmasseflüssigkeit hergestellt werden. Im Rahmen der sogenannten Kerneinbettungstechnik nutzte das Labor eine Konzentration von 140 % für die Stegbereiche und von 80 % für das restliche Einbettmassemodell. Durch dieses Vorgehen reduzierte sich die Aufpassarbeit nach dem Guss auf das Gummieren und Polieren der Sekundärsteg-Innenflächen. Im Anschluss modellierte der Zahntechniker die Tertiärstruktur in Wachs und überführte sie per Gussverfahren in Kobalt-Chrom-Molybdän. Nach Aufpassen, Ausarbeiten und Glanzbadbehandlung wurden die friktiven Geschiebeelemente Preci-Vertix und Preci-Horix mit einem speziellen Einbringinstrument in die vorgesehenen Aussparungen des Sekundärsteges eingedrückt. Ein Test der cara I-Bar und der Tertiärstruktur zusammen mit den Retentionselementen im Patientenmund auf Passung ergab, dass sie eine mehr als ausreichende Haltekraft aufwiesen.
Die Modelle mit der fertigen Wachsmodellation wurden in Küvetten eingebettet. Nach deren Ausbrühen wurde die Tertiärstruktur angestrahlt (110 μm Al2O3, 3 bar) und mehrmals abgedeckt.
Um eine Schlierenbildung des Opakers während des Pressvorgangs zu vermeiden, erfolgte ein vorsichtiges Abwischen der Inhibitionsschicht mit Monomerflüssigkeit.
Nach dem Ausbetten wurden durch den Zahntechniker die Frühkontakte der Prothese im Artikulator eingeschliffen und die Prothesen ausgearbeitet.
Zur Eingliederung des neuen Zahnersatzes erfolgte eine Verschraubung des CAD/CAM-gefrästen Steges mit 30 N/cm auf den Implantaten.
Die Schraubenkanäle wurden mit Teflonband sowie fließfähigem Komposit verschlossen.
Anschließend wurde ein Abschlussröntgenbild zur Passungskontrolle des Steges angefertigt.
Danach gliederte der Behandler die fertige Arbeit ein. Die Möglichkeit des Austausches der Retentionselemente gestattet es, die Retentionskraft der Prothese optimal auf den Patientenwunsch einzustellen.
Zusammenfassung | Im vorliegenden Praxisfall konnten mit der neuen, implantatgetragenen Stegversorgung die Anforderungen des Patienten an den neuen Zahnersatz unter Beachtung der Biomechanik erfüllt werden. Die Hauptproblematik bestand hierbei in der extrem hohen vertikalen Dimension und der daraus resultierenden Hebelwirkung auf die Locatoren. Dies und die stark divergierenden Achsen der Implantate führten dazu, dass die Locatoren keinen zufriedenstellenden Halt aufwiesen. Hier zeigten sich die Vorteile der individuellen Steggestaltung mittels digitaler Technik: Die verteilten Hebelkräfte wirken nun über eine größere Fläche, der Primärsteg sitzt absolut spannungsfrei, und die Retentionsmöglichkeiten sind gestiegen. (Quelle Originalbeitrag: Hummel M, Meinen J, Ebersberger-Madlener B, Liebermann A. Abgewinkelt verschraubbare CAD/CAM-Stegversorgung. Ein Fallbericht. Quintessenz 2016;67(11):1319-1331.) |