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Eine Brückenversorgung mit rotierender Einschubrichtung ist eine interessante Therapieoption, um eine inva­sivere Zahnpräparation zu umgehen

Retentions- und Widerstandsform des Prämolaren.

Bei Einzelzahnlücken, deren Nachbarzähne bereits überkront sind oder einer Überkronung bedürfen, stellt die konventionelle Brückenversorgung nach wie vor die Standardtherapie dar. Wenn divergierende Pfeilerzahnachsen vorliegen, muss oft eine recht invasive Zahnpräparation erfolgen, um eine gemeinsame Einschubrichtung zu erzielen. Diese Präparation kann die Pfeilerzähne substanziell schwächen und die Gefahr einer irreversiblen Pulpaschädigung erhöhen. In ausgewählten Fällen, in denen die Zahnachsen in bukkolingualer Richtung divergieren, ist es möglich, das Problem mit einem rotierenden Einschub des Zahnersatzes zu lösen. Dieses neue Konzept wird in dem Beitrag von PD Dr. Nicole Passia, Malte Schmidt und Prof. Dr. Matthias Kern für die Quintessenz Zahnmedizin 6/20 anhand eines klinischen Falls detailliert beschrieben.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Bei Einzelzahnlücken, deren Nachbarzähne bereits überkront sind oder einer Überkronung bedürfen, ist die konventionelle Brückenversorgung in Deutschland nach wie vor die Standardtherapie und wird von den gesetzlichen Krankenkassen als Regelversorgung bezuschusst. Wenn divergierende Pfeilerzahnachsen vorliegen, muss häufig eine invasive Zahnpräparation erfolgen, um eine gemeinsame Einschubrichtung für den Zahnersatz zu schaffen. Das kann zu einer deutlichen Schwächung der Pfeilerzähne führen, das Risiko pulpaler Probleme erhöhen und unter Umständen eine endodontische Behandlung erforderlich machen7. Traditionell lernen Studierende der Zahnmedizin, dass zur Schaffung einer gemeinsamen Einschubrichtung eine Wurzelkanalbehandlung an einem Brückenpfeiler notwendig sein kann3,11. Eine kieferorthopädische Pfeilerzahnausrichtung5 stellt eine Alternative dar, die aber häufig als unangenehm empfunden wird und zudem sowohl kostenintensiv als auch zeitaufwendig ist.

Allerdings muss bei in bukkolingualer Richtung divergierenden Pfeilerzahnachsen oft gar keine vollkommen parallele Zahnpräparation zur Eingliederung einer Brücke erfolgen. Denn bei einer Pfeilerzahndivergenz in bukkolingualer Richtung kann eine Brückenversorgung mittels einer Rotationsbewegung in ihre Endposition gebracht und somit auf einen streng linear-vertikalen Einschub verzichtet werden2. Dieses Konzept wurde erstmals von Boer und Boer2 2016 auf der 40. Jahrestagung der European Prosthodontic Association in Form eines Posters vorgestellt. Die Autoren nannten die Versorgung Helix­brücke. Das Eingliedern einer solchen Brücke ist bei Unterschnitten zwischen den Pfeilerzähnen in bukkolingualer Richtung durch Kombination einer Translations- und Rotationsbewegung beim Ein­set­zen der Restauration möglich2. Nachfolgend wird dieses Konzept anhand eines klinischen Falls beschrieben. Hierbei wurde eine vollkeramische Brücke auf Pfeilerzähnen, die in bukkolingualer Richtung divergierende Stumpfachsen aufwiesen, mittels Ro­tationsbewegung in ihre Endposition eingebracht.

Klinischer Fall

Eine 66 Jahre alte Patientin stellte sich zur zahnärztlichen Behandlung im Studierendenkurs der Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, vor. Anamnestisch gab sie als allgemeinmedizinische Erkrankung einen Bluthochdruck und eine entsprechende Medikation an. Der erste Molar im rechten Unterkiefer war aufgrund einer persistierenden chronischen apikalen Parodontitis nach vorheriger Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzenresektion nicht erhaltungswürdig.

 

Abb. 1 Diagnostisches Modell der Ausgangssituation.  Der erste Molar im rechten Unterkiefer ist nicht erhaltungs­würdig. Die Zahnachsen der Nachbarzähne weisen in bukkolingualer Richtung eine starke Divergenz auf.
Abb. 1 Diagnostisches Modell der Ausgangssituation. Der erste Molar im rechten Unterkiefer ist nicht erhaltungs­würdig. Die Zahnachsen der Nachbarzähne weisen in bukkolingualer Richtung eine starke Divergenz auf.

Die Patientin wurde über alle Therapieoptionen einschließlich Implantat- und abnehmbarer prothetischer Versorgung aufgeklärt. Sie wünschte einen fest­sitzenden Zahnersatz und entschied sich wegen der geringeren Kosten im Vergleich zu einer Implantatversorgung für eine Brücke. Beide Pfeilerzähne (zweiter Prämolar und zweiter Molar) wiesen bereits suffiziente Restaurationen in Form einer ausgedehnten Füllung und einer Teilkrone auf. Im Rahmen der Befunderhebung imponierten die divergierenden Zahnachsen der Pfeilerzähne in bukkolingualer Richtung. Eine Modellanalyse (Abb. 1) ließ die Gefahr einer Pulpaschädigung und einer eventuell erforderlichen Wurzelkanalbehandlung an einem der Pfeilerzähne bei konventioneller paralleler Pfeilerzahnpräparation erkennen. Um diese Gefahr zu minimieren, wurde eine Brückenversorgung mit rotierendem Ein­schub zum Ersatz des ersten Molaren geplant. Dabei kam die sogenannte Immediate-Pontic-Technik zum Einsatz1,6,10.

Die Pfeilerzahnpräparation erfolgte in Lokalanästhesie. Hierbei wurden die beiden Zähne in bukkolingualer Richtung ihrer Zahnachse folgend präpariert, wodurch sich eine Divergenz der beiden Zahnstumpfachsen in bukkolingualer Richtung ergab. In mesiodistaler Richtung waren natürlich keine Di­vergenzen zulässig. Im Anschluss an die Pfeilerzahnpräparation erfolgte die schonende Entfernung des nicht erhaltungswürdigen ersten Molaren. Das Brückenprovisorium wurde aus autopolymerisierendem Kompositkunststoff (Luxatemp, DMG) angefertigt und unmittelbar nach der Zahnextraktion zur Stabilisierung des Weichgewebes und des Blutkoagulums eingesetzt. Dies konnte nicht in vertikal-linearer Einschubrichtung erfolgen, sondern das Pro­visorium musste in seine Endposition rotiert werden. Mit ihm ließ sich testen, ob ein rotierender Einschub auch bei der definitiven Brücke möglich sein würde.

Nach abgeschlossener Wundheilung konnten die Pfeilerzähne final nachpräpariert (Abb. 2) und mittels Polyätherabformmasse (Permadyne, 3M Oral Care) abgeformt werden. Die Abformung wurde mit Typ-IV-Gips (hydro-base 300, Dentona) ausgegossen. Das Meistermodell und das Situationsmodell des Gegenkiefers wurden mittels des Laborscanners D900 (3Shape Germany) eingescannt (Abb. 3). Das digitale Brückendesign erfolgte mithilfe der 3Shape-Planungssoftware Dental Designer. Beim digitalen Design der Brücke ergaben sich in der Planungssoftware Probleme aufgrund der Unterschnitte, die durch die in bukkolingualer Richtung divergierenden Stumpfachsen bedingt waren. Hierbei musste die Fräserradiuskorrektur deaktiviert werden (Abb. 4a und b), um ein funktionelles Brückendesign zu erstellen (Abb. 5a). Die Brücke wurde in einer Fräseinheit (Zenotec select hybrid,  Wieland Dental) aus einer hochfesten monolithischen Multilayer-Zirkon­oxidkeramik (Katana Zirconia ML, Kuraray Europe) gefräst. Im Anschluss musste die Fräserradiuskorrektur manuell durchgeführt werden, um eine optimale Passung der Brücke zu gewährleisten. Die Brücke wurde danach poliert, farblich charakterisiert und glasiert (IPS e.max Ceram Glaze Spray und IPS e.max Ceram Essence, Ivoclar Viva­dent) (Abb. 5b).

Die Retentions- und Widerstandsform der Brücken­anker wurde einzeln auf den beiden Modellstümpfen überprüft8 (Abb. 6a und b). Wie bereits im Pro­visorium erkennbar, war ein linearer Einschub der Brücke weder auf dem Modell noch im Mund möglich. Die Brücke musste jeweils in ihre Endposition rotiert werden. Approximale Kontakte sowie Okklusion und Artikulation wurden überprüft. Nach Anfertigung eines Abschlussröntgenbildes (Abb. 7) konnte die Brücke definitiv mit einem Glasionomerzement (Ketac Cem, 3M Oral Care) eingesetzt werden. Vorher wurden die Innenflächen zunächst mit Aluminiumoxidpartikeln der Korngröße 50 µm bei einem Druck von 1 bar abgestrahlt, und anschließend wurde die Brücke im Ultraschallbad mit 99prozentigem Isopropanol gereinigt. Zwei Wochen später erfolgte eine Kontrolluntersuchung (Abb. 8a und b). Die Patientin war mit der Brückenversorgung sehr zufrieden.

Diskussion

Die Anfertigung von Brückenzahnersatz auf Pfeilerzähnen mit divergierenden Zahnachsen erfordert häufig eine sehr invasive Pfeilerzahnpräparation, um einen linearen Einschub zu ermöglichen. In diesen Fällen ist das Risiko einer Pulpaschädigung oder sogar einer versehentlichen Eröffnung des Pulpenkavums deutlich erhöht. Das generelle Problem von Unterschnitten aufgrund divergierender Pfeilerzahnachsen ist in der Literatur bekannt, und hierzu liegen verschiedene Lösungsansätze vor12. Über Jahrzehnte galt das Dogma, dass Brückenzahnersatz nur auf parallel präparierten Pfeilerzähnen eingegliedert werden könne. Boer und Boer2 konnten zeigen, dass die Anfertigung einer Brücke auf Pfeilerzähnen mit in bukkolingualer Richtung divergierenden Stumpfachsen möglich ist, wenn statt einer linearen Einschubrichtung eine Kombination aus Rotation und Translation gewählt wird. Dadurch kann auf eine parallele Pfeilerzahnpräparation in bukkolingualer Richtung verzichtet und die Zahnhartsubstanz geschont werden. In mesiodistaler Richtung ist nach wie vor eine parallele Zahnpräparation erforderlich.

Im vorliegenden Fall entschied sich die Patientin für eine Brücke zum Ersatz des nicht erhaltungs­würdigen ersten Molaren. Die beiden Pfeilerzähne hatten in bukkolingualer Richtung divergierende Zahnachsen, und eine konventionelle parallele Pfeiler­zahnpräparation hätte leicht zu pulpalen Beschwerden führen können. Laut einer systematischen Übersichtsarbeit liegt der kumulative 5-Jahres-Vitalitätsverlust von Pfeilerzähnen für Zirkonoxid­keramikbrücken bei 2,2 Prozent (95 Prozent-Konfidenzintervall: 0,5 bis 8,6 Prozent)9. Valderhaug et al.13 untersuchten über einen Zeitraum von 25 Jahren den periapikalen und klinischen Zustand überkronter Zähne. Bei vitalen Zähnen waren neben Karies pulpale Probleme mit 10 Prozent der Hauptgrund für den klinischen Misserfolg. Nach 25 Jahren lag die Wahrscheinlichkeit pulpaler Probleme an Pfeilerzähnen bei 17 Prozent. Auch in einer anderen klinischen Studie wurden endodontische Komplikationen bei Pfeilerzähnen von Kronen- und Brückenzahnersatz untersucht4. Die Autoren schlussfolgerten, dass die Vitalität von Pfeilerzähnen mit Einzelzahnkronen signifikant häufiger als die von Brückenpfeilerzähnen erhalten bleibt. Sie sahen den Hauptgrund hierfür darin, dass die Pfeilerzahn­präparation für Brücken invasiver sein muss, um eine gemeinsame Einschubrichtung zu finden.

Das höhere Risiko für pulpale Komplikationen von Brückenpfeilerzähnen ist offensichtlich auf die invasivere Zahnpräparation zur Erlangung einer gemeinsamen Einschubrichtung zurückzuführen. Eine Brücke mit einer Einschubrichtung, bei der eine Kombination aus Rotation und Translation gewählt wird, erlaubt eine Stumpfpräparation in bukkolingualer Richtung, die den anatomischen Zahnachsen folgt. Dadurch kann ein größerer Anteil gesunder Zahnhartsubstanz erhalten und das Risiko pulpaler Beschwerden reduziert werden. Eine Di­vergenz der Pfeilerzahnstümpfe in mesiodistaler Richtung hingegen ist bei Brücken nicht möglich, da die vorhandenen Nachbarzähne keine Rotation der Brücke in mesiodistaler Richtung zulassen würden.

Die zahntechnische Anfertigung dieses Zahn­ersatzes gestaltet sich etwas anspruchsvoller, da die Fräserradiuskorrektur im Anschluss an das Fräsen der Brücke manuell durchgeführt werden muss. Die verfügbare CAD/CAM-Software erlaubt es aktuell nicht, einen Zahnersatz mit einer rotierenden Einschubrichtung im Sinne einer Helixbrücke herzustellen.

Fazit

In Fällen mit divergierenden Pfeilerzahnachsen in bukkolingualer Richtung kann die Anfertigung einer Brücke mit rotierender Einschubrichtung eine valide Therapieoption sein, denn dadurch lässt sich eine inva­sivere Zahnpräparation mit entsprechenden Problemen umgehen.

Danksagung

Die Autoren danken dem Zahntechniker Reinhard Busch für seinen Enthusiasmus bei der Anfertigung der hier vorgestellten Brücke.

Hinweis

Eine englischsprachige Version dieses Beitrags ist unter dem Titel „Rotational path of insertion in fixed prosthodontics when abutment axes do not match: A case history report“ im „International Journal of Prosthodontics“ erschienen (Int J Prosthodont 2019: 32:444-447). Die deutsche Fassung wurde von den Autoren geringfügig modifiziert und um drei zusätzliche Abbildungen ergänzt.

Ein Beitrag von PD Dr. Nicole Passia, Malte Schmidt und Prof. Dr. Matthias Kern, alle Kiel

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 6/20 Prothetik