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Diskussion der Behandlungskonzepte und therapiespezifischen Details der jeweiligen Zentren einschließlich spezifischer regionaler Unterschiede

Patientenfall aus Greifswald: Ausgangsbefund aus dem Jahr 1996 (oben) einer 35-jährigen, sehr ängstlichen Patientin, die zum damaligen Zeit- punkt Nichtraucherin war und vor Therapiebeginn 28 Zähne hatte. 2018 – 22 Jahre nach der antiinfektiösen Therapie (nichtchirurgisch und chirurgisch) (Befund unten; vgl. auch Tab. 1) und damit nach einem 3-mal längeren Zeitraum als dem durchschnittlichen Beobachtungszeitraum aller aus GW eingeschlossenen Patienten – kommt die Patientin regel­mäßig 3- bis 4-mal im Jahr zur UPT.

Es wird kontrovers diskutiert, wie Ergebnisse aus universitären Parodontitistherapien für die zahn­ärztliche Versorgung zu verallgemeinern sind. Deshalb wurde im Rahmen einer multizentrischen retrospektiven Studie der Zahnverlust von Patienten untersucht, die an den vier deutschen Universitäts­zentren Kiel, Greifswald, Heidelberg und Frankfurt am Main eine systematische Par­odontitistherapie erhielten, um Spezifikationen einzelner Behandlungskonzepte besser zu verste­hen. Die Ergebnisse dieser Studien wurden von den Autoren um Prof. Christian Graetz im Rahmen einer dreiteiligen Artikelserie vorgestellt und diskutiert, veröffentlicht in der Parodontologie 2/2022, 3/2022 und 4/2022, Teil 1 auch bereits bei Quintessence News.

Es konnten 896 Patienten an vier Zentren zu Beginn, nach aktiver (APT) und unterstützender Parodontitistherapie (UPT) nachuntersucht werden. Trotz kohortenspezifischer Unterschiede, einschließlich der Länge des mittleren Nachbeobachtungszeitraums von 7–18 Jahren, fand sich für alle Zentren ein niedriger jährlicher Zahnverlust von ≤ 0,15 Zähnen pro Patient während einer konzeptbasiert durchgeführten UPT. Folgerichtig muss die UPT patienten­individualisiert und regelmäßig erfolgen, um langfristig die parodontale Stabilität aufrechtzuerhalten. Im Beitrag von PD Hari Petsos et al. sollen einige therapiespezifische Details der jeweiligen Zentren einschließlich spezifischer regionaler Unterschiede zum besseren Verständnis und ergänzend zur ursprünglichen wissenschaftlichen Publikation praxisnah diskutiert werden.

Originalpublikation: Petsos et al. „Systematische Parodontitistherapie im universitären Umfeld – Praxisrelevant oder nicht? – Teil 2. Behandlungskonzepte.“ (Quintessenz Zahnmedizin 2021;72:884–893)1. Der Beitrag wurde von den Autoren in Ergänzung zu Graetz C et al., J Dent 2020;94:103307 verfasst2.

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Behandlungskonzepte

Für die sich bereits im ersten Teil dieser Artikel­serie3 in ihrem Risikoprofil signifikant unterscheidenden Patientenkohorten (Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Diabetes mellitus, Ausgangsdia­gnose) wurde während der UPT nur eine sehr begrenzte mittlere Anzahl von Zähnen pro Patient (1,6 ± 2,5) extrahiert, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die Behandlung in allen Zentren einer Systematik mit aufeinander ab­gestimmten individuellen Maßnahmen folgte. Tabelle 1 kennzeichnet die markanten Eckpfeiler des jeweiligen Konzepts zum damaligen Behandlungszeitpunkt der nachuntersuchten Patienten in den vier Zentren Kiel (KI), Greifswald (GW), Heidelberg (HD) und Frankfurt am Main (F). Es muss betont werden, dass diese ehemals angewandten Konzepte in den einzelnen Zentren fortwährend an aktuelle Erkenntnisse angepasst wurden. Die Tabellen 2 bis 5 kennzeichnen die aktuellen Inhalte und Abfolgen der jeweiligen vier Zentren.

 Eine grundlegende Systematik in Form eines PAR-Ver­sorgungs­konzepts13 bestand bereits in der der­zeitigen GKV-Versorgung in Deutschland, die zuletzt strukturell an die internationale Systematik14angeglichen und als S3-Leitlinie publiziert wurde17. Wie den Tabellen 2 bis 5 zu entnehmen ist, beginnt eine systematische Parodontitistherapie entsprechend den aktuellen Empfehlungen der „European Federation of Periodontology“ (EFP) sowie der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) in allen Zentren immer mit einer Hy­gienephase (Therapiestufe 1), auf die eine nichtchirurgische Therapie (subgingivale Instru­mentierung, geschlossenes Vorgehen; Therapiestufe 2) folgt, die wiederum – falls erforderlich – durch eine chirurgische Therapie (Therapiestufe 3) ergänzt wird14,17. Für letzteren Therapieschritt finden sich im Detail Unterschiede zu Indikation und Umfang der Maßnahmen (Tabellen 2 bis 5), wobei anschließend an die APT in allen vier Zentren eine strukturierte UPT erfolgt18. Der Erfolg dieser Behandlungssystematik wurde durch die vorliegenden Ergebnisse für die Gesamtzahnverlustrate von bis zu 20 Jahren andauernder UPT bestätigt. Zahnverlustraten von zwischen 0,20–4,43 Zähnen pro Patient ähneln denen einer kürzlich durch­geführten Kohortenstudie über einen mittleren Beobachtungszeitraum von 24 Jahren, bei der die Patienten ebenfalls in einem universitären Umfeld systematisch behandelt wur­den19. Sicherlich, die aufgezeigten Zahnverlust­ra­ten zwischen den Zentren sind statisch signifikant, aber der ge­fundene Unterschied von 0,05 Zähnen pro Patient und Jahr scheint für die Behandlungsplanung sowohl aus Sicht des Klinikers als auch des Patienten vernachlässigbar.

Die Abbildungen 1 und 2 zeigen zwei Patientenfälle, die in den Zen­tren GW und F entsprechend den in Tabelle 1 dargelegten Behandlungskonzepten am jeweiligen Standort therapiert und mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 10 (F) bzw. 22 (GW) Jahren in die Studie eingeschlossen wurden.

Letztendlich stellt sich nicht die Frage, ob man eine Parodontitis behandeln sollte. Dennoch steht außer Frage, dass die individualisierten Behand­lungs­konzepte jedes Zentrums einen kleinen, aber womöglich signifikanten Einfluss auf die jährlichen Zahnverlustraten während der UPT hatten. Was ist also das beste Behandlungskonzept für unsere Patien­ten?

Die Autoren sind sich zunächst einmal sicher, dass sich die gezeigten Erfolge – ausgedrückt durch niedrige Zahnverlustraten – beim Befolgen eines systematischen Behandlungskonzeptes re­produzie­ren lassen. Geringfügige Abweichungen beispielsweise hinsicht­lich der Anteile der nicht­chirurgischen und chirurgischen Verfahren an der APT, des Re­evaluationszeitpunkts oder der Art und Weise der risikoadaptierten UPT-Intervall­zuteilung sind mög­licherweise weniger relevant für den Behandlungserfolg als die grundlegende Therapie­systematik an sich. Der Entscheidung, Patienten überhaupt systematisch zu therapieren und einer UPT zuzuführen, scheint für den langfristigen Zahnerhalt dabei eine übergeordnete Rolle zuzukommen21.

Durch die Vorstellung der systematischen Behandlungskonzepte der vier Uni­versitätsstand­orte wird dem Praktiker somit unter anderem eine Möglichkeit aufgezeigt, eine Behandlungssystematik in der eigenen täglichen Arbeitsroutine zu etablieren, die ihrerseits dazu beitragen kann, geplante Zahnentfer­nungen aufgrund der ver­besserten parodontalen Therapieergebnisse zu minimieren. Auch wenn die hier vorgestellten Behandlungskonzepte entsprechend den kürzlich aktualisierten PAR-Behand­lungsrichtlinien13 zukünftig weitere Modifikationen erfahren werden, ist es dennoch weniger das spezifische Konzept als vielmehr die Systematik, die den Erfolg ausmacht. Trotzdem muss auch ein tradier­tes Vorgehen, welches vielleicht schon lange in der eige­nen Praxis etabliert ist und erfolgreich war, wiederholt überdacht und gegebenenfalls an neue Erkenntnisse adjustiert werden, wie dies für die vorgestellten Konzepte beim Vergleich der Tabellen 1 bis 5 offensichtlich wird.

Nach Einschätzung der Autoren sind die wichtigsten Faktoren für die Variabilität des Zahnerhalts die Nachbeobachtungszeit und zentrumsspezifische Therapieunterschiede (Tabellen 2 bis 5). Der adjuvante Einsatz von Antibiotika kann beispielsweise die hier präsentierten Ergebnisse maßgeblich beeinflusst haben. Weniger als 25 Prozent aller Patienten erhielten während der APT und/oder UPT Antibiotika in KI (15,1 Prozent), GW (23,1 Prozent) und F (16,3 Prozent), wohingegen in HD häufiger Anti­biotika eingesetzt wurden. Hierbei muss beachtet werden, dass die behandelten Patienten in HD jünger waren und häufiger eine aggressive Parodontalerkrankung (AgP) aufwiesen – womit entsprechend der Evidenz richtigerweise einer verbesserten Erfolgsaussicht in dieser spezifischen Patientengruppe Rechnung getragen wurde25. Des Weiteren führten einige Zentren auch vermehrt regenerative Therapieverfahren durch (HD, F), während andere hauptsächlich mit nichtregenerativen Verfahren therapierten (KI, GW). Insbesondere die unterschiedliche jährliche Anzahl von Nachsorgeterminen als Ausdruck der Behandlungs­bemühungen während der UPT scheinen ein relevanter Faktor zu sein. In einer aktuellen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass Patienten, die ihre UPT engmaschiger als empfohlen ge­stalteten, im Vergleich zu Patienten, die ihre Inter­valle länger­fristiger anlegten, eine parodontal stabilere Situation zeigten und weniger Zahn­verluste während der UPT auftraten26. In der vorliegenden Studie wurde zwar nicht in jedem Zentrum (KI, GW, HD) von Beginn an eine objektiv nachvollziehbare UPT-Intervallzuteilung nach strengen Kriterien vorgenommen, dennoch wur­den die Patienten subjektiv gemäß dem Schweregrad ihrer Parodontitis unterschiedlichen Intervallen zugeteilt. Dies kann einer­seits eine gewisse Abweichung in den Zahnverlustraten der Zentren unterein­ander erklären, andererseits aber auch die insgesamt niedrige mittlere Zahnverlustrate argumentativ stüt­zen, da die UPT-Intervalle nicht „pauschalisiert“, sondern patientenindividuell zugeteilt wurden.

Nachdem nun die Ergebnisse dieser Studie vorge­stellt2 und die damaligen sowie aktuellen Behandlungskonzepte aller vier Studienzentren im Detail präsentiert (vgl. Tab. 1 bis 5) und diskutiert wurden, soll im dritten und letzten Teil dieser Artikel­serie der Übertrag in die tägliche Praxis vorgenommen werden27.

Ein Beitrag von PD Dr. Hari Petsos, Soest, PD Dr. Amelie Bäumer-König, Bielefeld, Prof. Dr. Peter Eickholz, Franfurt am Main, Dr. Lukasz Jablonowski, Greifswald, Prof. Bernadette Pretzl, Heidelberg, Prof. Falk Schwendicke, Berlin, PD Dr. Birte Holtfreter, Greifswald, Prof. Dr. Christian Graetz, Kiel

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Parodontologie 03/2022 Parodontologie