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Apexifikation als Therapie der Wahl, sie ist jedoch an technologische Voraussetzungen gekoppelt

Die zum Zeitpunkt der Behandlung 12-jährige Patientin erlitt im Alter von 8 Jahren ein Frontzahntrauma. Etwa ein Jahr nach dem Unfallereignis wurden an dem verunfallten Zahn 11 eine Avitalität und eine ausgedehnte apikale Parodontitis diagnostiziert.

Ziel der vorliegenden Arbeit von Prof. Dr. Jan Kühnisch für die Quintessenz Zahnmedizin 8/21 ist es, die Grundzüge der endodontischen Behandlung des Zahns mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum zu skizzieren und die Apexifikation des offenen Foramen apicale als Therapie der Wahl beim Vorliegen einer irreversiblen beziehungsweise akuten Pulpitis, Pulpanekrose und apikalen Parodontitis darzustellen. Das strukturierte klinische Vorgehen zielt darauf, in der ersten Behandlungsphase eine gegebenenfalls bestehende (akute) apikale Entzündung zurückzuführen und im zweiten Behandlungsschritt den definitiven Verschluss (Apexifikation) am Foramen apicale mit einem bioaktiven, endodontischen Zement („Apical seal“) und die Füllung des Wurzelkanals sowie der Zugangskavität („Coronal seal“) vorzunehmen.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Problematik des bleibenden Zahns mit nicht abgeschlossenem Wurzel­wachstum

Der avitale, jugendlich bleibende beziehungsweise avitale Zahn mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum stellt für den Zahnarzt eine Herausforderung dar. Dies begründet sich erstens in dem Erfordernis einer endodontischen Therapie, welche prinzipiell mit einer guten Prognose durchführbar ist, aber mit dem kindlichen beziehungsweise jugendlichen Patienten aufgrund des mehrzeitigen und vergleichsweise zeitintensiven Therapieprotokolls mitunter nur schwierig umgesetzt werden kann. Obwohl eine Vielzahl an Kindern und Jugendlichen aus unserer klinischen Erfahrung heraus gut behandelbar sind und das Therapieziel einer dichten und dreidimensionalen Wurzelkanalfüllung erreicht werden kann5, erfordern Einzelfälle mitunter individuelle Vorgehensweisen oder Kompromisse im Behandlungsablauf, um einer reduzierten Behandlungsbereitschaft der Betroffenen gegebenenfalls Rechnung zu tragen.

Charakteristisches, klinisches Merkmal des avitalen bleibenden Zahns mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ist zweitens der mehr oder weniger offene Apex. Über die metrische Ausprägung entscheidet vordergründig der Stand der Zahnentwicklung zum Zeitpunkt des pulpaschädigenden Ereignisses. Tritt das Ereignis kurz nach dem Zahndurchbruch ein, liegt typischerweise ein weit offener Apex vor. Zu einem späteren Zeitpunkt der Zahnentwicklung ist das Wurzelwachstum weiter fortgeschritten und demzufolge das Foramen apicale deutlich kleiner. Weitere, ausschließlich röntgenologisch beurteilbare Kennzeichen sind eine unvollständige Dentinbildung und ein reduziertes Wurzellängenwachstum.

Ursachen der Avitalität

Als mögliche Ursache für eine frühe Pulpaschädigung sind im hiesigen Versorgungskontext zuerst Zahnunfälle zu nennen, welche vordergründig Frontzähne betreffen. Während Bagatellverletzungen und unkomplizierte Kronenfrakturen nur sehr selten einen Vitalitätsverlust nach sich ziehen, ist bei komplizierten Kronenfrakturen aufgrund einer koronalen Pulpa­schädigung, bei Kronen-Wurzel-Frakturen durch die Pulpaquetschung oder bei ausgeprägten Luxationsverletzungen mit dem Abriss des Endodonts am Fora­men apicale häufiger mit einem Vitalitätsverlust zu rechnen4,7. Im Falle eines gemeinsamen Auftretens von Dislokationsverletzungen und Kronenfrakturen ist die Wahrscheinlichkeit der Regenerationsfähigkeit der Pulpa reduziert und daher ihre Überlebenschance verringert4.

Eine weitere Ursache für den frühen Vitalitätsverlust von Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum stellt Karies dar. Aufgrund der Kariesanfälligkeit von Fissuren und Grübchen besteht vor allem an den Molaren ein erhöhtes Risiko, dass eine ausgedehnte Okklusalkaries zu einer frühen Mitbeteiligung der Pulpa und damit zu einer endodontische Behandlung an bleibenden Molaren mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum führt. Mit Blick auf den allgemeinen Kariesrückgang in Deutschland12 und einer verlangsamten Kariesprogression bleibt aber festzuhalten, dass die kariesbedingte Mitbeteiligung des Endodonts im Kindes- und Jugendalter in Deutschland seltener geworden ist.
Als weitere, deutlich seltenere Ursachen für einen frühen Vitalitätsverlust sind erworbene oder genetisch bedingte Strukturstörungen sowie anatomische Variationen der Zahnform beziehungsweise Pulpaanatomie zu nennen.

Diagnostik

Die korrekte diagnostische Beurteilung gelingt unter Einbeziehung der (Schmerz-)Anamnese und auf Grundlage einer dezidierten klinischen Untersuchung unter Einschluss der vertikalen und horizontalen Perkussionsempfindlichkeit, der apikalen Druckdolenz und der Erfassung von Zahnlockerungen. Als nahezu obligatorisches Diagnostikverfahren ist ergänzend die thermische Vitalitätstestung mit Kältespray beziehungsweise CO2-Schnee anzusehen. Bei unsicheren Prüfergebnissen steht die elektrische Pulpatestung als zweite Möglichkeit zur Verfügung16. Als weiteres Diagnostikverfahren ist der apikale Röntgenzahnfilm in der Primärdiagnostik nahezu unersetzlich, um einer­seits den Stand der Wurzelentwicklung zu verifizieren und andererseits eine mögliche apikale Parodontitis zu erkennen. Obwohl das Patientenalter einen gewissen Aufschluss über die Wurzelentwicklung gibt, gelingt eine präzise Bewertung nur mit der röntgenologischen Untersuchung.

Bei der primären diagnostischen Beurteilung eines potenziell pulpageschädigten bleibenden Zahne im Kindes- und Jugendalter sind zwei Aspekte zu Behandlungsbeginn von Bedeutung. Einerseits ist der Entzündungszustand der Pulpa beziehungsweise des apikalen Parodonts und andererseits der Stand der Wurzelentwicklung korrekt einzuschätzen. Aus klinischer Sicht erscheint es zuerst sinnvoll, eine reversible Pulpitis von einer irreversiblen Pulpitis anamnestisch abzugrenzen1. Die Symptome der reversiblen Pulpitis treten gewöhnlich auf Reiz auf oder können durch thermische Stimuli am Zahn verifiziert werden. Diese äußern sich in einer kurzen Schmerzphase, welche mit Verschwinden des Reizes schnell wieder nachlässt. Wesentliches Kennzeichen für eine irreversible Pulpitis sind zunehmende bzw. andauernde Beschwerden. Thermische Reize werden in der Regel als stark und reizüberdauernd wahrgenommen. Charakteristisch sind zudem Nachtschmerzen und eine beginnende Perkussionsempfindlichkeit.

Im klinischen Alltag werden zumeist stumme Pulpanekrosen beobachtet, welche zum Beispiel im Verlauf des üblichen Monitorings wenige Wochen beziehungsweise Monate nach einem Zahnunfall durch eine fehlende Sensibilität diagnostizierbar werden. Dies bedeutet, dass diese Zähne oftmals frei von klinischen Symptomen sind. Die Ausbreitung der Entzündung in das apikale Parodont – im Sinne einer apikalen Parodontitis – ist ein mögliches und häufig schmerzbehaftetes Folgestadium aller zuvor genannten pulpalen Zustandsbilder. Apikale Entzündungen sind oft mit einer apikalen Druckdolenz verbunden und können mit einem subjektiven Gefühl der Zahnverlängerung einhergehen.

Intraoperativ wird das strukturierte diagnostische Vorgehen zusätzlich um den visuellen Eindruck am Foramen apicale ergänzt. Dies gelingt unter Einschränkungen mit Lupenbrillen beziehungsweise optimalerweise mit einem Dentalmikroskop, das eine gute Ausleuchtung des Kanalsystems ermöglicht. Hier ist einerseits der etwaige Durchmesser am Foramen apicale und andererseits der klinische Zustand des apikalen Gewebes von Bedeutung. Letzteres reicht dabei von physiologischem über entzündetes beziehungsweise blutendendes Gewebe bis hin zum Fehlen einer apikalen Gewebebarriere. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Apexifikation gilt die Präsenz eines gewebig verschlossenen Foramen apicale bei fehlenden Entzündungszeichen. Dabei erscheint die Gewebequalität – Binde- oder Hartgewebe – unerheblich. Die Apexifikation sollte allerdings nicht im Blutungsfall und bei einem barrierefreien Foramen apicale durchgeführt werden. In ersterem Fall fehlt die Übersicht, korrekt zu arbeiten. In zweiten Fall liegt ein nicht unerhebliches Risiko vor, Wurzelkanalfüllmaterial über den Apex zu verpressen.

Indikation zur Apexifikation

Das Verfahren der Apexifikation ist an avitalen bleiben­den Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum indiziert und stellt aus heutiger Sicht das endodontische Therapieverfahren der Wahl dar. Die Avitalität kann dabei das Ergebnis einer chronisch-irreversiblen beziehungsweise akuten Pulpitis oder einer Pulpanekrose sein. Zusätzlich kann eine apikale Parodontitis vorliegen, deren Ausheilung vor der Apexifikation anzustreben ist.

Klinisches Vorgehen bei der Apexifikation

Abb. 1 Zeitlicher Ablauf der Apexifikation in Abhängigkeit von der Ausgangssituation (Ca(OH)2 = Calciumhydroxid).
Abb. 1 Zeitlicher Ablauf der Apexifikation in Abhängigkeit von der Ausgangssituation (Ca(OH)2 = Calciumhydroxid).
Grundsätzlich sind für die Apexifikation zwei Vorgehensweisen zu diskutieren, welche aus Sicht des Autors heute nicht mehr als separate Verfahren beurteilt werden sollten, sondern sich vielmehr ergänzen. Die Apexifikation mit Calciumhydroxid (Ca(OH)2) wird dabei seit Jahrzehnten praktiziert und besitzt einen antiinflammatorischen Charakter, erfüllt aber nicht die Standards an eine definitive endodontische Therapie17,20,21. Demgegenüber erlaubt die Apexifikation mit einem bioaktiven endodontischen Zement (zum Beispiel Mineral Trioxid Aggregat, MTA8,27) einen definitiven Verschluss des Foramen apicale („Apical seal“). Werden die Vorteile der beiden Vorgehensweisen miteinander kombiniert, so kommt Ca(OH)2 in der initialen beziehungsweise temporären Behandlungsphase zum Einsatz. Die Apexifikation mit einem bioaktiven endodontischen Zement ist das Vorgehen der Wahl für den dauerhaften Verschluss des Foramen apicale. In Abhängigkeit von der klinisch-röntgenologischen Ausgangssituation ergeben sich allerdings verschiedene Zeitachsen (Abb. 1).

Trepanation und Initialbehandlung

Die Initialbehandlung verfolgt das Ziel der Reinigung und Desinfektion des Wurzelkanalsystems, um damit die Chronifizierung und Rückführung akuter Ent­zündungszeichen zu ermöglichen. Dies ist als Voraus­setzung für die Ausbildung einer apikalen Hartgewebebarriere zu betrachten. Im Zuge der Indikationsstellung, der Konsentierung des klinischen Vorgehens mit den Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten und der kindgerechten Erläuterung des geplanten Vorgehens ist gleichfalls die Notwendigkeit der Lokal­anästhesie zu erörtern. Während in Fällen mit gesicherter Avitalität der Verzicht auf die Lokalanästhesie den kindlichen Bedürfnissen entgegenkommt, ist diese bei zu erwartender Restvitalität unumgänglich.

Das klinische Vorgehen bei der Initialbehandlung beinhaltet die Trepanation des Zahns, die endometrische Bestimmung der Arbeitslänge, die möglichst sorgfältige und umfassende Entfernung des irreversibel geschädigten beziehungsweise nekrotischen Pulpagewebes, die Desinfektion des Wurzelkanalsystems mit antibakteriellen Spüllösungen wie zum Beispiel Natriumhypochlorit (NaOCl), das Einbringen einer wässrigen Ca(OH)2-Suspension als temporäre Wurzelkanalfüllung und den sicheren, temporären Verschluss der Trepanationsöffnung. Die einzelnen Schritte entsprechen dem heutigen Standardvorgehen bei der Durchführung endodontischer Behandlungen.

Ergänzend soll angemerkt sein, dass sowohl die oftmals dünnen und fragilen Dentinwände des Wurzelkanals als auch eine deutlich verkürzte Wurzellänge eine zurückhaltende Instrumentierung indizieren, um eine Schwächung der Zahnhartsubstanz zu umgehen. Darüber hinaus tragen klinisches Geschick sowie die fokussierte und schnelle Umsetzung der einzelnen Arbeitsschritte dazu bei, die Behandlungszeit zu verkürzen und demzufolge kindgerecht zu gestalten. Der Einsatz einer Vergrößerungshilfe beziehungsweise eines Dentalmikroskops erscheint in dieser Phase zwar von Vorteil, ist allerdings als nicht essenziell zu beurteilen.

Als temporäres Füllmaterial des Wurzelkanals kommt in der initialen Behandlungsphase bevorzugt wässriges Ca(OH)2 aufgrund des hohen pH-Werts und desinfizierenden Potenzials zum Einsatz. Im Ergeb­nis kann in vielen Fällen eine apikale Hart­gewebebarriere ausgebildet werden, welche später als apikales Widerlager für den zu fertigenden MTA-Plug dient. Zudem ist das Ca(OH)2 leicht zu applizie­ren, insbesondere auch dann, wenn Applikationssysteme in Verbindung mit längenjustierbaren NaviTips Verwendung finden. Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass wässrige Ca(OH)2-Suspensionen einfach zu entfernen sind. Als Alternative zum wässrigen Ca(OH)2 könnten auch Antibiotika-Kortikoid-Präparate gewählt werden9. Da diese jedoch nach einer etwa zweiwöchigen Liegedauer wieder entfernt werden sollten, würde dieses Vorgehen eine separate Therapiesitzung erfordern.

Eine klinisch relevante Frage ist jene nach der Notwendigkeit und Häufigkeit von Medikamentenwechseln in der initialen Behandlungsphase. Grundsätzlich sollte eine möglichst kurze Verweildauer aus verschiedensten Gründen angestrebt werden, denn je kürzer die temporäre Phase sein kann, umso niedriger ist die Wahrscheinlichkeit für potenzielle Komplikationen wie zum Beispiel eine Reinfektion infolge eines Provisoriumsverlustes22. Auch ist aus Sicht des kindlichen beziehungsweise jugendlichen Patienten eine stringente Umsetzung der Therapie wünschenswert. Da zudem häufige Wechsel und lange Verweilzeiten des basischen Ca(OH)2 sich nachteilig auf die Dentin­struktur auswirken können, welche im Einzelfall mit einer späteren Wurzelfraktur in Verbindung gebracht wurden2,3,19, ist dies ein weiteres Argument, die temporäre Phase möglichst kurz zu halten. Die Indikation für einen Ca(OH)2-Wechsel sollte auf Fälle mit akuten beziehungsweise ausgedehnten, chronischen apikalen Parodontitiden begrenzt werden. Bei persistierenden Beschwerden sollte ebenfalls eine erneute Reinigung, Desinfektion und Erneuerung der temporärer Wurzelkanalfüllung erfolgen. Bezüglich der Notwendigkeit für eine Wiedereröffnung (Re-Entry) kann folgende Faustregel aufgestellt werden: Je akuter beziehungsweise ausgedehnter sich die apikale Ent­zündung bei der Erstvorstellung darstellt, umso eher sollte das Kanalsystem innerhalb der nächsten Tage beziehungsweise Woche erneut gereinigt und desinfiziert werden. Typischerweise sind ein bis zwei Re-Entries ausreichend, um die Voraussetzungen für eine Ausheilung zu schaffen. Bei fehlenden Zeichen einer apikalen Parodontitis und fortbestehender Symptomlosigkeit kann die eigentliche Apexifika­tion ohne erneuten Re-Entry zeitnah durchgeführt werden.

Apexifikation und definitive Wurzelkanalbehandlung

Nach Abschluss der initialen Behandlungsphase, welche mit dem Vorliegen eines klinisch symptomfreien Zahnes einhergeht, schließt sich die Apexifikation im engeren Sinne und die orthograde Wurzelkanalfüllung an (Abb. 2a bis o). Die Zuhilfenahme eines Dentalmikroskops hat sich für den von orthograd durchgeführten Verschluss des offenen Foramen apicale bewährt. Der Nutzen besteht in der Visualisierung der apikalen Strukturen und der Durchführung der notwendigen Arbeitsschritte unter Sichtkontrolle. Als Teilschritte bei der Apexifi­kation sind die vollständige Entfernung der temporärer Wurzelkanalfüllung, die visuelle Kontrolle der apikalen Strukturen beziehungsweise Hartgewebebildung, die Festlegung der Arbeitslänge, die abschließende Desinfektion des Wurzelkanals und das portionsweise Einbringen des bioaktiven endodontischen Zements mithilfe eines MTA-Trägersystems (Carrier) zu nennen. Der MTA-Plug wird mithilfe passender Stopfer beziehungsweise Plugger verdichtet und sollte eine vertikale Dimension von etwa 3 bis 5 mm aufweisen, welche abschließend röntgenologisch kontrolliert wird. Die Obturation des koronalen Wurzelkanalanteils erfolgt typischerweise mit erwärmter Guttapercha in Back-Fill-Technik. Im Falle einer unvollständigen Dentinbildung und einem damit weit offenen Wurzelkanallumen kann anstelle der Guttaperchaobturation auch ein Glasfaserstift eingeklebt werden (vgl. Abb. 2k bis m). Ziel dieser postend­odontischen Behandlungsmaßnahme ist die langfristige Stabili­sierung des Zahns11,23. Abschließend wird die Zugangs­kavität mit einer adhäsiven Kompositfüllung verschlossen, um einen dichten Verschluss („Coronal seal“) zu generieren.

Kernelement der Apexifikation ist das orthograde Einbringen und Kompaktieren des bioaktiven, end­ontischen MTA-Zements am Foramen apicale8. Einen ersten Fallbericht veröffentlichten Mahmoud Torabinejad und Noah Chivian im Jahr 199928. Der Vorteil der MTA-Apexifikation liegt in der Herstellung eines aushärtenden Verschlusses des Foramen apicale unabhängig von dessen Durchmesser. Damit gelingt eine vorhersagbare und definitive end­odontische Behandlung des Zahns mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum10,11,22,25. Im Ergebnis der retrospektiven Auswertung eigener Fälle wurde ge­zeigt, dass hohe Erfolgsraten in Bezug auf Zahn­erhaltung und Vermeidung von Komplikationen erzielt werden können5. Diese Daten finden sich in Übereinstimmung zu Studien anderer Arbeitsgruppen13,15,18,24, welche MTA-Apexifikationen in mehr als 90 Prozent der Fälle als klinisch erfolgreich beurteilten. Daher ist das Behandlungsverfahren mittlerweile als etabliert zu beurteilen und als Ergänzung des zahnärztlichen Behandlungsspektrums im Kindes- und Jugendalter anzusehen.

Behandlungsalternativen und Kompromisse

Kompromisse sind immer dann notwendig, wenn die geforderten Arbeitsschritte mit dem Kind kooperationsbedingt nicht umgesetzt werden können. Dies kann prinzipiell in allen Behandlungsphasen und Arbeitsschritten vorkommen. Am häufigsten sind Barrieren zu Beginn des strukturierten Therapieablaufs anzutreffen. Hier helfen primär „Tell-show-do-Maßnahmen“ zum Kooperationsaufbau26, welche die schrittweise Heranführung des Kindes an die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen begleiten. Als vorteilhaft ist in diesem Kontext zu erwähnen, dass die Trepanation des avitalen Zahns, aber auch die Apexifikation nicht zwingend eine Lokalanästhesie voraussetzen. Dies erfordert jedoch seitens des Behandlers ein sorgsames Instrumentieren maximal bis zum Foramen apicale, um Irritationen infolge einer Überinstrumentierung sicher zu vermeiden.

Mit Blick auf mögliche kooperative Einschränkungen kann unter Erfüllung von Bedingungen durchaus von den üblichen Zeitachsen (vgl. Abb. 1) abgewichen werden. Als Voraussetzungen gelten aber die erfolgreiche Trepanation des Zahns, Reinigung und Desinfektion des Endodonts, abgeklungene Beschwerden und die dauerhafte Sicherstellung eines „Coronal seal“. Unter diese Bedingungen können die weiteren Therapieschritte an die Behandlungsbereitschaft des Kindes angepasst werden.

Anders gestaltet sich die Problematik, wenn akute, schmerzhafte oder auch ausgedehnte apikale Prozesse diagnostiziert wurden. In diesen Situationen ist typischerweise ein rasches und ursachenbezogenes Handeln erforderlich, um einer Progression beziehungsweise Persistenz wirksam entgegenzutreten6. Dies gelänge zwar mit der Trepanation des Zahns, ist jedoch im Fall einer fehlenden Kooperation mitunter nicht umsetzbar. Hier können einerseits antibiotische Maßnahmen hilfreich sein14, um die akute Phase zu überbrücken. Gelingt anschließend die Trepanation und Einleitung der Initialphase nicht, so ist die Behandlung in Allgemeinanästhesie in Erwägung zu ziehen. Obwohl in diesem Setup optimalerweise eine einzeitige endodontische Behandlung angestrebt werden sollte, lehrt umgekehrt die klinische Erfahrung, dass dies nicht immer indiziert ist und daher eine zweite Allgemeinanästhesie zur Durchführung der Apexifikation möglicherweise erforderlich wird. Dies ist jedoch eine Ausnahmesituation im klinischen Alltag.

Zusammenfassung

Die Apexifikation ist ein vergleichsweise junges endodontisches Therapieverfahren, welches einen Lösungsansatz für den Zahn mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum im Kindes- und Jugendalter bietet, da die Methodik der konventionellen Wurzelkanalfüllung mit Guttapercha in diesen klinischen Situationen als nicht indikationsgerecht zu beurteilen ist. Umgekehrt ist das Verfahren an technische Voraussetzungen gekoppelt, zum Beispiel an die Verfügbarkeit eines Dentalmikroskops, welches in einem typischen kinderzahnärztlichen Behandlungs-Setup nicht zur Standardausrüstung gehört. Daher be­dürfen diese Fälle oftmals einer interdisziplinären Betreuung durch den Kinderzahnarzt und Endodontologen.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Jan Kühnisch, München

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 08/21 Endodontie Zahnmedizin Aus dem Verlag