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Als Basis für einen Präparationsplan zeigt sie, was prothetisch möglich, aber auch was nicht möglich ist

Die Autoren um Dr. Diether Reusch beschreiben in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 5/2022 die analoge Herstellung komplexer Restaurationen mithilfe der Diagnosewachsung.
Neben älteren Patienten, die prothetisch versorgt werden müssen, finden sich in unserer Praxis immer mehr Jugendliche ein, die einen Verlust von Zahnschmelz im Bereich der lnzisalkanten der Ober- und Unterkieferfrontzähne, der Palatinalflächen der Oberkieferfrontzähne sowie der Seitenzahnkauflächen aufweisen. Die Ursachen sind parafunktionelle Aktivität, Stressverarbeitung sowie immer wieder säurehaltige Nahrungsmittel und Getränke und/oder Reflux. Daher steigt der Bedarf an komplexen Rehabilitationen des Kauorgans, oft unter Einbeziehung aller Zähne. Moderne Technologien wie Adhäsivtechnik und Materialien wie Lithiumdisilikatkeramik und Zirkoniumoxid ermöglichen es uns, hochfesten Zahnersatz bei äußerst geringen Materialschichtstärken herzustellen2. Hochfest heißt, dass diese Materialien im Gegensatz zu Gold, welches sich bei vorhandenen Interferenzen und parafunktioneller Aktivität des Patienten verformt, oder zu Metallkeramik, welche Chipping verursachen, nicht nachgeben. Kollidieren Höcker bei bruxierenden Patienten unter Verwendung dieser Materialien, so führen die hohen, hierbei auftretenden Kräfte nicht zu Verformung oder Chipping des Materials, sondern wirken ungefiltert auf Zahn, Parodont und Kieferknochen ein. Zusätzlich können Muskelprobleme und in seltenen Fällen Schäden am Kiefergelenk die Folge sein4,6,8. Wir Zahnärzte übernehmen bei solchen umfassenden prothetischen Rehabilitationen eine hohe Verantwortung. Um ihr gerecht zu werden, ist es nach unserer Auffassung unabdingbar, jeder komplexen Rehabilitation einen detaillierten Bauplan zugrunde zu legen und hierzu eine funktionsbezogene diagnostische Wachsung anzufertigen.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Grundlagen der Diagnosewachsung

Was beim Bau eines Hauses für den Architekten der Bauplan, das ist bei einer umfassenden Rehabilitation für den Zahnarzt die Diagnosewachsung. Unter Einbeziehung der skelettalen und dentalen Parameter des Kauorgans sowie der Anforderungen vonseiten des Patienten wird auf Basis der im individuell programmierten Artikulator eingestellten Situationsmodelle die prothetische Wiederherstellung geplant und das Behandlungsziel mithilfe von Aufwachsung visualisiert6. Die Grundlage jedweder Diagnosewachsung sind perfekte Abformungen zur Herstellung hochwertiger Modelle aus Superhartgips mit Kontrollsockel. Die Originalmodelle werden dupliert. Sie dienen der diagnostischen Aufwachsung.

Die Oberkiefermodelle werden schädelgerecht mithilfe eines arbiträren Gesichtsbogens in einem individuell einstellbaren Artikulator (Reference SL Artikulator, Gamma, Wien) eingegipst. Da bei der Rehabilitation eine Erhöhung der vertikalen Dimension nötig ist sowie alle Zähne präpariert werden müssen, ist die Interkuspidationsposition (IKP) als Grundlage der Kieferrelationsbestimmung nicht heranzuziehen. Die Unterkiefermodelle werden mithilfe eines Zentrikregistrats gelenkbezogen dem Oberkiefermodell zugeordnet.

Zur Programmierung des individuell einstellbaren Artikulators werden die Unterkieferbewegungen aufgezeichnet12. Die Duplikatmodelle werden ebenfalls im Artikulator montiert. Bei komplexen Behandlungssituationen kann zur Analyse des skelettalen Schädelaufbaus eine Fernröntgenseitenaufnahme (FRS) mit markierter Referenzebene hilfreich sein1,7,9. Auf den Modellen wird eingezeichnet, wohin Höcker und Einschnitte zu verlegen sind. Setzt der Zahnarzt die Vorgaben des Präparationsplans exakt um, ist es dem Zahntechniker möglich, selbst bei minimalinvasiver Präparation ein funktionsgerechtes, interferenzfreies Kauflächenrelief zu gestalten5. Der Präparationsplan hilft bei der Entscheidung, welche Präparationsform – Krone oder Teilkrone, On- oder Inlay – gewählt wird. Angestrebt wird eine minimalinvasive, funktionsorientierte und materialgerechte Präparation.

Die Diagnosewachsung ist Planungsgrundlage der Rehabilitation. Während der Therapie dient sie jedoch auch zur Kontrolle verschiedener Behandlungsschritte. Eine auf Basis der Diagnosewachsung hergestellte Silikonschablone oder Tiefziehfolie wird mit zahnfarbenem Kunststoff gefüllt – Mock-up (Attrappe) – und kann vor der Zahnpräparation zur Überprüfung der Phonetik, Funktion, Zahnform sowie eingeschränkt auch der Ästhetik am Patienten herangezogen werden.

Nach der Präparation wird mithilfe eines Silikonschlüssels der Diagnosewachsung der Zahnhartsubstanzabtrag kontrolliert. Die Herstellung der temporären Versorgung sowie das Wax-up nach Zahnpräparation bauen ebenfalls auf der Diagnosewachsung auf.

Patientenvorstellung

Die oberen Frontzähne unserer Patientin sind unansehnlich. Funktionell gesehen zeigen sich Steilstand und Fehlstellungen. Der Frontzahnbogen im Oberkiefer (OK) und Unterkiefer (UK) ist unharmonisch, interkoronaler Freiraum ist nicht vorhanden. Die Seitenzähne rechts sind in einer dentalen Klasse I verzahnt. Der zweite Prämolar und der erste Molar stehen im Kreuzbiss. Zahn 15 steht etwas palatinal, daher sind die Molaren aufgewandert. Dadurch ist ab dem zweiten Prämolaren eine 1-zu-1-Zahnsituation gegeben. Die linke Seitenzahnreihe ist in einer halben Klasse II verzahnt und zeigt ebenfalls eine 1-zu-1-Verzahnung. Sowohl rechts- als auch links-seitig ist kein interkoronaler Freiraum vorhanden. Bei den Seitwärtsbewegungen zeigen sich laterotrusive und mediotrusive Interferenzen. Beidseits besteht im Molarenbereich eine lnfraokklusion. Bedingt durch eine akzentuierte Wilson-Kurve stellen die rechten und linken endständigen Molaren stärkste mediotrusive Interferenzen dar (Abb. 1a bis e).

Der Zahnarzt gibt dem Zahntechniker die Zielsetzung für die Diagnosewachsung an:

OK-Frontzähne

  • Frontzahnführung flacher und länger, interkoronalen Freiraum schaffen3, harmonische Ausformung des Frontzahnbogens, Stellungskorrektur des Zahns 12;

OK-Seitenzähne 

  • Überstellung der im Kreuzbiss stehenden Zähne, interkoronalen Freiraum hinsichtlich der Exzentrik schaffen, akzentuierte Wilson-Kurve abschwächen;

UK-Frontzähne

  • Form wiederherstellen und interkoronalen Freiraum schaffen;

UK-Seitenzähne

  • interkoronalen Freiraum schaffen und OK-/UK-Präparationsplan erstellen.

Um die Ziele zu erreichen, muss der Zahntechniker nachfolgende Korrekturen durchführen (Abb. 2a bis d):

OK-Frontzähne10

  • Die Form der OK- und UK-Frontzähne sowie eine harmonische lnzisalkantenlinie werden durch den Aufbau der verlorengegangenen lnzisalkanten wiederhergestellt.
  • Der OK-Frontzahnbogen wird nach bukkal geweitet. Der palatinal stehende Zahn 11 und der rotierte Zahn 12 werden eingeordnet.
  • Die Frontzahnführung wird verlängert. Um die Führung flacher zu gestalten und interkoronalen Freiraum zu gewinnen, werden bei der Zahnpräparation die Frontzähne etwas stärker als üblich eingekürzt (normal ca. 1 – 1,5 mm, hier 1,5 – 2 mm). Der palatinale Bereich muss in die Präparation einbezogen werden.

UK-Frontzähne

  • Im UK-Frontzahnbereich werden die Zähne ebenfalls etwas mehr als üblich eingekürzt (ca. 1 –1,5 mm) und mit einer Tendenz nach lingual wiederhergestellt.

Seitenzahnbereich OK/UK11

  • Die im Kreuzbiss stehenden Zähne 15 und 16 werden überstellt.
  • Um interkoronalen Freiraum zu gewinnen („Freedom in exzentrik“) wird der OK transversal geweitet. Die Scherhöcker werden nach bukkal verlegt. Um die bukkopalatinale Dimension zu erhalten, müssen die Palatinalflächen der Molaren bei der Präparation mehr als üblich abgetragen werden. Um eine flachere „Führung“ zu etablieren, werden die Scherhöcker der OK-Seitenzähne stärker als üblich eingekürzt. Im UK-Seitenzahnbereich werden die bukkalen Stampfhöcker mit Tendenz nach lingual aufgewachst (Abb. 3a und b).
  • Der Präparationsplan ist auf den Modellen eingezeichnet. Auf den bukkalen Zahnflächen ist der Stand der Stampfhöcker rot, jener der Scherhöcker grün markiert. Auf der Gingiva der Modelle ist markiert, wohin die Höcker und Furchen zu verlegen sind, um eine interferenzfreie Okklusion und damit eine unmittelbare Disklusion bei exzentrischen Bewegungen zu gewährleisten5.

Wilson-Kurve

Zur Abflachung der Wilson-Kurve, also zur Elimination der starken mediotrusiven Interferenzen, müssen bei den zweiten Molaren im OK die „hängenden“ palatinalen Höcker stark eingekürzt werden. Bei den zweiten Molaren im UK werden die bukkalen Stampfhöcker stark eingekürzt. Der Patient erhält ein kieferorthopädisch getrimmtes Duplikatmodellpaar sowohl der Ausgangssituation als auch der Diagnosewachsung. Die Visualisierung der Planung gibt dem Patienten eine Vorstellung vom angestrebten Behandlungsziel und erleichtert seine Entscheidungsfindung.

Arbeitsschritte auf Basis der Diagnosewachsung – Mock-up

Mithilfe des sogenannten Mock-ups (Attrappe) können bei einer Vielzahl von Behandlungsfällen die notwendige Vertikalerhöhung, die Phonetik, die Funktion und die Ästhetik überprüft werden, ohne dass bereits Zähne präpariert wurden. Meist ist ein Probetragen des direkt am Patienten angefertigten Mock-ups für bis zu 2 Tage möglich. Ein im Labor angefertigtes indirektes Mock-up kann auch längere Zeit getragen werden.

Bei Aufweiten des OK-Zahnbogens nach bukkal wird das Mock-up vor der Zahnpräparation auf den Zähnen aufgebracht. So ist es möglich, mittels Tiefenmarkierer exakt zu definieren, wie viel Zahnhartsubstanz – in der Regel nur Schmelz – entfernt werden muss. Ein über der Diagnosewachsung hergestellter Silikonschlüssel oder eine Tiefziehfolie, gefüllt mit einem mittelfließenden Abformmaterial, ermöglicht es nach der Präparation, den Zahnhartsubstanzabtrag auf den Zehntelmillimeter genau zu bestimmen. So ist abgesichert, dass so wenig wie möglich, aber dennoch so viel wie nötig Zahnhartsubstanz abgetragen wird, um die zahntechnische Planung exakt umzusetzen.

Die Diagnosewachsung ist sowohl Grundlage für das nach Zahnpräparation und Abformung anzufertigende Provisorium als auch für das darauffolgende Wax-up. Nicht nur bei der Provisorienherstellung, sondern auch beim Wax-up kommt ein Silikonschlüssel – hergestellt auf dem Duplikatmodell der Diagnosewachsung – zur Anwendung.

Die Rehabilitation wurde aus monolithischer Lithiumdisilikatkeramik e.max Press (lvoclar Vivadent, Ellwangen) hergestellt und anschließend koloriert. Auf jedwede Schichtung wurde verzichtet (Abb. 4a und b). Auf der rechten Seite wurde der Kreuzbiss überstellt und eine 1-zu-2-Zahnbeziehung ist vorhanden. Linksseitig stehen die Seitenzähne in einer 1-zu-1-Zahnbeziehung. Durch die wohlüberlegte, bei der Präparation angelegte Höcker-Fissuren-Anordnung ist trotz kurzer Eckzahnführung und Nahkontakt, um ausreichende Kaueffizienz zu gewährleisten, eine unmittelbare Disklusion gegeben (Abb. 5a bis c).

In der Aufsicht ist auf den OK- und UK-Modellen sichtbar, dass die bei der Diagnosewachsung vorgenommene Planung zu 100 Prozent bei der Rehabilitation umgesetzt wurde (Abb. 6a bis f). Die bei der Präparation abgeflachte Wilson-Kurve lässt eine interferenzfreie Seitwärtsbewegung zu. Im Frontzahnbereich wurde die Frontzahnführung verlängert, in der Neigung abgeflacht und interkoronaler Freiraum geschaffen (Abb. 7a bis d).Das ästhetische Ergebnis ist ansprechend und gefällt unserer Patientin (Abb. 8a und b).

Fazit

Mit Lithiumdisilikatkeramik (E.max press) und Zirkoniumoxid sind wir in der Lage, Zähne dauerhaft, ästhetisch und wo immer möglich zahnhartsubstanzschonend wiederherzustellen. Bedingt durch die Härte und Unnachgiebigkeit dieser Materialien sind funktionsgerechte Kauflächen unabdingbare Voraussetzung. Funktionsgerechte Kauflächen erfordern funktionsgerechte Präparationen – dies insbesondere bei Restaurationen mit sehr wenig Zahnhartsubstanzabtrag.

Bei sorgfältiger Planung ermöglicht die Diagnosewachsung bereits im Vorhinein, das zu erzielende Ergebnis für Behandler und Patient exakt zu visualisieren. Sie ermöglicht eine Vorhersage über das, was prothetisch möglich, aber auch nicht möglich ist. Ohne einen auf Basis der Diagnosewachsung erstellten Präparationsplan sind wir Zahnärzte oft nicht in der Lage, das Kauflächenrelief so zu präparieren, dass der Zahntechniker das von uns gewünschte Ergebnis erzielen kann.

Bei der Behandlung bietet die Diagnosewachsung eine Vielzahl von Kontrollmöglichkeiten für diverse Arbeitsschritte und sie ist die Basis für den Behandlungserfolg.

Ein Beitrag von Dr. Diether Reusch, Dr. Karina Schick, ZA Jan Strüder, ZTM Paul Gerd Lenze und ZT Sascha Fasel, Westerburg

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Reference: Zahnmedizin