ZeitschriftenreferateSeiten: 79-88, Sprache: DeutschMiethke, Rainer-ReginaldInzwischen gibt es ja in Deutschland und seinen Nachbarländern eine Reihe von Praxen, in denen alle Patienten ausschließlich mit Alignern behandelt werden - unabhängig von ihrer Dysgnathie. Geht das? Gibt es nicht für unterschiedliche kieferorthopädische Geräte spezifische Indikationen? Oder gilt hier das geflügelte Wort: Wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles aus wie ein Nagel? Besser noch hat es der unvergessliche Charles J. Burstone für die Kieferorthopädie formuliert und dies als "appliance driven orthodontics"1 bezeichnete - ganz im Gegensatz zu dem von ihm entwickelten Konzept der Kieferorthopädie, die "goal/mechanics driven" war.
Wer nur mit Alignern behandeln will, braucht die Artikelbesprechung: "Mechanische Eigenschaften Polyetheretherketon-ummantelter orthodontischer Drähte" nicht zu lesen. Alle Anderen aber schon, denn immer wieder einmal erkennt man die Grenzen einer Alignerbehandlung und sieht sich genötigt, zum Beispiel zu einer festsitzenden Behandlungsapparatur zu wechseln. Die sollte dann natürlich so ästhetisch wie möglich sein. Bei Brackets ist das kein wirkliches Problem, gibt es doch eine große Anzahl von (auch selbstligierenden) Kunststoff- und mono-/polykristallinen Keramikbrackets. Bei den Drähten ist es deutlich schwieriger, denn Drähte aus den drei* Gruppen2: Optiflex (Siliciumdioxid), Komposit (zum Teil mit Glasfaserverstärkung) und Standarddraht mit einer (Teflon-)Beschichtung haben teilweise erhebliche Nachteile. Die meisten von ihnen gibt es häufig nur mit rundem Querschnitt, lediglich in bestimmten Dimensionen, mit zeitlich begrenztem ästhetischem Erscheinungsbild3, ohne Möglichkeit des Verformens bzw. des Biegens, mit zu geringer Kraftabgabe, oder sie sind schlichtweg zu wenig klinisch erprobt.
Nun will ein ganz neuer Draht auf den Markt treten. Sollen Sie, die Sie noch festsitzende Geräte eingliedern, ihn kaufen?, Ist er doch "impressive"? Besser wohl (noch) nicht, aber Sie sollten ihre Augen weit offen halten. Wenn Sie das tun, folgen Sie Albert Einstein, der einmal gesagt hat: "Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig". Dafür bekommen Sie aber noch nicht und sofort den Nobelpreis.
Nun in aller Kürze: Wenn Sie keine Probleme haben, Ankylosen zweifelsfrei zu erkennen, braucht Sie auch das zweite Referat nicht zu interessieren; Sie dürfen also getrost weiterblättern. Im Zweifelsfalle jedoch besser lesen.
Das dritte Referat beschäftigt sich mit Wurzelresorptionen, die Folge eines Distalbewegens der 1. Molaren sind. Ergo, brauchen es diejenigen weniger zu lesen, für die "Extraktionstherapie" kein Schimpfwort (four letter word) ist. Jedoch sollten die Teilnehmer am Wettbewerb "Wer kann 1. Molaren am schnellsten/weitesten nach distal bewegen?" besser einen Blick darauf werfen, denn (bisher) Nichtbeobachtetes kann wohl eben doch einmal auftreten - mit bedenklichen Folgen.
Ihr,
Prof. em. Dr. Rainer-Reginald Miethke