Poster 1058, Sprache: Deutsch, EnglischBenz, Korbinian / Dirsch, Peter / Jackowski, JochenEinleitung: Es ist die Aufgabe der Palliativmedizin, Patienten zu betreuen, die so schwer erkrankt sind, dass keine Aussicht auf Heilung besteht. In dieser Phase sollen keine belastenden Eingriffe durchgeführt werden und die Verbesserung der Lebensqualität steht im Vordergrund. Da die Palliativmedizin auf einem interdisziplinären Ansatz basiert, sollte sie auch die oralmedizinische Versorgung mit einschließen.
Fallbericht: Ein 71-jähriger Patient stellte sich mit einer fehlenden Haftung seines totalen Oberkieferzahnersatzes vor. Alle Behandlungsmaßnahmen durch den Hauszahnarzt mit zahntechnischen Modifikationen an der Totalprothese und der Einsatz von Hafthilfen konnten die Funktionsfähigkeit nicht verbessern. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine physiologische Salivation und ein abgeflachtes Vestibulum im gesamten Oberkieferbereich. Der Patient beklagte eine extrem belastende Lebensqualitätsminderung aufgrund seiner intraoralen Situation und bat deswegen um eine Implantat-vermittelte Rehabilitation zur Verbesserung der oralen Lebensqualität.
Im Rahmen der Erhebung der medizinischen Anamnese berichtete der Patient, dass folgende Diagnosen bei ihm gestellt worden sind: ein multifokales hepatozelluläres Karzinom in zirrhotisch-veränderter Leber, eine arterielle Hypertonie, eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern, eine Herzinsuffizienz NYHA II und ein Hemispasmus facialis links. Der Hemispasmus facialis wurde zunächst mit Botulinumtoxin-Injektionen und letztlich mit einer mikroneurochirurgischen Dekompression nach Janetta im Jahr 2011 behandelt. Zur Therapie des histologisch gesicherten multifokalen hepatocellulären Carcinoms wurde im Jahr 2014 eine intraarterielle Chemoembolisation mehrerer HCC-Herde mit Doxorubicin durchgeführt. Wegen der kardialen Symptomatik wird aktuell auch Marcumar gegeben. Das letzte MRT Abdomen nativ und mit KM zeigte keinen Größenprogress der Leberherde.
In mehrstündigen Gesprächen mit dem Patienten - auf seinen Wunsch ohne Anwesenheit der Familie - wurden eingehend alle konventionellen und chirurgischen intraoralen Therapieoptionen diskutiert. Im Vordergrund aller Überlegungen stand dabei insbesondere auch die noch zu erwartenden Lebenszeit. Auf der Grundlage einer präoperativen dentalen volumentomographischen Untersuchung konnte im anterioren Oberkieferbereich ein ausreichend dimensioniertes Knochenlager zur Insertion von Implantatkörpern identifiziert werden. Im Oktober 2015 wurden 4 Implantate in regio 24, 22, 12 und 14 komplikationslos eingebracht, die im Dezember 2015 über Locatoren die Funktionsfähigkeit der vorhandenen Oberkiefertotalprothese gewährleisten sollen.
Diskussion: Der vorliegende Fall zeigt das außergewöhnliche Spannungsfeld, in dem sich Patienten und Therapeuten gleichermaßen bewegen. Komplexe Therapiestrategien sollten den Vorgaben der Palliativmedizin folgend vermieden werden, jedoch ist die Planung hochindividuell und ganz entscheidend von den physischen und kognitiven Einschränkungen sowie dem Wunsch des Patienten und gegebenenfalls seiner Familie abhängig. Nach den vier grundlegenden Handlungsprinzipien Autonomie (Respekt und Achtung des Patienten), Gerechtigkeit (Gleichbehandlung), Benefizienz (Abwägen von potentiellem Nutzen zu möglichem Schaden) und Non-Malefizienz (grundsätzliche Verpflichtung zur Schadensvermeidung) wurde die dargestellte oralchirurgische Therapie durchgeführt.
Schlagwörter: palliativmedizinische Versorgung, ethische Grundsätze, dentale Implantate, Mundgesundheit