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Pharmakologie und Toxikologie der Lokalanästhetika und Vasokonstriktoren

(c) shutterstock.com/Ermolaev Alexander

Die Lokalanästhesie ist ein entscheidender Baustein der Schmerzausschaltung im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Für jede invasive und potenziell schmerzhafte Maßnahme ist sie eine wichtige Voraussetzung. Autorin Prof. Dr. Monika Daubländer gibt in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 7/19 einen Überblick über den aktuellen Wissensstand und die Praxis der Lokalanästhesie bei Kindern und Jugendlichen in der praktischen Zahnheilkunde. Der differenzierte Einsatz von Medikamenten und Techniken ermöglicht eine schmerzarme und sichere Therapie. Dabei sollten Esterpräparate nur noch zur Oberflächenanästhesie und Amide für die Injektionen verwendet werden. Bei den Vaso­konstriktoren ist Adrenalin als Goldstandard anzusehen. Es sollte wann immer möglich in möglichst geringer Dosierung zum Einsatz kommen. Selbstverständlich ist darüber hinaus bei Kindern eine Verhaltensführung erforderlich. Sedierung und Allgemeinanästhesie komplettieren das Spektrum des Schmerzmanagements. Um unerwünschte Nebenwirkungen und eine Intoxikation zu vermeiden, muss die Dosis des Lokalanästhetikums an das Körpergewicht angepasst werden. Als sehr kritisch ist die Tatsache zu sehen, dass viele Lokalanästhetika nicht für Kinder unter 4 Jahren zugelassen sind. Dies führt zu einer Off-Label-Anwendung mit den entsprechenden medikolegalen Konsequenzen.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Eine adäquate Schmerzausschaltung hat bei der zahnärztlichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen eine zentrale Bedeutung. Insbesondere die Lokalanästhesie macht unter Umständen erst eine Therapie möglich. Dabei sollte in jedem Fall darauf geachtet werden, dass keine vermeidbaren Schmerz­erlebnisse auftreten und die Indikation zur Schmerzausschaltung großzügig gestellt wird. Durch eine geschickte Kombination von Lokalanästhesielösung und Technik lässt sich auch eine über die Behandlung hinausgehende unerwünschte Weichteilanästhesie in gewissen Grenzen steuern. Je jünger die Kinder sind, desto größer ist das Risiko für Läsionen von Zunge, Lippen, Wangen etc. infolge von Bissverletzungen.

Pharmakologie der Lokalanästhetika

Lokalanästhetika führen zu einer reversiblen Blockade der spannungsabhängigen Natriumkanäle. In dem ent­sprechenden Abschnitt des sensiblen Nervs kann kein Aktionspotenzial entstehen beziehungsweise weitergeleitet werden. Es kommt somit zu einer Unterbrechung der Nozizeption im Innervationsgebiet und zu einer Anästhesie. Die intrazellulären Rezeptorbindungsstellen müssen die Lokalanästhetikummoleküle durch Diffusion von der Injektionsstelle aus erreichen. Hierzu ist es einerseits erforderlich, dass sie hydrophil sind und auch ihren Ladungszustand verändern, um durch das Gewebe zu diffundieren. Andererseits müssen sie lipophil sein, damit sie die Zellmembran des Nervs passieren können. Ermöglicht wird dies durch die spezielle chemische Struktur der Lokalanästhetika. Neben der Wirkgruppe (Zwischenkette) weisen sie einen lipophilen aromatischen Rest am einen und eine hydrophile Aminogruppe am anderen Ende auf. Nach Art der Bindung zwischen Zwischenkette und Aminogruppe unterteilt man die Lokalanästhetika in solche vom Estertyp und solche vom Säureamidtyp. Negativ beeinflusst wird der oben beschriebene Prozess durch einen niedrigen ph-Wert im Gewebe, wie er zum Beispiel bei Entzündungen vorliegt. Dann kann das Lokalanästhetikum am Injektionsort schlechter gepuffert und in die Wirkform überführt werden.

Esterpräparate

Procain

Procain war das erste synthetische Esterlokalanästhetikum und gilt bis heute hinsichtlich der analgetischen Potenz und der systemischen Toxizität eines Lokalanästhetikums als Referenzsubstanz. Es sollte allerdings nicht mehr in der Kinderzahnmedizin eingesetzt werden. Bei der Metabolisierung der Esterpräparate durch die Cholinesterasen in Gewebe und Plasma entsteht Paraaminobenzoesäure, die vermutlich für die hohe Allergierate der Substanzen verantwortlich ist. Die Vertreter dieser Stoffgruppe wie um Beispiel Tetracain und Benzocain sollten nur noch für die Oberflächenanästhesie zur Anwendung kommen.

Benzocain

Da Benzocain schlecht wasserlöslich ist, wird es in der Mundhöhle nicht gut resorbiert, und es entstehen keine relevanten systemischen Plasmaspiegel. Der Wirkstoff steht in Form von Lösungen, Sprays, Salben sowie Gelen zur Verfügung. Lokale Schleimhautreaktionen sind bei Langzeitanwendung und wiederholtem Gebrauch möglich.

Tetracain

Tetracain kann alleine oder in Kombination mit Benzo­cain in einer Konzentration von 0,2 bis 1 Prozent angewendet werden16. Von der US-amerikanischen Lebens- und Arzneimittelzulassungsbehörde FDA wurde 2016 eine Präparation als Nasenspray (Tetracain HCl mit Oxymetazolin HCl) unter dem Handelsnamen Kova­naze (Fa. St. Renatus, Fort Collins, USA) zugelassen8. Indikation ist die nadellose Lokalanästhesie im Oberkieferfrontzahnbereich bei Kindern, die ein Körpergewicht von 40 Kilogramm oder mehr aufweisen. Die Kombination von Lokalanästhetikum und Vasokonstriktor verbessert den anästhetischen Effekt und stellt daher eine Alternative für Injektionen in diesem Bereich dar6,7.

Tab. 1 Pharmakologische Charakteristika relevanter Lokalanästhetika. Bupivacain weist die höchste analgetische Potenz und Articain das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis (Quotient von analgetischer Potenz und systemischer Toxizität) auf. Beide haben die höchste Proteinbindungsrate.
Tab. 1 Pharmakologische Charakteristika relevanter Lokalanästhetika. Bupivacain weist die höchste analgetische Potenz und Articain das beste Nutzen-Risiko-Verhältnis (Quotient von analgetischer Potenz und systemischer Toxizität) auf. Beide haben die höchste Proteinbindungsrate.

Amidpräparate

Mit der Synthese von Lidocain durch Löfgren im Jahr 1944 begann eine neue Ära der Lokalanästhesie. Heute sind die Amide die Standardpräparate (Tab. 1). Da sie sich in ihrer Wirksamkeit unterscheiden2, reichen die Konzentrationen von 0,25 Prozent bei Bupivacain bis hin zu 4 Prozent bei Articain. Die Lipidlöslichkeit ist ein wichtiger Parameter für die Wirksamkeit und die Toxizität. Hinsichtlich der Wirkdauer variieren die verschiedenen Substanzen in Abhängigkeit von ihrer Proteinbindung. Dies ist der Grund, warum Bupivacain (95 Prozent Proteinbindung) und Mepivacain (55 Prozent Proteinbindung), die sich ansonsten sehr ähnlich sind, in der Strukturformel bei der Dauer der neuronalen Blockade so große Unterschiede zeigen. Während Amide überwiegend in der Leber biotransformiert werden, wird Articain durch die Pseudocholineste­rase und Prilocain in der Lunge metabolisiert.

Articain

Articain weist zwei Besonderheiten auf: Die Substanz besitzt einen Thiophenring als Aminogruppe und ei­ne Esterbindung. Der Thiophenring ist der Grund für die hohe Wirksamkeit und die Lipidlöslichkeit13. Die Spaltung der Esterbindung im Gewebe und Plasma bildet den ersten Inaktivierungsschritt mit dem Ergeb­nis, dass Articainsäure entsteht, die pharmakologisch nicht wirksam ist. Daher kann das Präparat auch bei eingeschränkter Leberfunktion eingesetzt werden. Weitere Vorteile sind die kurze Plasmahalbwertszeit (ca. 25 Minuten) und die rasche Plasma­clearance (ca. 3 Stunden). Hieraus resultiert eine geringe Toxizität, die sich positiv auf die Nutzen-Risiko-Relation auswirkt. Der Quotient von analgetischer Potenz und Toxizität beträgt 3,3 und ist somit höher als bei den anderen vergleichbaren dentalen Lokalanästhetika (vgl. Tab. 1).

Eine 4-prozentige Articainlösung mit einer Adrenalinkonzentration von 1:100.000 hat sich als ein sicheres und effektives Lokalanästhetikum erwiesen, welches von Kindern gut toleriert wird14,15. Dennoch sollten Lösungen mit geringerer Adrenalinkonzentration bevorzugt werden11. Die Verwendung einer 2-prozentigen Articainlösung bei Kindern führt im Vergleich zu einer 4-prozentigen Lösung zu geringeren Plasmaspiegeln und einer kürzeren Plasmahalbwertszeit10. Articain ist nicht für Kinder unter vier Jahren zugelassen. In Studien, in denen die Substanz trotzdem bei jüngeren Kindern eingesetzt wurde, traten keine ungewöhnlichen Nebenwirkungen oder mehr Komplikationen auf1,4,19. Bei der Off-Label-Anwendung sind die medikolegalen Anforderungen zu beachten (unter anderem spezielle Aufklärung).

Bupivacain

Bupivacain führt zu einer besonders lang anhaltenden Anästhesie und weist eine sehr hohe Wirksamkeit sowie Toxizität auf. Für die Kinderzahnmedizin ist die Substanz aufgrund der langen Weichteilanästhesie, die das Risiko selbst induzierter Weichteilverletzungen erhöht, nur bedingt geeignet.

Lidocain

Diese Substanz ist international betrachtet der Goldstandard in der Kinderzahnmedizin. Sie kann als Oberflächenanästhetikum und zur Injektion eingesetzt werden. Lidocain wird ausschließlich in der Leber metabolisiert und hat eine Plasmahalbwertszeit von 90 Minuten. 2014 überprüfte die FDA 22 Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen einschließlich des Todes von zwei 5 Monate bzw. 3,5 Jahre alten Kindern, die oral visköse Lidocainpräparate erhalten hatten, um Zahndurchbruchsschmerzen und Mundschleimhautentzündungen zu behandeln, und publizierte daher eine entsprechende Warnung18. Verglichen mit Articain konnten in Studien keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen ermittelt werden12,15. Bei der Infiltrationsanästhesie waren die Unterschiede am stärksten3. Articain ist hier aufgrund der hohen Konzentration überlegen.

Mepivacain

Mepivacain führt als 3-prozentige Lösung auch ohne Va­sokonstriktor zu einer effektiven, allerdings kurzen Pulpenanästhesie. Die Substanz sollte aufgrund der geringen Grenzdosis (5 mg/kg KG) ohne Vasokon­striktor nicht zum Einsatz kommen, wenn insbe­sondere bei kleinen Kindern relativ große Dosen benö­tigt werden5.

Prilocain

Prilocain kann zu einer Methämoglobinämie führen. Bereits bei einer Dosis von 5 mg/kg KG konnte dies bei Kindern nachgewiesen werden9. Die Werte waren nach Prilocaingabe signifikant höher als nach Lido­caingabe beziehugnsweise keiner Lokalanästhetikuminjektion. Daher ist die Substanz kontraindiziert bei Methämoglobinämie, Sichelzellanämie, Zeichen einer Hypoxie und gleichzeitiger Einnahme von anderen Medikamenten, die ebenfalls den Methämoglobinspiegel erhöhen. In Europa wird Prilocain in der Regel mit Octapressin kombiniert.

Kombinationspräparate

Für die Oberflächenanästhesie steht ein Eutektikum als Kombination von Lidocain (2,5 Prozent) und Prilocain (2,5 Prozent) zur Verfügung. Die Lösung (Oraqix, Dentsply Sirona) kann mit einem speziellen Applikator in den gingivalen Sulkus verabreicht werden und transformiert durch die Körpertemperatur zu
einem Gel.

Vasokonstriktoren

Alle oben beschriebenen Lokalanästhetika, die zur Injektion empfohlen werden, sind Vasodilatatoren. Das führt zu einem sowohl schnellen als auch relevanten Abtransport des Lokalanästhetikums vom Injektions­ort und damit zu einem raschen Wirkverlust. Um diesen Effekt zu reduzieren, werden in der Zahnmedizin überwiegend vasokonstriktorhaltige Lösungen benutzt.

Adrenalin war vor ca. 100 Jahren die erste klinisch eingesetzte Substanz und gilt heute als Goldstandard. Die Konzentration ist in Abhängigkeit vom verwendeten Lokalanästhetikum unterschiedlich. Lidocain wird überwiegend mit einer Adrenalinkonzentration von 1:80.000 oder 1:100.000 und Articain mit einer Konzentration von 1:100.000, 1:200.000 oder 1:400.000 angewendet11,20. Beide Lokalanästhetika weisen insbesondere bei der Infiltrationsanästhesie bedingt durch den Adrenalinzusatz eine deutlich höhere Erfolgsrate auf. Zur Verhinderung der Oxidation des Adrenalins ist den Lösungen Natriumsulfit zugesetzt, das allergische Asthmaanfälle auslösen kann.

Phentolaminmesilat

Dieser nicht selektive alphaadrenerge Blocker kann die Weichteilanästhesie nach Lokalanästhesie mit einem Vasokonstriktor verkürzen, indem er die vasokon­striktorische Wirkung antagonisiert. Die funktionellen Einschränkungen des Patienten beim Essen, Sprechen etc. klingen dadurch schneller wieder ab. Auch das Selbstverletzungsrisiko wird so natürlich reduziert, was insbesondere bei kognitiv eingeschränkten Patienten von Vorteil ist.

Tab. 2 Die in der Literatur empfohlenen Dosen der relevanten Lokalanästhetika (VC = Vasokonstriktor).
Tab. 2 Die in der Literatur empfohlenen Dosen der relevanten Lokalanästhetika (VC = Vasokonstriktor).

Dosierung

Die individuelle Grenzmenge des Lokalanästhetikums sollte auf der Basis des Körpergewichts nach folgender Formel berechnet werden:

Grenzmenge (ml) =[Grenzdosis (mg/kg KG) × Körpergewicht (kg)] ÷ [Konzentration der Lösung (%) × 10]

Tab. 3 Übersicht über die individuellen Grenzmengen bei Verwendung von 4%igem Articain mit Adrenalinzusatz. Ab einem Körpergewicht von ca. 70 kg entfällt die Berechnung der Grenzmenge, da die Maximaldosis der Substanz (500 mg, entspricht 12,5 ml einer 4%igen Lösung) erreicht ist.
Tab. 3 Übersicht über die individuellen Grenzmengen bei Verwendung von 4%igem Articain mit Adrenalinzusatz. Ab einem Körpergewicht von ca. 70 kg entfällt die Berechnung der Grenzmenge, da die Maximaldosis der Substanz (500 mg, entspricht 12,5 ml einer 4%igen Lösung) erreicht ist.
Für jedes Lokalanästhetikum liegt die aus tierexperimentellen Studien extrapolierte Grenzdosis vor, wobei die Verwendung des Vasokonstriktors berücksichtigt ist (Tab. 2). Die Maximaldosis einer Substanz wird unabhängig vom Körpergewicht definiert und darf nicht überschritten werden. Sobald mit der Grenzmengenberechnung dieser Wert erreicht ist, erfolgt keine weitere gewichtsbezogene Adaptation. Für Articain liegt der kritische Wert bei einem Körpergewicht von ca. 70 kg (Tab. 3).

Es existieren noch andere Methoden zur Berechnung der individuellen maximal empfohlenen Dosis, welche aber ungenauer und/oder komplizierter sind (Tab. 4). Mit der „Clark’s rule“ wird das Körpergewicht des Kindes in Relation zu dem eines Erwachsenen (150 lb) gesetzt und dann die Dosis als Prozentwert hiervon angegeben (zum Beispiel: 50 lb entspricht 33 Prozent)17. Die konservativste und unspezifischste Methode der Berechnung ist die „rule of 25“. Sie besagt, dass pro 25 lb Körpergewicht eine Zylinderampulle von jeder in den USA zugelassenen Lokalanästhesielösung bis zu einem Maximum von sechs Zylinderampullen bei einem Patienten > 150 lb injiziert werden darf. Sowohl die Spezifika des Lokalanästhetikums als auch der Vasokonstriktor bleiben unberücksichtigt.

Die Maximaldosis des Adrenalins wird bei Kindern mit 50 Prozent der empfohlenen Erwachsenendosis angenommen. Sie beträgt 0,125 mg pro Tag (Tab. 5). Beim Vergleich der beiden auf dieser Basis errechneten maximal empfohlenen Dosen zeigt sich, dass in erster Linie das Lokalanästhetikum der limitierende Faktor ist und nicht das Adrenalin. Berücksichtigt werden muss bei der Umrechnung in Zylinder­ampullen, dass die Lösungen mit Articain ein Vo­lumen von 1,8 ml und die anderen eines von 1,7 ml enthalten.

Tab. 4 Vergleich der drei empfohlenen Methoden zur Berechnung der maximal empfohlenen Lokalanästhetikumdosis beim Kind. Beispielhaft wurde ein Körpergewicht von 23 kg (50 lb) angenommen.
Tab. 4 Vergleich der drei empfohlenen Methoden zur Berechnung der maximal empfohlenen Lokalanästhetikumdosis beim Kind. Beispielhaft wurde ein Körpergewicht von 23 kg (50 lb) angenommen.

Tab. 5 Adrenalindosierung bei Kindern, basierend auf der Empfehlung, dass die maximal empfohlene Dosis die Hälfte der Erwachsenendosis (0,25 mg/Tag), d. h. 0,125 mg/Tag betragen sollte.
Tab. 5 Adrenalindosierung bei Kindern, basierend auf der Empfehlung, dass die maximal empfohlene Dosis die Hälfte der Erwachsenendosis (0,25 mg/Tag), d. h. 0,125 mg/Tag betragen sollte.

Überdosierung

Bei Überschreitung der individuellen Grenzmenge liegt eine absolute Überdosierung vor, und es kommt unter Umständen zu Intoxikationserscheinungen. Wurde die Dosis nicht erreicht und treten dennoch typische klinische Zeichen einer Vergiftung auf, so kann dies durch eine erhöhte Resorption, eine intravasale Injektion oder einen kompromittierten Allgemein­zustand des Patienten bedingt sein. Es wird dann von einer relativen Überdosierung ausgegangen.

Bei der Lokalanästhetikumintoxikation können drei Stadien unterschieden werden, die der Patient nacheinander durchläuft:

  1. Prodromalphase mit unspezifischen klinischen Zei­chen (Unruhe, Verwirrtheit, Nystagmus, Tinnitus, Muskelzuckungen) und einem metallischen Geschmack als typischem Symptom;
  2. Erregungsphase mit gesteigerter Muskelaktivität bis hin zu generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen;
  3. Depressionsphase mit Atemlähmung und Herz- Kreislauf-Stillstand.

Die Intoxikation manifestiert sich primär zerebral und erst sekundär kardial. Die Intoxikationserscheinungen sind abhängig von der Höhe des Plasmaspiegels des Lokalanästhetikums und der Geschwindigkeit, mit der dieser erreicht wird. Daher sollte eine langsame Injektionsgeschwindigkeit angestrebt werden (max. 1 ml/30 Sekunden). Außerdem muss vor der Injektion zur Vermeidung einer intravasalen Applikation unbedingt eine Aspiration erfolgen. Die Verwendung von Substanzen mit einer hohen Affinität für Proteine (Articain und Bupivacain) ist somit von Vorteil, da an Plasmaeiweiß gebundene Lokalanästhetikummolekü­le nicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.

Tab. 6 Kontraindikationen für die Adrenalin-gabe bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie.
Tab. 6 Kontraindikationen für die Adrenalin-gabe bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie.

Im Unterschied hierzu kommt es durch die sys­temische Wirkung des Adrenalins (sowohl hohe Konzentration in der Lösung beziehungsweise Gesamtmenge als auch gesteigerte Empfindlichkeit des Patienten) vor allem zu Nebenwirkungen mit kardiovaskulären Symp­tomen. Dies können Tachykardie, Hypertonie, Schwitzen, Unruhe, aber auch Herzrhythmusstörungen und lebensbedrohliche Entgleisungen der Grunderkrankung sein. Deshalb sind insbesondere auch bei Kindern mit erhöhtem allgemeinmedizinischem Risiko die absoluten und relativen Kontraindikationen für eine Adrenalingabe zu beachten (Tab. 6). Unab­hängig davon bestehen weitere Möglichkeiten für die Überdosierung von Lokalanästhetika beziehungsweise Vaso­konstriktoren bei Kindern. Dazu zählen

  • ausgedehnte Behandlungen (zum Beispiel mehrere Qua­dranten),
  • Benutzung von Lösungen ohne Vasokonstriktor­zusatz,
  • jeweils die Applikation einer ganzen Zylinder­ampulle,
  • gleichzeitige Injektion in alle Areale zum Behandlungsbeginn,
  • Fehler beim Schätzen des Körpergewichts wegen des disproportional großen Kopfes beim sitzenden Kind sowie
  • Überschreitung der körpergewichtsbezogenen Grenz­menge.

Neurotoxizität

Alle Lokalanästhetika sind neurotoxisch und sollten daher nicht in einen Nerv injiziert werden. Aber auch bei regelrechter Applikationstechnik können vorüber­gehende oder dauerhafte neurosensorische Störungen entstehen. Vor allem gilt dies für die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior. Betroffen ist dabei in ca. 3/4 der Fälle der N. lingualis. In der Regel können im kindlichen Kiefer nahezu alle Behandlungen mit lokalen Techniken (zum Beispiel Infiltration, intraligamentäre Anästhesie) schmerzfrei durchgeführt werden. Die Indikation für eine Leitungsanästhesie ist deshalb streng zu stellen.

Schlussfolgerungen

Für die zahnärztliche Lokalanästhesie bei Kindern und Jugendlichen stehen sichere und wirksame Medikamente zur Verfügung, welche entsprechend der geplanten Behandlung sorgfältig ausgewählt werden sollten. In erster Linie sind dies Anästhesielösungen mit Articain, Lidocain und Mepivacain. Prilocain (spe­zielles Nebenwirkungsprofil und Vasokonstriktor) und Bupivacain (sehr lange Weichteilanästhesie) sind für die Kinderzahnmedizin nicht geeignet. Adrenalin soll­te, sofern keine Kontraindikationen vorliegen, so oft wie möglich als Vasokonstriktor eingesetzt werden, allerdings in der geringstmöglichen Dosis, die bei der Verwendung von Articain 1:400.000 oder 1:200.000 und beim Einsatz von Lidocain 1:100.000 beträgt.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Monika Daubländer, Mainz

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 7/19 Zahnmedizin